Nach 2019 durchschreitet die FDP in diesem Jahr erneut ein tiefes Tal mit einer Reihe von verheerenden Wahlniederlagen samt Regierungsverlust in zwei Bundesländern (Nordrhein-Westfalen/Schleswig-Holstein). Selbst im Wolfgang-Kubicki-Land hat die CDU im hohen Norden die Freidemokraten kaltgestellt und handelt wie in NRW nur noch mit den Grünen eine Regierungskoalition aus.
Schlechter konnte es für FDP-Chef Christian Lindner nicht laufen. Als Bundesfinanzminister ist er mit seiner Schuldenpolitik für seine Partei bei Landtagswahlen offensichtlich kein Zugpferd. Vor allem die jüngste Schmach in seinem Heimatverband kommt einem Desaster gleich. Doch damit es zu keinen Abstürzen und Querschüssen kommt, hält die „NRW-Connection“, wie sie parteiintern heißt, den Laden im Griff. Denn es gibt drei Grundvoraussetzungen, um in der FDP Karriere zu machen:
- Männlich
- Nordrhein-Westfalen
- Geburtsjahrgang 1976 bis 1979
Seit gut vier Jahren ist Lindners FDP fest in NRW- und Männerhand. Gut ein halbes Dutzend Spitzenpositionen üben im Partei-, Fraktions- und Staatsapparat FDP-Politiker aus NRW inzwischen aus. Vor allem, wer den linken Flügel stärkt, hat in Regierungszeiten von FDP mit Grünen und Sozialdemokraten beste Chancen, weiter in auskömmlichen Positionen zu überleben.
FDP hat ihre Pressepolitik nach links ausgerichtet
Die FDP-Führung unter Christian Lindner wollte nach der Absage der Jamaika-Koalition im Bund 2017 die grünaffinen Medien mit einem Schwenk zum politischen Mainstream links der Mitte milde stimmen. Doch das finden viele FDP-Wähler inzwischen gar nicht gut. Fünf verlorene Wahlen bis 2020 und ein blaues Auge in Thüringen waren zunächst dafür die Quittung.
Die FDP rutscht dieser Tage in Bundesumfragen im Schnitt bereits auf acht Prozent ab. Vor der Landtagswahl in Niedersachsen im Oktober beginnt wieder das große Zittern vor der Fünf-Prozent-Hürde für die Freidemokraten. Einst schwamm die Partei gegen den Strom – heute schwimmt sie mit und sinkt dabei wieder einmal runter.
Eigentlich sollte das alles gar nicht passieren. Zwar konnten die Parteioberen faire oder FDP-wohlwollende Journalisten bestenfalls an einer Hand abzählen, doch es gab sie noch, nur sie waren für Presseaufgaben in Partei und Fraktion nicht gefragt.
Stattdessen setzten Parteichef Lindner und sein politischer Büchsenspanner, der frühere Erste Parlamentarische Geschäftsführer und heutige Bundesjustizminister Marco Buschmann auf einen medienpolitischen Linksruck. Sie glaubten, sie könnten an der Anti-FDP-Medienfront irgendetwas befrieden, wenn sie nach dem Wiedereinzug in den Bundestag 2017 einen Journalisten aus dem linken Lager als Bundesparteisprecher am 1. Dezember 2018 installierten.
Dafür suchten sich Lindner und Buschmann mit Thomas Maron (Frankfurter Rundschau) ausgerechnet einen langjährigen FDP-Kritiker aus, der jedoch nach gerade mal zehn Monaten im Amt gleich wieder von der Fahne lief. Er gab seinen Job als FDP-Pressechef wie üblich aus persönlichen Gründen auf. Wie Insider heute berichten, wollte Maron nach seiner letzten Arbeitsstelle im Berliner Büro der Stuttgarter Zeitung mit dem Sprecherposten eigentlich seine „Work-Life-Balance“ verbessern. Also nicht mehr so hart arbeiten – als Pressesprecher einer Bundespartei! Allein der Europa-Wahlkampf im Mai 2019 und die Reihe von Landtagswahlen wären dem FDP-Sprecher jedoch schon zu viel gewesen, heißt es in der Parteizentrale.
Egal wie: Maron war ein politischer Fehlgriff. Seine Besetzung hatte bei vielen Bundestagsabgeordneten nur Kopfschütteln und Sarkasmus ausgelöst. Das können sie jetzt wieder.
Auferstanden aus Ruinen und der Karriere zugewandt
Denn Maron fiel bei Lindner und Co. nicht in Ungnade – im Gegenteil. Die NRW-Connection funktioniert für Menschen im richtigen Spektrum: Maron betreute als Freier brav die Pressearbeit von Integrationsminister und NRW-Landeschef Joachim Stamp sowie von Ex-Generalsekretär Johannes Vogel, um die Politiker aus Nordrhein-Westfalen nicht nur in Düsseldorf, sondern auch in Berlin medial zu verkaufen.
Unglaublich, aber wahr: „Die FDP steckt in einer Krise, aber die NRW-Connection funktioniert weiter prächtig“, klagt ein erfahrener Bundestagsabgeordneter. Der Fall Maron sei für eine liberale und leistungsorientierte Partei peinlich. Mehr noch: „Erst in den Sack hauen, weil es in der Küche zu heiß wird, und dann noch befördert werden, so sieht ‚Leistung muss sich wieder lohnen‘ heute in der Lindner-FDP aus.“
Übrigens hat selbst NRW-Spitzenkandidat Stamp für den Regierungsverlust und die „desaströse Niederlage für die FDP“ (Christian Lindner) als Landesparteichef keine Konsequenzen gezogen. Im Gegenteil: Lindners Statthalter in NRW schloss seinen Rücktritt sogar schon aus und bleibt weiter Landtagsabgeordneter. Die NRW-Connection schützt.
Im FDP-NRW-Netz fallen selbst Bauernopfer weich
Weil Parteigranden meist nie verantwortlich sein wollen für Niederlagen in Serie, suchen sie sich Bauernopfer aus. Bundesgeschäftsführer Marco Mendorf war so eins. Er gab auch hier wie üblich „auf eigenen Wunsch“ sein Amt am 31. Dezember 2019 auf. Dabei zog der damals 44-jährige Parteimanager nach der Bundestagswahl 2017 extra mit seiner Frau und drei Kindern von Düsseldorf nach Berlin. Zuvor leitete Mendorf fünf Jahre lang als Politischer Geschäftsführer Lindners FDP-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen. Mendorfs Nachfolger, Michael Zimmermann, kam erneut aus Lindners NRW-Sprengel. Er wirkte im Düsseldorfer Landtag als Fraktionsgeschäftsführer.
Doch die NRW-Connection hilft auch im Fall des Fallens. Zunächst wurde Mendorf in der Berliner Landesvertretung Nordrhein-Westfalens als Referatsleiter „Veranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit“ geparkt. Später sollte er zum stellvertretenden Dienststellenleiter der NRW-Landesvertretung in Berlin aufsteigen. Doch mit dem Wiederaufstieg wurde es bis zur verlorenen Landtagswahl im Mai nichts mehr, weil es den Düsseldorfern nicht gelang, den Weg für Mendorf zum Dienststellenvize freizuschaufeln. Der Kandidat wurde nach der liberalen Wahlschlappe mit Regierungsverlust in NRW jetzt bei der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung als Bereichsleiter „Politische Bildung“ in Potsdam untergebracht.
Selbst die Ehefrau des heutigen Ersten Parlamentsgeschäftsführers und Bundesvizes Johannes Vogel durfte in der Bundestagsfraktion aufsteigen. Seit 15. März 2018 managt Katrin Grothe, die frühere Büroleiterin des Fraktionsvorsitzenden Lindner, als „Social Media Director“ die digitalen Aufgaben der FDP-Bundestagstruppe.
Bei den Liberalen geht es personell eiskalt zu
Zudem müssen sich Betroffene in der FDP-Personalpolitik warm anziehen, soziale Kälte greift um sich. So wurde der smarte Staatssekretär für Infrastruktur Sven Haller aus Sachsen-Anhalt im Handumdrehen zum neuen Vorsitzenden des Bundesfachausschusses Verkehr befördert. Erst seit knapp einem Jahr amtiert der 42-jährige Volkswirt im Magdeburger Ministerium. Er drängte sich über die klassische Politikkarriere nach oben: erst wissenschaftlicher Mitarbeiter in Bundestagsfraktion, dann in der Hamburger Bürgerschaft und später dort Fraktionsgeschäftsführer.
Der langjährige Vorsitzende und versierte Verkehrsexperte Tom Reinhold aus Hessen hingegen erfuhr erst aus Mails seiner Fachkollegen und der FDP-Homepage, dass er diesen Mai nicht mehr Vorsitzender des Bundesfachausschusses ist. Dem Verkehrsgremium wurde der neue Vorsitzende aus der Bundesparteizentrale lediglich mitgeteilt. Basta.
Fast der gesamte Fachausschuss sei über die Personalie völlig konsterniert, berichten Mitglieder. Sie kritisieren, der neue Karrierepolitiker hätte keine rechte Ahnung von seinem Fachgebiet. Obendrein habe erst vor einigen Monaten Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) mit dem Fachausschuss der Partei die Arbeitsagenda abgestimmt. Offensichtlich gab es mit Reinhold überhaupt keine Probleme.
So menschlich geht es heute bei liberalen Freidemokraten halt zu.