Tichys Einblick
Vorm Finale der Champions League

Farmteams oder Operetten-Clubs: Wohin geht die Bundesliga?

Bayern München und Borussia Dortmund bestritten vor zehn Jahren das Finale der Champions League. Seitdem ist der deutsche Fußball abgerutscht – auch weil die Bundesliga ihre Rolle nicht findet.

IMAGO / Action Plus

Das deutsche Finale in der Champions League hat sich in diesen Tagen zum zehnten Mal gejährt. 2013 hatte Altmeister Jupp Heynckes Bayern München wieder zur alten Stärke geformt und zu einem 2:1 gegen das Team Borussia Dortmund von Jürgen Klopp geführt, dessen Weltkarriere mit dem Finale erst so richtig begann. Auf dem Platz stand der Kern der Mannschaft, die ein Jahr später in Brasilien Weltmeister wurde – und dabei den Gastgeber in einem denkwürdigen Halbfinale mit 7:1 vom Platz fegte. Der deutsche Fußball stand auf einem Höhepunkt wie selten zuvor – danach ging’s bergab.

In den nächsten beiden Weltmeisterschaften kam die Nationalmannschaft, formerly known as „Die Mannschaft“, nicht über die Vorrunde hinaus. Von 20 Teilnehmern in Finalspielen der Champions League stellte Deutschland nur einen. Und das auch nur aufgrund einer historischen Ausnahmesituation: Im Coronajahr 2020 stieg die Bundesliga vor den meisten anderen europäischen Ligen wieder in den Wettbewerb ein. Das erlaubte Bayern München, ohne Doppelbelastung genug Punkte im nationalen Wettbewerb zu sammeln, um dann später den Rücken für die Champions League frei zu haben, während die Mannschaften anderer Länder da eben eine Doppelbelastung erlebten.

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Der Niedergang des deutschen Fußballs hängt stark mit der Bundesliga zusammen. Der Weltmeister von 2014 bestand zum größten Teil aus Spielern, die Nachwuchs-Mannschaften des FC Bayern durchlaufen hatten: Lahm, Hummels, Schweinsteiger, Kroos oder Müller. Der Rekordmeister setzte seinerzeit auf eigene Talente und ergänzte diese vereinzelt durch zugekaufte Weltklasse-Spieler: Ribéry, Robben oder Mandžukić. Letztere waren schon Stars, als sie nach München kamen, entwickelten sich dort aber weiter. Robben und Mandžukić reiften an der Isar zu Spielern, die mit den Niederlanden beziehungsweise Kroatien ein WM-Finale erreichten.

Die Einkaufspolitik der Bayern hat sich geändert. Sie geben jetzt viel Geld aus für Spieler, die in anderen Ligen ihren Höhepunkt erleben, diesen aber halt hinter sich haben. Etwa Sadio Mané. Der 31-Jährige hatte laut Transfermarkt.de einen Marktwert von 150 Millionen Euro – vor vier Jahren, in Liverpool. Nun prügelt der Senegalese sich mit Mitspielern und nach 60 Minuten geht ihm auf dem Platz die Luft aus. 22 Millionen Euro betrug laut Transfermarkt.de der Marktwert von Daley Blind. Vor sechs Jahren. In Manchester. Vor einem halben Jahr wechselte der 33-Jährige nach München. Der deutsche Topclub ist zum Ausklingbecken für Weltklassespieler geworden.

Das hat strukturelle Gründe. Die englische Premier League ist finanziell der Bundesliga enteilt. Dort bekommen die Clubs doppelt so viel TV-Geld wie in Deutschland, die Eintrittspreise sind höher, es gibt kein Geheule von Stehplatz-Nostalgikern und am allerwichtigsten: Die englischen Clubs sind zum Spielzeug von Milliardären geworden, vor allem aus dem arabischen Raum. Deutschland sperrt sich gegen Investoren.

Trotzdem verfügt die Bundesliga über deutlich mehr Geld als die erste Liga in Italien. Trotzdem stellt die in diesem Jahr mit Inter Mailand einen Finalisten in der Champions League. Mit dem AC Mailand erreichte ein zweites Team das Halbfinale. Es wäre Spekulation zu sagen, dass in Italiens Fußball härter gearbeitet wird als in Deutschland. Aber es lässt sich in der Relation aus eingesetztem Geld und internationalen Erfolgen belegen, dass in Italien effektiver gearbeitet wird.

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Auf mittlere Sicht wird sich der deutsche Fußball damit abfinden müssen, dass der englische ihm den Rang abgelaufen hat. Auf dem asiatischen und auch dem amerikanischen Markt identifizieren die Fans: Europäischer Fußball ist gleich englischer Fußball. Die Geldschere geht daher eher weiter auseinander, statt sich zu schließen. Für die Bundesliga reicht es nur noch dazu, abgetragene Spieler wie Mané oder Blind aufzutragen. Oder wie Borussia Dortmund zum Farmteam für den britischen Fußball zu werden. Sie holen Spieler, die noch zu jung sind für England oder sich dort im ersten Anlauf nicht durchsetzen konnten. Sammeln sie in Deutschland Spielerfahrung und reifen doch noch zur Weltklasse, kehren sie nach England zurück. Stagnieren sie, werden sie zur hoch bezahlten Last für die Bundesliga.

Die gute finanzielle Ausstattung wird somit zum Problem für die Bundesliga: Für die englische Weltklasse reicht es nicht. Aber sortieren die Engländer Spieler aus – dauerhaft oder vorläufig –, kommt für diese fast nur der deutsche Markt in Frage. In Belgien, den Niederlanden oder der Schweiz wollen, vor allem aber können die Vereine nicht deren Gehaltsvorstellungen entsprechen. Dieser Zwischenstatus tut der Bundesliga aber nicht gut.

Die Clubs, die einst versucht haben, international mitzuhalten, sind national abgesackt: Werder Bremen versucht, sich mit Problemen wieder in der Bundesliga zu etablieren. Schalke 04 und Hertha BSC Berlin steigen in die Zweite Liga ab. VfB Stuttgart und der HSV kämpfen in der Relegation um den letzten Platz in der Bundesliga. Clubs wie der 1. FC Kaiserslautern haben gänzlich den Kontakt zur ersten Liga verloren – vom internationalen Geschäft nicht zu sprechen.

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In den Jahren ihres Niedergangs waren diese Vereine Operetten-Clubs. Sie haben unglaublich viel Geld verbrannt, ohne eine entsprechende Leistung zu bringen. Etwa der „Big City Club“: 375 Millionen Euro eines Investors machte die Hertha zu einem unter Schulden lastenden Kontostand und einer nicht wettbewerbsfähigen Mannschaft. Nimmt die DFL ihren Anspruch ernst, auf seriöses Wirtschaften zu achten, dürften die Berliner keine Lizenz erhalten. Erfolge, nationale wie internationale, blieben bei diesen Clubs weitgehend aus. Dass Eintracht Frankfurt im vergangenen Jahr den Cup der Verlierer gewann, war ein Schluck Wasser in der Wüste.

Während die Operetten-Clubs viel Tradition und viel Geld für sich in Anspruch nahmen, aber trotzdem sportlich abrutschten, etablierten sich andere Clubs in der Bundesliga: Union Berlin, SC Freiburg, Mainz 05 oder der FC Augsburg pendelten lange zwischen zweiter und dritter Liga, haben sich aber jetzt in der Bundesliga fest etabliert. Darmstadt 98 und der 1.FC Heidenheim kommen im nächsten Jahr dazu. Sie sind echte Farmteams.

Das heißt: Sie setzen vor allem auf junge Spieler, die sie aus dem Nachwuchs oder unteren Ligen des In- und Auslands nach oben bringen. Dabei haben sie zwei Einnahmequellen: TV-Gelder, Eintrittskarten und Werbung finanzieren den Betrieb, Spielerverkäufe ermöglichen diesen Vereinen den wirtschaftlichen Aufstieg und helfen ihnen, sich langfristig in der Bundesliga zu etablieren.

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Doch diesem Konzept sind enge Grenzen gesetzt. Zum einen sind selbst die Jugendteams weltweit durchgescoutet. Die ganz großen Talente entgehen den ganz großen Clubs nicht, sodass sie diese schon früh an sich binden. Schaffen diese den Durchbruch nicht, geht es erst einmal in die Bundesliga, um sich dort eine zweite Chance zu verschaffen. Sind sie so gut, dass sie diesen Umweg nicht nötig haben, sehen deutsche Stadionbesucher sie nur im Urlaub oder in der Champions League – in der Vorrunde.

Zum anderen können Spieler seit dem Bosman-Urteil die Spieler nach auslaufendem Vertrag ablösefrei wechseln. Das heißt: Vereinen wie dem SC Freiburg oder Union Berlin bleibt eigentlich nur ein Jahr, in dem sich Talente durchsetzen müssen. Schaffen diese den Durchbruch erst später, sind sie nach den ersten guten Spielen weg und dem Verein bleibt nichts außer den Jahren, in denen sie diese Talente dafür gut bezahlt haben, auf der Tribüne oder der Ersatzbank zu sitzen.

Deswegen setzt sich in der Bundesliga immer stärker eine dritte Art von Clubs durch – die „Vereine“, die das Investoren-Verbot umgehen: RB Leipzig, Bayer Leverkusen, VfL Wolfsburg oder TSG Hoffenheim. Wobei die im Geldverbrennen noch größere Operetten-Clubs als die Traditionsvereine sind. Zum Beispiel der VfL Wolfsburg. Der Volkswagen-Club hätte das Zeug, um die Meisterschaft zu spielen, kämpfte aber lange gegen den Abstieg. Das heißt: Gekämpft haben die Spieler eigentlich erst, als es ernst wurde. Dann marschierten sie locker durch bis fast ins internationale Geschäft. Doch die Millionäre konnten diese unerwünschte Zusatzarbeit abwehren, indem sie am letzten Spieltag zuhause gegen die bereits abgestiegene Hertha verloren. Nach Führung. Kein großes Drama. Eher ein wenig lustig, aber meist fad. Operette halt.

Die Champions League gewinnt vermutlich das Milliardärs-Spielzeug Manchester City. Ein Sieg von Inter Mailand wäre eine erfreuliche Atempause. Aber am Ende gehen die guten Spieler dorthin, wo das große Geld ist – und das ist England. Angesichts der Geld-Schere werden andere Ligen nicht mithalten können. Sinnvoller wäre es, sich ehrlich zu machen und auf Farmteams zu setzen, die junge Spieler aufbauen. Selbst wenn es dann nicht mehr zu internationalen Titeln reicht, bekommen die Zuschauer wenigstens ehrliche Arbeit zu sehen.

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