Tichys Einblick
Massive Zuwanderung Ungelernter geplant

Die Einwanderungswünsche von FDP-Fraktionschef Dürr sind wirklichkeitsblind

Laut dem FDP-Fraktionschef im Bundestag setzt die Ampel auf eine massive Zuwanderung gelernter wie ungelernter Menschen nach Deutschland. Was Dürr bei seinen vermeintlichen Renten-Berechnungen vergisst, das sind die Menschen im Land.

IMAGO / Christian Spicker

Liegen die Dinge wirklich so, wie FDP-Fraktionschef Christian Dürr es nun gegenüber der Welt behauptete? „Die Situation ist dramatisch, und weil das so ist, brauchen wir Einwanderung“, sagte er, als ihn die Welt-Redakteure nach den fehlenden Fach- und Arbeitskräften fragten. Das erfordere allein das Rentenniveau, das bald durch die Babyboomer belastet werde. Eine sichere Rente ohne massive Zuwanderung gibt es laut Dürr nicht, obwohl er selbst einen Satz davor von alternativen Finanzierungsmodellen – etwa der vereinbarten Aktienrente – gesprochen hat.

Tatsächlich macht es eher den Eindruck, dass Dürr sich hier in unverantwortlicher Weise tagespolitischen Stimmungslagen und Themen hingibt – etwa den akuten Engpässen in der Gastronomie oder an Flughäfen, die vor allem durch mangelnde Vorbereitung auf die Nach-Corona-Zeit bedingt sind.

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Dürr will uns allen Ernstes glauben machen, dass sich der deutsche Arbeitsmarkt seit den Siebzigerjahren abgeschottet habe. Doch egal, ob das stimmt oder nicht: Das Land hat sich sicher nicht von Migration abgeschottet, auch wenn Anfang der Neunzigerjahre die Asylgesetzgebung dahingehend geändert wurde, dass sie die EU-Dublin-Regelungen praktisch vorwegnahm, die inzwischen allerdings auch nicht mehr angewendet wird.

Migration ins wiedervereinte Deutschland fand seit 1990 laufend und in sehr hohen Zahlen statt, egal ob es nun die von Bosniern und Kosovaren war oder von Asylbewerbern oder von EU-Bürgern, die von der Freizügigkeit profitierten. Seine Aussage ist insofern schlicht absurd, auch wenn man sieht, wie „bunt“ Deutschland in dieser Zeit geworden ist, mit welch hohen Anteilen an Menschen mit Migrationshintergrund es gesegnet oder „gesegnet“ ist (mal so und mal so).

Das beste „Chancenaufenthaltsrecht“ schafft keine Chancen

Allenfalls ist Dürr recht zu geben, wenn er beklagt, dass mittels dieser Migration – durch einen Teil davon – Menschen nach Deutschland gekommen sind, die nicht arbeiten dürfen. „Hunderttausende von Menschen“ seien davon betroffen, die seit Jahren in Deutschland leben. Darin könnte man sogar einen zentralen Knackpunkt unserer Migrationsgesetzgebung sehen. Denn die Einwanderung durch das Wörtchen „Asyl“ stellt noch immer ein weit geöffnetes Scheunentor nach Deutschland dar und führt zu genau diesem Zustand: Menschen sind in Deutschland, weil sie Asyl bekommen haben oder auch nicht und kaum abgeschoben werden können.

Doch der schönste Schutz- oder subsidiäre Aufenthaltsstatus, das beste „Chancenaufenthaltsrecht“ der Ampel – das klammheimlich auch von unionsgeführten und schwarz-gelben Landesregierungen seit längerem praktiziert wird – gewähren eben dies eine nicht automatisch: eine reelle Chance, am hiesigen Arbeitsmarkt teilzunehmen. Diese Teilnahme muss sich jeder selbst erarbeiten, und es ist nicht gesagt, dass ihn die Gesellschaft oder die Einheimischen dabei unterstützen. Denn auch das liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen, der eine Reise unternimmt – und als nichts anderes muss man die Migration der meisten, die heute aus anderen Weltteilen nach Deutschland kommen, ansehen.

Hier hat Dürr also einen Punkt, wenn er nach der Ankunft und dem wie auch immer gesicherten Bleibestatus verlangt, dass so jemand auch arbeiten müsse. Die Versorgung durch den deutschen Wohlfahrtsstaat ist ein Hauptargument für die Armuts- und Wirtschaftsmigration der vergangenen Jahre und Jahrzehnte. Es wäre an der FDP hier mit marktwirtschaftlichem Kompass Stellschrauben zu verstellen und anzuziehen. Aber nichts davon ist in Dürrs Interview mit der Welt zu lesen. Nur eines will er offenbar versuchen: Allen, die hier sind, eine Arbeitserlaubnis geben. Dass sie diese Erlaubnis aber zum Arbeiten bringt, ist weder von Seiten der Migranten und ihrer Motivation noch von Seiten der Gesellschaft vorauszusetzen.

Wie lange währt der Arbeitskräftemangel und wie lange unsere Fürsorgepflichten?

Und noch eines, das man an Dürrs Intervention nicht übersehen sollte: „Es geht um dringend nötige Einwanderung auf allen Ebenen in den Arbeitsmarkt. Wer von eigener Hände Arbeit leben kann, der ist willkommen.“ Durch diese Formulierung spricht sich Dürr ausdrücklich auch für die Zuwanderung weiterer gering oder auch gar nicht qualifizierter Arbeitskräfte in den deutschen Arbeitsmarkt aus. Was mit den real mehr als vier Millionen Arbeitslosen in Deutschland passieren soll, ein großer Teil von ihnen Migranten, lässt er dagegen offen. Unter ihnen fänden sich sicher genug Ungelernte, um die offenen Stellen zu füllen. Nebenbei erweist sich so auch das monumentale Scheitern der „Integrationspolitik“ vor allem der vergangenen sieben Jahre, die uns wohl deutlich mehr als eine Million arbeitslose Asylzuwanderer bescherte (wenn man die versteckten Arbeitslosen berücksichtigt).

Auch die Rentenansprüche, die sich Geringqualifizierte hierzulande erwerben, stören ihn nicht. Ihm geht es jetzt darum, Feuerwehrmann zu spielen für die Wirtschaftszweige, die gerade am akuten Arbeitskräftemangel leiden – auch weil nicht rechtzeitig ausgebildet und angeworben wurde. Doch wie lange wird dieses Leiden währen und wie lange muss Deutschland sich danach um die Ansprüche der Zugewanderten kümmern? Diese Fragen stellt er nicht, auch die Welt stellt sie nicht. Dabei wäre es durchaus die Aufgabe einer als Marktpartei bekannten FDP, die den Finanzminister stellt, auch über den Abfluss staatlicher Gelder in ein stetig wachsendes Sozialsystem zu sprechen, anstatt nur darüber, wie man noch mehr Förderungs- und potentielle Sozialfälle ins Land holt.

Aber gut, Dürr reicht es ja, wenn seine FDP-Minister sich jeweils für ein Themen-Etikett qualifiziert haben: Christian Lindner – der gerade unter großem Schutzaufgebot auf Sylt heiratete – steht demnach für die Schuldenbremse, der Verkehrsminister kämpfe mit kaputter Infrastruktur, der Justizminister gegen die Coronapolitik der eigenen Koalitionspartner, und die Bildungsministerin will das BAföG reformieren. Mit anderen Worten: Die FDP ist weithin in Abwehrgefechte und Kleinigkeiten verhakt. Einen eigenen Markenkern präsentiert sie nur noch als Negation der Forderungen anderer. Anstatt sich für Einsparungen und Steuersenkungen, für Wissenschaftsfreiheit und Aufbau einzusetzen, versucht sie den Status quo zu halten oder etwas zu verschönern. Das reicht vielleicht zum Erhalt der Koalition, nicht aber zu ihrer Fortsetzung.

Eine Funktionärsschicht, die ihre eigenen Swimmingpools hat

Vor allem sollte sich die FDP aber nicht darauf verlassen, dass alles, was ihren Funktionären als Gesellschaftsumbau sinnvoll erscheint, auch von den Wählern gut gefunden wird. Die Schleifung des Paragraphen 219a, die hingenommene Benennung von Ferda Ataman zur „Antidiskriminierungsbeauftragten“ und nun die Zustimmung zur Einwanderung „neuer“ Fach- und Arbeitskräfte weisen alle in diese Richtung und zeigen die FDP als eine Partei, die sich vom populären Konsens verabschiedet und identitätspolitischen und rein technokratischen Argumenten nachgibt.

Es ist auch die Politik einer Funktionärsschicht, die nicht zusammen mit dem Volk lebt, sondern ihre eigenen Viertel, Swimmingpools, Restaurants und so weiter hat. Da fällt es natürlich schwer, die Realität von Duisburg-Marxloh oder Berlin-Neukölln in die eigenen technokratischen Gestaltungswünsche zu integrieren. Denn man müsste diese Realität zunächst einmal kennen, und zwar genau, um sie zu berücksichtigen. Und es ist nicht nur eine Realität von Ausländern oder Menschen mit Migrationshintergrund, sondern auch die von vielen nicht eingewanderten Deutschen.

Vor der Realität der Zuwanderung ungelernter „Arbeitskräfte“ (schon Max Frisch wusste, dass immer Menschen kommen) verschließen diese Planer die Augen. Sie schauen auf die nächste Grenze, die sie im Interesse der Geopolitik, bestimmter Arbeitgeber oder wessen auch immer öffnen können. Der nordafrikanische Maghreb könnte gemäß den Plänen der EU-Kommission der nächste Kandidat sein.

Das kommende Chancenaufenthaltsrecht der Ampelkoalition, das langjährig Geduldeten ohne wirkliches Aufenthaltsrecht ein dauerhaftes Bleiberecht verschaffen soll, hat übrigens auch der Ex-Integrationsminister von NRW, Joachim Stamp (FDP), in origineller Weise begrüßt: „Ich begrüße den Entwurf ausdrücklich, weil er genau das umsetzt, was mein Anliegen an dieser Stelle war und wir in NRW im Rahmen der derzeitigen gesetzlichen Möglichkeiten bereits umsetzen.“ Es geht also gar nicht um irgendwelche Rechtsbestimmungen – legale oder illegale Einreise, Schutzstatus oder nicht. Das Verwaltungshandeln einer Landesregierung steht im Zweifel ohnehin darüber. Und die freien Demokraten wirken an dieser rechtlosen Praxis nach Kräften mit.

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