Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit tagt der 73. Bundesparteitag der Freien Demokraten am 23. und 24. April 2022 in Berlin. Die Hauptmeldung über den Parteitag der Lindner-Liberalen in den Medien lautete, dass Christian Lindner an Corona erkrankt ist und daher in Washington festsitzt. Für die deutschen Medien ist der Fall sonnenklar, weil die Delegierten des Parteitages vollkommen subversiv ohne Maske und ohne Abstand zusammensitzen, hatte sich zuvor der Parteichef in Washington mit Corona infiziert. Chronologie wird im Geschichtsunterricht in den Schulen ohnehin nicht mehr gelehrt. Diese Nachricht ist dem Tagesspiegel, der sich in dieser Frage wie Lauterbachs Zentralorgan liest, so wichtig, dass er dieser Marginalie sogar einen ganzen Artikel unter dem hämischen Titel: „Der FDP-Chef hat Corona – und erntet im Netz viel Spott“ widmet.
Dennoch versteht man ein wenig die abwegige Fokussierung der Medien schon, denn die Aussagen und Positionen der Lindner-Liberalen hätten keines Parteitages bedurft und sind hinlänglich bekannt. Die Phrasen der Anträge glänzen vor Patina. Man trottet nach wie vor den Grünen in der Frage der Großen Transformation hinterher. Das Ziel besteht weiterhin darin, eine klimaneutrale Gesellschaft zu errichten, also letztlich die soziale Markwirtschaft, zu der man sich in der Phrase zwar bekennt, durch eine grüne Kommandowirtschaft in der Praxis zu ersetzen. Sinn- und sprachwidrig spricht man von „Freiheitsenergien“, wenn man Windenergien meint und zeigt damit nur, dass für die Lindner-Liberalen die gute alte Sache der Freiheit zur reinen Windmacherei verkommen ist. So heißt es im Antrag A 4004: „Deutschland muss, verbunden mit dem konsequenten und zügigen Ausbau erneuerbarer Freiheitsenergien, Energiequellen mit Hochdruck diversifizieren und vorhandene Infrastruktur wie bestehende LNG-Terminals innerhalb der EU besser gemeinsam nutzen.“ Weil Deutschland durch die Politik der CDU und der SPD und nun von den Grünen und der FDP den Energiebedarf des Landes nicht decken kann, soll die EU helfen. Dumm nur, dass andere Staaten längst tätig sind, um ihre Energiesicherheit zu gewährleisten, Italien bspw. ist in Nordafrika unterwegs.
Deutschland wird durch Merkels desaströse Politik und durch das realitätsferne Agieren Robert Habecks zum Bittsteller in Katar, in den USA und in Europa. Eine politische Klasse, die man zuweilen eher in der „heute show“ vermutet, macht Deutschland derzeit zur Lachnummer in der Welt. Oder wie die FDP, die frei nach Kafka den Tatsachen hinterherläuft wie ein Anfänger im Schlittschuhlaufen, der zudem noch an einer Stelle übt, wo es verboten ist, so tapfer, wie wirklichkeitsblind verkündet, dass „die Einhaltung der Pariser Klimaziele … für uns verbindlich“ bleibt.
Christian Lindner hat zuvor betont, dass er für den „forcierten Ausbau von erneuerbaren Energien“ ist. Anders hätte es Robert Habeck auch nicht formuliert.
Im Leitantrag „Freiheit sichern, Werte schaffen – für eine wehrhafte liberale Demokratie in Deutschland und Europa“ heißt es, dass der „Ausbau der erneuerbaren Energien vor allem durch schnelle Planungs- und Genehmigungsverfahren erheblich“ zu beschleunigen sei. Das bedeutet, dass die Lindner-Liberalen sich massiv für die Einschränkung der Bürgerrechte einsetzen, für die allumfassende Macht der Windindustrie. Denn beschleunigen kann man die Genehmigungsverfahren nur, wenn man den Bürgern die Möglichkeit der Mitsprache und des Einlegens rechtlicher Mittel nimmt, also die Bürgerrechte substantiell beschneidet. Was bleibt eigentlich im Angesicht der Reduktion der Bürgerrechte noch übrig von einer Bürgerrechtspartei? Eine Verbotspartei, wie die Grünen?
Staatabsolutistisch will die FDP „schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren“ durchsetzen, womit sie sich von der Freiheit und vom Bürger verabschiedet. Doch damit längst nicht genug, die FDP trommelt für „eine Investitionsprämie für Klimaschutz“, wie es im Leitantrag heißt. „Um in der Industrie weitere Investitionen im Bereich Klimaschutz und Innovation anzureizen, werden wir sogenannte Differenzverträge – „Contracts for Differenz“ (CfDs) – einführen.“ Markenzeichen der FDP ist also nicht mehr die Liberalität für die Bürger und in der Wirtschaft, sondern der Abschied von der Liberalität zugunsten des Staatsinterventionismus. Die FDP wird von der Wirtschafts- zur Subventionspartei, von der Freiheitspartei zur Partei des Staatsinterventionismus. Schließlich bleibt die „Einhaltung der Pariser Klimaziele … für uns verbindlich“ – und wenn darüber die Wirtschaft und der Wohlstand in Deutschland zum Teufel geht. Die FDP beschreitet diesen Weg sehenden Auges, denn sie will zwar „kein dauerhaftes Subventionsregime wie beim Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)“ schaffen, doch in keine andere Richtung zielen ihre Pläne. Es darf zwar nicht aussehen wie ein Subventionsregime, aber es muss eines sein, denn wer gegen die Wirklichkeit regiert, um den Ausbau der „Freiheitsenergien“ durchzusetzen, benötigt brachiale Mittel.
Natürlich sichert sich die FDP ab und will über Braunkohleverstromung und Kernkraft reden, doch welchen Wert hat das, wenn das Ziel falsch ist und Kohleverstromung und Kernenergie nur in der Art von Rückversicherungen diskutiert werden?
Offensichtlich übernimmt die FDP von den Grünen das Ziel, eine grünsozialistische Einheitsgesellschaft zu schaffen: „Wir stärken die offene Bürgergesellschaft als Lebensform vielfältigen und freiheitlichen Miteinanders, damit sie widerstandsfähig gegen Polarisierung und extremistische Bedrohungen bleibt und die kommenden Umbrüche hin zu einer klimaneutralen Lebensweise friedlich verarbeiten kann.“ Ist derjenige, der gegen die „klimaneutralen Lebensweise“ ist, aus der Sicht der FDP polarisierend und extremistisch?
Aus der wolkigen Phraseologie übersetzt heißt das, Ziel ist die Benachteiligung der traditionellen Familie, traditioneller Lebensentwürfe zu Gunsten einer woken innerstädtischen, im übrigen kleinen community, die Förderung von Cancel Culture und Deplatforming, das Vorantreiben der Spaltung der Gesellschaft durch die Ablösung der Mehrheitsrechte durch Minderheitenrechte, die Aushebelung der Bürgerrechte durch eine neue, alte Utopia.
Wie wenig die FDP mit der Freiheit im Sinn hat, dokumentiert sie auch auf europäischer Ebene, denn sie will, dass „statt der Einstimmigkeit bereits eine qualifizierte Mehrheit für die Verhängung der Sanktionen“ ausreicht. Dadurch kann der Souverän eines Landes durch die Souveräne anderer Länder unterdrückt werden. Es geht für die FDP ausdrücklich gegen Polen und gegen Ungarn, gegen Regierungen, die von ihrem Volk mit großer, im Falle Ungarns sogar mit Zweidrittelmehrheit gewählt wurden. Im Endeffekt werden demokratisch legitimierte Regierungen der nicht demokratisch legitimierten EU-Bürokratie untergeordnet.
Demokratisch kann man das allerdings nicht nennen, freiheitlich schon gar nicht und die EU wird das auf mittlere Sicht sprengen. Illiberal hingegen und mehr als rechtsstaatlich bedenklich ist die Vorstellung der FDP, dass „der EuGH auf Antrag des Europäischen Parlaments oder eines Mitgliedstaates Sanktionen aussprechen“ kann. Mit welcher Legitimation kann der demokratisch nicht legitimierte EuGH sich über die demokratisch und rechtstaatlich legitimierten Verfassungsgerichte der Mitgliedsländer der EU hinwegsetzen? Mit diesen Vorstellungen tritt die FDP „die Grundwerte der EU mit Füßen“, die in Bürgerrechten, Freiheit, Demokratie, Selbstbestimmungsrecht der Nation und Subsidiarität bestehen.
Recht hat die FDP, wenn sie die Abhängigkeit von China verringern und sich der aggressiven Politik der Neuen Seidenstraße entgegenstellen will. Doch naiv ist es, gleichzeitig sich festzulegen: „Eine Rückkehr zum „Business as Usual“ ist mit dem gegenwärtigen russischen Regime ausgeschlossen.“ Man wird einer Form des „Business as Usual“ weiter folgen müssen, wie man es jetzt übrigens auch macht, um einen Dritten Weltkrieg, der ausschließlich in Europa stattfinden und Europa in den Abgrund ziehen dürfte, zu verhindern. Auch nach dem Krieg wird Russland noch existieren und zu einem Teil geographisch zumindest zu Europa gehören – auch deshalb wird man auch nach dem Krieg faktisch an einem „Business as Usual“ nicht vorbeikommen.
Übrigens hat Politico gerade ein Statement von Präsident Selenskyj veröffentlicht, indem er seine Ziele benennt: „Meine Position als Präsident ist: Alles, was sie besetzen, nehmen wir uns zurück. Es wird keine Frage von acht Jahren sein, wie ab 2014, sondern sofort. Hier geht es um Waffen. Wenn wir genug haben, werden wir sofort damit beginnen, das besetzte Gebiet zurückzuerobern.“ Wenn der amerikanische Außenminister Austin von Kiew nach Berlin weiterreist, wünscht sich der ukrainische Präsident, dass Austin Druck auf Deutschland ausübt, schwere Waffen zu liefern. „Ich möchte, dass wir schwere, mächtige Waffen haben“, sagte Selenskyj am Samstag bei einer Pressekonferenz“, berichtet Politico.
Zumindest in dieser Hinsicht steht die FPD noch hinter dem Kanzler, denn sie will zwar der Ukraine helfen, aber alles vermeiden, was Deutschland zur Kriegspartei macht. Diese Position beziehen übrigens auch Frankreich, Österreich und Ungarn. Bei den wohlfeilen Rufen nach der Lieferung schwerer Waffen hierzulande übersehen die Rufer, von denen viele in ihrem Leben noch nie eine Waffe in der Hand gehabt hatten, dass die ohnehin schon angeschlagene Verteidigungsfähigkeit unseres Lands auf dem Spiel steht. Wir haben schlicht keine schweren Waffen, die wir abgeben könnten. Fällt niemanden der Widersinn auf, der darin besteht, aufrüsten zu müssen und im gleichen Atemzug faktisch abzurüsten? Eindeutig ist jedenfalls die Haltung der FDP nicht, denn im Parteitagsbeschluss heißt es: „Unsere eigene Verteidigungsfähigkeit darf nicht beeinträchtigt werden. Und Deutschland darf nicht zu einer Kriegspartei werden.“ Soweit so klar, doch dann: „ Fest steht aber auch, dass Waffenlieferungen an die Ukraine, gleich welcher Art, Deutschland nicht zur Kriegspartei machen. Im Rahmen dieser Kriterien muss die Ukraine bei der Verteidigung gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands schnell und wirksam unterstützt werden. Dazu gehören auch die Lieferung schwerer Waffen und die schnelle Bereitstellung von Rüstungsgütern durch die deutsche Industrie, für die Deutschland wie angekündigt die Finanzierung übernimmt.“ Im nationalen Interesse Deutschlands wird man beobachten, ob die FDP den Kanzler stützen oder stürzen will.
Von zweifelhafter Wahrheitsliebe ist es allerdings, wenn die politische Klasse die Resultate ihrer verfehlten Politik nun zu Kriegsfolgen umdeklariert, wie es die FDP unternimmt: „Wir müssen uns auch darauf einstellen, dass der Krieg in der Ukraine unsere freiheitliche Soziale Marktwirtschaft durch eine hohe Inflation zusätzlich unter Druck setzt.“ Die Wahrheit, die Lindners Liberale gern vergessen wollen, lautet doch, dass die galoppierende Inflation nicht die Folge des Krieges ist, sondern Resultat der Nullzinspolitik, der Politik des billigen Geldes durch die EU und durch die EZB ist und für Deutschland zudem von der Energiewende getrieben wird. Fällt der FDP nicht der kognitive Widerspruch auf, in dem sie sich bewegt, wenn sie einerseits zu recht anmahnt, dass „dem weiteren Anstieg der Inflation entgegenzuwirken“ sei und anderseits behauptet: „Die Inflationsbekämpfung ist in erster Linie Aufgabe der unabhängigen Europäischen Zentralbank.“ Diejenigen, die mit zu den Verursachern der Inflation gehören, sollen diese nun bekämpfen? Liest niemand in der FDP Zeitung? Die Inflationsbekämpfung hat die EZB in der letzten Woche bereits praktisch abgelehnt, indem sie die Nullzinspolitik verlängerte. Die EZB wollte die Inflation und sie will die Inflation nach wie vor. Man kann zu keiner anderen Feststellung kommen, als dass die EZB möchte, dass die „Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Sparerinnen und Sparer gleichermaßen“ und weiterhin enteignet werden. Würden die Lindner-Liberalen tatsächlich einen Stopp der Inflation setzen und Politik für die deutschen Bürger machen wollen, dann dürfte sie sich nicht auf die EZB verlassen. Sie müsste erstens sich an die deutsche Philosophie des Geldes, die Merkel aufgegeben hat, erinnern, nach dem Geld Bürgergeld und nicht Mittel staatlicher Interventionen in den Markt und Hebel für die Industriepolitik ist, und zweitens die CO-2 Steuer und die Mehrwertsteuer in einigen Bereichen aussetzen und in anderen Bereichen verringern. Man könnte auch die Energiepreise deckeln, wie die Ungarn das machen. Doch die FDP will weder das eine, noch das andere. Aber Lindner hat ja bereits vor einiger Zeit gesagt: Wir werden alle ärmer – und damit gemeint: ihr, ihr Bürger, ihr Familien werdet ärmer. Er hat nur vergessen hinzuzufügen: durch unsere Politik.
Die deutsche Politik hat viele Mittel in der Hand, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.
Der Parteitag der FDP hinterlässt in vielem nur den Eindruck einer Partei, die sich den Grünen in wichtigen Positionen so sehr angenähert hat, dass man sie für den bürgerlich gekleideten 17. Landesverband der Grünen halten kann, der nur weniger Frauen als Mitglieder in seinen Reihen zählt als in anderen Landesverbänden üblich.