Dass Christian Lindner die Aufgabe zufällt, die Schaffung eines Klima-Ministeriums anzukündigen, sagt mehr als tausend Analysen aus, wie weit die FDP inzwischen nach links gewandert ist. Heinrich IV. von Navarra soll einst gesagt haben: „Paris vaut bien une messe“ (Paris ist eine Messe wert). Der „gute König Heinrich“ konvertierte vom Protestantismus zum Katholizismus, um König von Frankreich zu werden. Doch im Gegensatz zur Konversion von Heinrich IV. wird die Konversion der Lindner-FDP zur rotgrünen Gesinnung das Land nicht einen, sondern die Spaltungen und Verwerfungen in jeder Weise noch vergrößern. Um den Übertritt ins linke Lager zu kaschieren, behauptet Lindner: „Wir treten nur in eine Regierung der Mitte ein, die den Wert der Freiheit stärkt.“ Um zu belegen, dass eine Regierung der Linken, der die FDP angehören wird, eine Regierung der Mitte sei, beruft sich der FDP-Chef auf Armin Laschet und Friedrich Merz, die „uns gestern öffentlich Respekt gezollt“ haben, „weil sie Inhalte teilen. Mit dieser Ehrlichkeit zeigen die beiden Charakter. Ihre Äußerungen belegen, dass Deutschland aus der Mitte regiert würde.“ Lindner dürfte vergessen haben, wie wenig Armin Laschet als Kronzeuge taugt, der einst verkündet hatte, dass es nicht Aufgabe der CDU sei, alles, auch programmatisch, aufzusammeln, was sich rechts der politischen Linke befände, als ob nicht rechts von der politischen Linken die Mitte zu finden wäre. So viel zum Begriff der Mitte bei Lindner und Laschet.
Wer den Opportunismus der FDP nicht lobt, ist in Lindners Augen eben eine „Einzelstimme“, die man „entschuldigen“ muss.
Auf dem Grünen-Parteitag vor Monaten formulierte Robert Habeck sehr klar, dass die freie Marktwirtschaft wichtig sei, aber nur, wenn der Staat dafür sorge, dass „die großen Kräfte der Märkte, der Marktwirtschaft in die richtige Richtung laufen – und dann brauchen wir alle die Freiheit der Märkte, die Kreativität der Unternehmerinnen und Unternehmer“. Lindner äußerte in einer Talkshow von Anne Will, bei dem auch Robert Habeck als Gast anwesend war: „Wir brauchen einen Rahmen, den der Staat setzt. Daraus müssen sich die Klimaziele ergeben. Aber auf dem Weg dahin möchte ich gerne Naturwissenschaftlern und Technikern das Vertrauen geben, die wissen, wie wir es konkret machen.“
Vor der Wahl schrieb ich über diese Talkshow und über die sich bestätigende Prognose, dass wer gelb wählt, grün bekommt: Anne Will fragte daraufhin Robert Habeck: „Hat Christian Lindner mit seinem ‚der Markt regelt es selbst‘ den Stein der Weisen gefunden?“ Der verteidigte seinen Koalitionspartner in spe mit den Worten: „Das ist nicht seine Position, so habe ich es auch nicht verstanden. Er sagte, Kreativität des Marktes nutzen und einen klaren rechtlichen Ordnungsrahmen, da würde ich gar nicht widersprechen.“ Denn, so Habeck: „Ordnungsrechtlicher Rahmen und Verbote sind das Gleiche. Dass wir uns immer für die Übersetzung ins normale Deutsch rechtfertigen müssen, ist ein Treppenwitz dieses Wahlkampfs.“ Im normalen Deutsch besteht allerdings ein fundamentaler Unterschied zwischen Freiheit und Zwang. Dass dem Grünen-Parteichef dieser Unterschied unbekannt ist, verwundert nicht, und leider erstaunt es inzwischen auch nicht mehr, dass Christian Lindner diese Position zu übernehmen scheint.
Im Grunde teilen beide damit das Diktum Stalins, der verfügt hatte, dass, wenn die Richtung stimmt, die Kader alles entscheiden würden. Und die Richtung lautet in der Formulierung von Robert Habeck: „Klimaschutz ist die existenzielle Aufgabe unserer Generation. Wir können keine Koalition eingehen, die nicht den Weg des Paris-Pfads beschreitet.“ Der sogenannte „Klimaschutz“ ist aber nur der Transmissionsriemen zum Systemumbau, wie es Luisa M. Neubauer einmal in einem taz-Interview beschrieben hat: „Menschen, die sich mit der Klimafrage beschäftigen, stellen irgendwann auch die kapitalistische Wirtschaftsweise infrage.“ Genauer kann man eigentlich die Funktion der Klimaapokalyptik nicht beschreiben, als es Neubauer unternahm: „Die Klimakrise ist die Kumulation von multiplen Krisen auf der Welt. Sie ist größer als die Frage unserer steigenden Emissionen … Es geht um unsere imperiale Lebensweise, die neokoloniale Entwicklungszusammenarbeit. Die Klimakrise ist auch eine Krise, die von Männern verursacht wurde.“
Und weil auch Christian Lindner nicht entgangen sein sollte, in welche Falle er gelaufen ist, wird man in der FDP zum Verpackungskünstler. So behauptet Lindner: „Der Strom wird durch die Abschaffung der EEG-Umlage günstiger – eine Milliarden-Entlastung vom Single über die Familie bis zu Mittelstand und Handwerk.“ Der Strom wird natürlich nicht günstiger, die Kosten steigen und explodieren. Die Finanzierung der desaströsen Energiewende soll deshalb nicht mehr über die EEG-Umlage erfolgen, wo es jeder Bürger mitbekommt, sondern über gut kaschierte Steuerzuwendungen. Da die Bürger Steuern zahlen, finanzieren sie am Ende die steigenden Energiekosten doch; sie merken es auch, doch sie sehen es nicht. Das dürfte in Sachen Transparenz der Stil der neuen Regierung werden.
Die einzige Sorge des 17. Landesverbandes der Grünen, zu dem Lindner die FDP macht, scheint darin zu bestehen, dass durch die Oppositionsarbeit der Union der Linksruck der FDP deutlich wird, deshalb drohte Lindner schon fast in der Sprache der Antifa: „Ich hoffe aber nicht, dass nun restaurative Kräfte die Partei nach scharf rechts führen.“ Um schließlich in der Hybris zu enden: „Im Bund wird die FDP jedenfalls die Anliegen der Wählerinnen und Wähler von CDU und CSU im Blick behalten. Würden wir in eine Regierung eintreten, wäre es ja unsere Aufgabe, dort die bürgerliche Mitte insgesamt zu vertreten.“ Die „bürgerliche Mitte“ wird sich bei der FDP für ihre Fürsorglichkeit bedanken.
Allerdings kann man Christian Lindner beruhigen, denn in der Union wird man, wie es bis jetzt ausschaut, auch schon aus Angst, mit der AfD zu stimmen, die Rolle der Opposition nicht annehmen. Man wird auf seinen Abgeordnetenplätzen dösen und davon träumen, wie schön es war, als man noch die Regierung stellte und von den Medien umworben war. Hierin könnte die FDP von der Union lernen, wie es ist, wenn man vom rotgrünen Establishment nicht mehr gebraucht wird, um grüne Inhalte durchzusetzen. Die FDP wird so wenig von den linken und linksliberalen Kräften in Politik und Medien geliebt wie die Union, sie wird eben nur zurzeit benötigt.