Genau 46 Sekunden hat Bijan Djir-Sarai gebraucht, um auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz seinen Rücktritt zu erklären. Dann verschwand der FDP-Generalsekretär so schnell, wie er gekommen war. Nachfragen wurden nicht zugelassen.
Aber was hätten die Journalisten auch fragen sollen? Es war ja sowieso schon alles bekannt: Der gebürtige Iraner hatte noch am Donnerstag vehement bestritten, dass seine Leute in einer Art Planspiel schriftlich einen möglichen Bruch der Ampel-Koalition durchgespielt und dabei Begriffe wie „D-Day“ und „offene Feldschlacht“ benutzt haben.
„Das ist falsch. Und das, was medial unterstellt wird, ist eine Frechheit“, empörte sich Djir-Sarai bei n-tv. Allerdings war das, was medial unterstellt wurde, weder falsch noch eine Frechheit, sondern wahr. Wenig später sah sich die Partei dazu genötigt, das Papier, das es angeblich gar nicht gab, selbst zu veröffentlichen.
Eine Demütigung für den Generalsekretär.
So oder so: Djir-Sarai war nicht zu halten.
Mit ihm riss der liberale Furor gleich noch seinen wichtigsten Mitarbeiter in den Abgrund: Auch Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann gibt – ganz sicher nicht freiwillig – sein Amt auf. Keine 100 Tage vor der vorgezogenen Bundestagswahl stehen die Liberalen jetzt ohne die fest eingeplanten wichtigsten Wahlkampfmanager da.
Der geschasste Generalsekretär und sein Geschäftsführer sind Bauernopfer, wie sie im Handbuch der politischen Intrige stehen: Sie sollen den allgemeinen Ärger über das „D-Day-Papier“ auf sich ziehen und damit von Parteichef Christian Lindner ablenken. Wenn das überhaupt funktioniert, dann nur innerhalb der liberalen Blase – denn außerhalb der Partei sind Djir-Sarai und Reymann ohnehin so gut wie unbekannt.
Derweil führt die zweite Reihe der Partei vor, weshalb sie nach allen aktuellen Umfragen den Sprung in den nächsten Bundestag recht sicher verpassen wird.
Da sind jene, die sich jetzt durch Nachtreten einen schlanken Fuß machen wollen. Die Vorsitzende der FDP-Jugendorganisation, Franziska Brandmann, war natürlich bei allen wesentlichen Strategiesitzungen der Parteispitze dabei. Doch jetzt kann sie sich gar nicht schnell genug distanzieren: „Ich wurde getäuscht“, behauptet sie. Das kritisierte Papier sei „einer liberalen Partei unwürdig“.
Zur Erinnerung: Brandmann betreibt beruflich eine Agentur, die Politikern dabei hilft, angebliche Schmähungen von Bürgern im Internet aufzuspüren und anzuzeigen. Diese Merkantilisierung der Meinungsunterdrückung empfindet Brandmann nicht als unwürdig. Die Umbenennung der „Jungen Liberalen“ in „Junge Denunzianten“ steht vermutlich unmittelbar bevor.
Weiter sind da jene, die kritische Geister und eine eigene Meinung auch innerhalb der Partei endgültig ausmerzen wollen. Zuvorderst ist da Bettina Stark-Watzinger zu nennen, ihres Zeichens FDP-Landesvorsitzende von Hessen.
Als Bundesbildungsministerin fiel Stark-Watzinger nur einmal auf: als ihr Haus Israel-feindliche Wissenschaftler nicht auch noch mit Steuergeld fördern wollte. Das hätte Rückgrat gezeigt und wäre ein respektabler Schritt gewesen – wenn die Dame ihn denn gegangen wäre. Tat sie aber nicht. Beim kleinsten Zeichen von Gegenwind knickte Stark-Watzinger ein und schob flugs alle Schuld auf ihre loyale Staatssekretärin, die sie auch gleich noch hinauswarf.
Das brachte Stark-Watzinger bei vernünftig denkenden Liberalen einige Kritik ein. Dafür revanchiert sich die 56-Jährige jetzt: Sie hilft kräftig dabei mit, dass die damaligen Kritiker nicht wieder als Bundestagskandidaten aufgestellt werden.
In ihrem eigenen Landesverband sorgte sie dafür, dass die tapfere und konservative Katja Adler keinen aussichtsreichen Listenplatz mehr bekommen hat. Und in Brandenburg hilft sie dabei, dass die im Land populäre und ebenfalls eher konservative Linda Teuteberg nicht wieder in den Bundestag kommt: Stark-Watzinger fördert nach Kräften einen jungen Mann, der gute Aussichten hat, Teuteberg den einzig aussichtsreichen Listenplatz abzunehmen.
Der junge Mann arbeitet zufällig in Stark-Watzingers Bundestagsbüro.
So säubert die FDP ihre Kandidatenlisten von den letzten nicht völlig stromlinienförmigen Figuren. Weitermachen wollen (und dürfen wohl auch) dagegen all jene, die für den dramatischen Niedergang der einstigen Bürgerrechtspartei maßgeblich verantwortlich sind – allen voran Parteichef Christian Lindner und sein ewiger Chef-Einflüsterer Marco Buschmann.
Man könnte noch so einiges über die illiberalste liberale Partei der deutschen Geschichte schreiben. Aber bis hierin hat dieser Text schon 5.831 Zeichen (inklusive Leerzeichen). Das sollte reichen für einen Klub, der nur noch gegen sich selbst intrigiert – und den ansonsten kein Mensch in diesem Land mehr braucht.