Nicht von Heuss. Nicht von Scheel. Und schon gar nicht von Genscher. Wenn Christian Lindner ein politischer Erbe ist, dann der des ehemaligen CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer: In der Ampel blinkt er ständig nach rechts, um dann doch jede linke Abfahrt mitzumachen. 2017 hatte er noch den Spruch geprägt: Lieber nicht regieren, als schlecht regieren. Heute steht Lindner für den FDP-Opportunismus: Lieber schlecht regieren, als einer anständigen Arbeit nachzugehen.
Die FDP positioniere sich gegen weitere Staatsschulden, sagt Lindner in Kreuzberg. Aber als Finanzminister hat er „Sondervermögen“ genannte Schuldenpakete akzeptiert. In bisher ungekannten Ausmaßen. Für die Bundeswehr, was notwendig geworden war, weil CDU und SPD die Armee zuvor haben verkümmern lassen. Aber auch für Investitionen, die „Klimaschutz“ genannt werden, von denen aber oft genug nur grünnahe Unternehmen profitieren. Oder für Wohlfahrtspakete, die den Wahnsinn der grünen Energiepolitik abmildern sollen.
Den Extremisten der Letzten Generation wirft Lindner in Berlin „physische Gewalt“ vor. Aber als sie sein eigenes Ministerium attackiert haben, gab er sich abends bei Maischberger verständnisvoll. Der Angriff sei doch gar nicht nötig gewesen. Er habe doch schon all ihre Forderungen erfüllt. In den Worten ein Held, in den Taten ein Nachgeber. Christian Lindner füllt die Lücke, die Horst Seehofer hinterlassen hat, mehr als aus.
Trotzdem wählt die FDP Christian Lindner wieder. Nach zehn Jahren an der Spitze fehlt der Partei der Mut, sich einen anderen dort vorstellen zu können. Doch statt wie beim letzten Mal 93 Prozent, erhält er dieses Mal nur 88 Prozent. Ein Ergebnis, das kaum bezeichnender für die FDP 2023 hätte ausfallen können: Schlecht, aber es hätte ja noch schlechter kommen können. Das ist die Schutzbehauptung, wenn die „nicht-linke“ FDP mal wieder den linken Koalitionspartnern nachgegeben hat: Wenn sich Buschmann von Karl Lauterbach (SPD) in der Corona-Politik über den Tisch ziehen lässt. Wenn Verkehrsminister Volker Wissing vehement gegen das Aus der Atomkraft spricht, es aber dann doch mitträgt. Oder wenn Lindner erkennt, welch sozialer Sprengstoff in Robert Habecks (Grüne) Heizungsverboten steckt – diese aber dann trotzdem abnickt. Wie Seehofer bei Merkels Flüchtlingspolitik.
Lindner war schon der Startuper im Unterhemd, der Deutschland digitalisieren wollte. Jetzt akzeptiert er nicht nur, dass Nancy Faeser (SPD) die Ziele in der Digitalisierung der Verwaltung nicht einhalten kann – sondern sich gar keine Ziele mehr setzen will. Er war schon der Anpacker, der Infrastruktur schnell und pragmatisch verbessern wollte. Jetzt hat sein eigener Verkehrsminister angekündigt, dass der Deutschland-Takt der Bahn erst in ein paar Jahrzehnten kommt. Lindner war schon der Rebell, der lieber gar nicht als schlecht regieren wollte. Jetzt seehofert er selbst beim größten Habeckschen Quatsch weiter.
Die aktuelle Erzählung, die Lindner versucht, ist die des seriösen Haushälters. Er stehe für die Einhaltung der „Schuldenbremse“. Diese Erzählung ist zum Scheitern verurteilt. Jeder, dem das Thema wichtig ist, kennt den Bauerntrick, mit dem Lindner Schulden in „Sondervermögen“ umgetauft und sie dann aus dem Haushalt herausgemogelt hat. Wer soll ihm den seriösen Haushälter da glauben? Nicht mal fünf von 100 Wählern tun das.
Politische Erzählungen hat sich Lindner schon viele übergestreift. Aber was darunter immer wieder als der eigentliche Leib hervorblitzt, ist die politische Feigheit Lindners. Der sich wie Seehofer in die Freizeit zurückzieht, wenn andere wider seinen Willen Politik machen. Statt Eisenbahn zu spielen, feiert Lindner auf Sylt Hochzeit, während in Berlin der Bundestag Pflöcke über die künftige Energiepolitik einschlägt. Schon mit dieser Terminwahl ist Lindner eigentlich zu Ende erzählt.
Was bleibt also der FDP? Lindner als der hoffnungslose Hoffnungsträger und die Schutzbehauptung, ohne die „Liberalen“ wäre die Ampel viel schlimmer. Was gelogen ist, weil es ohne die FDP die Ampel gar nicht gäbe.
Wer wählt also noch die FDP? Wer die Ampel schlimm findet, aber gleichzeitig will, dass sie weiterbesteht. Wie viele sind das? Weniger als fünf von 100 Wählern.