Tichys Einblick
Vorzeichen der Ampel-Koalition

Die FDP wird in der Ampel ihre Versprechen nicht halten können

Das Jahrzehnt der Verteilungskämpfe bricht an, und der FDP stehen in einer Ampel-Koalition schwierige Jahre bevor. Schließlich hat sie ihren Wählern versprochen, dass sie höhere Steuern ablehnen und die Schuldenbremse verteidigen wird – nahezu unmöglich angesichts der Vorhaben von SPD und Grünen.

imago images / Christian Spicker

Es spricht alles dafür, dass es bei den Verhandlungen zur Bildung einer sogenannten Ampel-Koalition irgendwie zu einer Einigung kommen wird, auch um den Preis brüchiger Formelkompromisse, die dann später zu schweren Konflikten führen können. Für die FDP wird es mangels einer Alternative sehr schwer sein, sich aus den bereits begonnenen Verhandlungen wieder zurückzuziehen.

Kontrovers dürften vor allem der Umgang mit der Schuldenlast des Staates und die Steuerpolitik sein. Die FDP hat ihren Wählern eine Ablehnung höherer Steuern und eine Verteidigung der Schuldenbremse versprochen. Wenn es dabei bleibt, wie wollen dann SPD und Grüne ihre ehrgeizigen Projekte durchsetzen? Die SPD hat die Wahlen ja nicht zuletzt deshalb gewonnen, weil sie den Bürgern unrealistische Versprechungen mit Blick auf Renten und Sozialleistungen gemacht hat. Schon der Wohlfahrtsstaat in der jetzigen Form wird bereits in wenigen Jahren kaum noch finanzierbar sein, erst recht gilt das aber, wenn man, wie es zumindest die deutliche Mehrheit der Fraktionsmitglieder der SPD sicher wünscht, noch weitere Leistungen für sozial Schwächere und Rentner draufsattelt. Das Problem verschärft sich noch dadurch, dass die radikale Energiewende, auf die vor allem die Grünen bestehen werden, für viele Menschen das Leben deutlich verteuern wird. Es genügt hier auf Heizungskosten und Benzinpreise, aber auch weitere Preissteigerungen, die sich aus erhöhten Produktionskosten der Industrie ergeben, zu verweisen.

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Die wieder selbstbewusster gewordene SPD wird darauf dringen, diese Wohlstandsverluste durch Umverteilung auszugleichen, was ohne höhere Steuern oder höhere Schulden kaum möglich sein wird. Dazu kommt der Umstand, dass Altersarmut in Deutschland in den nächsten Jahren ein immer größeres Problem werden wird. Dafür wird im Zweifelsfall auch die von der SPD und ihrem Hausökonomen Marcel Fratzscher so verehrte EZB mit ihrer Politik der finanziellen Repression sorgen, denn sie wird die traditionelle private Altersvorsorge der Deutschen über Lebensversicherungen, Betriebsrenten und ähnliche Instrumente endgültig zur Makulatur werden lassen, von den steigenden Mieten und Immobilienpreisen einmal ganz abgesehen. Auch dies wird einen Druck entstehen lassen, mehr Einkommen umzuverteilen oder bestimmte Kostenfaktoren wie Miete durch staatliche Vorschriften (Mietpreisbremse etc.) zu dämpfen. Auf all diesen Feldern sind Konflikte mit der FDP natürlich vorprogrammiert.
Es wird immer mehr gemeinsame europäische Schulden und mehr Schattenhaushalte geben, die die Schuldenbremse ad absurdum führen

Die Lage wird dadurch verschärft, dass Olaf Scholz, der Mann, der uns mit hoher Wahrscheinlichkeit die nächsten vier, vermutlich aber sogar die nächsten acht Jahre lang regieren wird, ein dezidierter Befürworter einer noch stärkeren Vergemeinschaftung von Schulden in Europa ist. Nicht umsonst hat er mit Blick auf den schuldenfinanzierten Corona-Wiederaufbaufonds der EU von einem Hamilton-Moment gesprochen, damit auf die Übernahme der Schulden der Einzelstaaten in den USA durch die amerikanische Bundesregierung im Jahr 1790 anspielend. Dieser Kurs, den Scholz sicher im Kanzleramt weiterverfolgen wird, gibt unseren Partnern in der EU die Möglichkeit, ihren Sozialstaat zumindest indirekt aus dem EU-Etat, dessen Schuldenlasten dann in überproportionaler Weise von Deutschland zu tragen wären, zu finanzieren. Umso schwerer wird es dann vermutlich sein, den deutschen Bürgern trotz ihrer unbegrenzten EU-Gläubigkeit am Ende klar zu machen, dass sie auf Dauer mit niedrigeren Renten leben müssen als beispielsweise die Franzosen oder andere Europäer.

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Wie Scholz jetzt doch noch Kanzler einer Rot-Rot-Grünen-Koalition wird
Schon deshalb kann die Europapolitik von Scholz eigentlich nicht im Sinne der FDP sein, aber da sie schon in den Jahren 2009 bis 2013, als sie das letzte Mal Mitglied der Regierung war, allen Rettungsaktionen zugunsten Griechenlands und anderer Defizitländer in der Eurozone ohne allzu langes Zögern zugestimmt hat, wird sie sich diesmal mit hoher Wahrscheinlichkeit ähnlich verhalten. Gemeinsame europäische Schulden sind verborgene Schulden: Sie tauchen unter den nationalen Schulden nicht auf und werden auch nicht auf die Schuldenobergrenze angerechnet. Ihre Auswirkungen auf die zukünftigen Ausgaben des deutschen Staates kann der Laie in der Regel nicht einschätzen, sodass es relativ leicht ist, ihn mit allerlei Märchen abzuspeisen. Das allein schon macht gemeinsame europäische Schulden für Politiker attraktiv.

Wenn man die Schuldenbremse also umgehen will, ist, neben anderen Mitteln, der Umweg über Brüssel unter Umständen kurzfristig durchaus lohnend, auch wenn Deutschland damit Verpflichtungen eingeht, die auf Dauer finanziell kaum tragbar sein werden, es sei denn, es kommt zu einer weitgehenden Monetarisierung der Schulden, indem die Anleihen dauerhaft in den Besitz der EZB übergehen. Das allerdings wird früher oder später zu einer trabenden Inflation führen, die jetzt schon in ihren Anfängen erkennbar ist. Diese Inflation wiederum wird die Verteilungskonflikte in der Gesellschaft noch einmal drastisch verschärfen. Das allerdings wird einer politischen Klasse, die fast immer nur kurzfristig denkt, gleichgültig sein. Auch jenseits der EU-Schuldenaufnahme ist damit zu rechnen, dass in den nächsten Jahren vermehrt zusätzliche Schulden in allen möglichen Schattenhaushalten versteckt werden, denn der FDP wird es immer noch sehr viel leichter fallen, hier wegzusehen, als Steuererhöhungen, die ihre eigene Klientel spürbar treffen, zuzustimmen.

Der Lebensstandard wird sinken, also brauchen wir Brot und Spiele und eine stärkere Lenkung der politischen Meinungsbildung

Auch zusätzliche Schulden werden freilich nicht verhindern können, dass große Teile der Bevölkerung in den nächsten Jahren mit einem sinkenden Lebensstandard rechnen müssen. Die Alterung der Bevölkerung bei steigenden Kosten für Rente und Gesundheit sowie geringe Produktivitätssteigerungen in der Wirtschaft in Verbindung mit der kostspieligen Klimawende machen das nahezu unvermeidlich. Grüne und SPD werden daher versuchen, ihre Wähler durch die Konzentration auf andere Themen von dieser Entwicklung abzulenken. In beiden Parteien hat das Modell einer illiberalen, gelenkten Demokratie, das sich als wehrhafte Verteidigung der Verfassung gegen „gefährliche“ Meinungen inszeniert, viele offene und noch mehr heimliche Anhänger. Das neue Demokratieförderungsgesetz geht bereits in diese Richtung, wenn man genau hinsieht. Weitere Maßnahmen werden folgen.

Glosse
Fangt endlich an mit der Ampel – aber richtig
Überdies wird man immer stärker versuchen, das Leistungsprinzip durch Diversitätsquoten nicht nur für Frauen, sondern auch für Minderheiten jeder Art zu ersetzen, zunächst im staatlichen Bereich, wo das heute bereits zum Teil der Fall ist, dann auch in der Wirtschaft. Gerade Letzteres kann die FDP eigentlich nicht mittragen. Aber wird sie, wenn sie einmal der Regierung angehört, noch die Kraft haben, Nein zu sagen? Das ist zweifelhaft. Das könnte für die Partei gefährlich werden, namentlich dann, wenn die CDU in der Opposition doch wieder zu einem eigenen Kurs findet, denn 50 bis 60 Prozent der FDP-Wähler von heute dürften auch potenzielle CDU-Wähler sein. Die FDP muss somit darauf hoffen, dass sich in der CDU zumindest aufs Erste diejenigen durchsetzen werden, die den Grund für die Wahlniederlage darin sehen, dass die Union nicht wie die SPD für noch mehr soziale Wohltaten eingetreten ist und auch sonst zu weit nach „rechts“ gerückt sei. Dieses Argument ist natürlich absurd, aber viele derjenigen, die unter Merkel in der Partei nach oben gekommen sind, glauben daran und werden ihre Position mit Klauen und Zähnen verteidigen.

Und immerhin gibt es auch Felder, auf denen sich gemeinsame Projekte von FDP und Grünen entwickeln lassen, so etwa die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre, in der Hoffnung, dass die jungen Wähler dann mehrheitlich FDP oder Grüne wählen werden; die sehr rasche Einbürgerung von Immigranten jedweder Art, die dann auch das Wahlrecht erhalten würden; und die noch weiter gehende Marginalisierung des traditionellen Familienmodells, etwa durch die Legalisierung der Leihmutterschaft, die die Möglichkeit eröffnen würde, sich Kinder faktisch zu kaufen. Das würde für manche FDP-Wähler vermutlich attraktiv sein, denn wenn der Markt alles regelt, warum sollten dann nicht auch Kinder auf dem Markt erhältlich sein, wenn man genug Geld hat?

Koalitionspoker 2021
Am Ende kommt es wahrscheinlich anders, als man denkt
Durch solche Maßnahmen der scheinbaren „Modernisierung“ und „Liberalisierung“ könnte man in der Ampel-Koalition anfangs ein Klima der Euphorie schaffen, das auch die SPD erfassen würde. Nach rund drei Jahren wird dann vermutlich allerdings ein Katzenjammer über die Wirtschafts- und Finanzpolitik ausbrechen. Spätestens in der nächsten Legislaturperiode in vier Jahren wird man dann die vielen ungedeckten Wechsel bedienen müssen, die Merkel ausgestellt hat, und auch diejenigen, die eine Regierung Scholz in den nächsten Jahren noch unterschreiben wird.

Es wird eine Zeit harter Maßnahmen beginnen, wie seinerzeit in der zweiten Hälfte der Kanzlerschaft Schröders. Ob das freilich noch in einer Ampel-Koalition geschehen wird, oder vielleicht doch eher in einer erneuten Großen Koalition, dann aber unter Führung der SPD, das bleibt abzuwarten. Bis dahin kann man ja den Aufbruch in eine glänzende grün-liberale Zukunft unter sozialdemokratischer Führung feiern. Würde auch noch Cannabis legalisiert werden, wie die FDP das offenbar wünscht, wird das die gute Stimmung sicher noch heben. Manchmal ist es ja auch ein Vorteil, wenn man die Realität nicht mehr so ganz klar wahrnimmt, wobei man fairer Weise einräumen muss, dass viele Politiker dafür keine Rauschmittel benötigen.

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