Tichys Einblick
Ampel-Pläne ohne Genuss

Der falsche Krieg gegen den Zucker

Die Ampel will den Deutschen den Zuckerkonsum austreiben. Aber was ist dran am Märchen, dass Zucker uns dick und Verzicht uns dünn macht? Wie ungesund ist süßer Genuss wirklich?

Die Zuckersteuer hat es zwar bei den Koalitionsverhandlungen der Ampel nicht in den Koalitionsvertrag geschafft. Allerdings sollen „wissenschaftlich fundierte und auf Zielgruppen abgestimmte Reduktionsziele für Zucker, Fett und Salz“ geschaffen werden. Beruhigend ist das nicht, denn – egal ob Steuer oder „Reduktionsziel“ – die Politiker wollen uns offenbar an den Zucker und damit an den Genuss!

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Nun mag der eine oder andere denken, dass die Regierung mit ihren Steuerplänen zwar etwas übergriffig sei, aber doch eigentlich nur unser Bestes wolle. Man müsse doch wirklich aufpassen, dass man nicht zu viel Zucker zu sich nimmt – schließlich mache das weiße Zeug dick und krank. Ich habe das selbst schon zuhauf in Zeitschriften gelesen, und auch in meinem Studium wollten sie uns angehenden Ärzten beibringen, Patienten eine zuckerarme Ernährung zu empfehlen. Fakt ist aber: Es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis dafür, dass Zucker per se zu Übergewicht und Krankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Störungen und Krebs führt.

Dabei geben sich die Forscher wirklich alle Mühe, den Zucker als Verursacher der sogenannten Zivilisationsleiden auszumachen, und führen viele Studien zu dem Thema durch. Das wäre ja auch etwas, wenn man beweisen könnte, dass Zucker ein Auslöser von Kreislauf- und Krebserkrankungen ist, also den zwei häufigsten Todesursachen in Deutschland. Und wenn er dann auch noch am lästigen Übergewicht der Deutschen schuld wäre! Ein Traum für alle Wissenschaftler und Mediziner. Ärzte müssten bei Herzleiden nur noch Zuckerverzicht verschreiben statt unangenehmer Herzmedikamente, und kein Dicker müsste sich mehr mit Joggingeinheiten quälen, solange er seine Ernährung zuckerfrei gestaltet. Aber wie so oft im Leben, gilt auch in der Wissenschaft: Nur, weil man etwas ganz doll will, ist es nicht automatisch Wirklichkeit. So ist es auch beim Zucker.

Tatsächlich hat der süße Stoff auf Übergewicht genauso viel (beziehungsweise wenig) Einfluss wie alle anderen kalorienhaltigen Nährstoffe auch – und kann entsprechend nicht die Ursache der Extrapfunde sein. Das zeigte unter anderem die Ernährungsforscherin Lisa Te Morenga in einer Metaanalyse aus dem Jahr 2012. Die Wissenschaftlerin untersuchte 30 klinische Studien zum Zusammenhang von Zucker und Übergewicht und kam zum Ergebnis: Unter isokalorischen Bedingungen nehmen Probanden, die ihre Zuckeraufnahme reduzieren, weder zu noch ab. Das bedeutet: Wenn jemand Zucker reduziert, aber aus anderen Nährstoffen genauso viele Kalorien zu sich nimmt, wie vorher der Zucker geliefert hat, ändert sich sein Gewicht nicht.

Morenga schaute sich ebenso Studien an, bei denen die Probanden vermehrt oder vermindert Zucker zu sich nahmen, ohne dass die entsprechenden Kalorienveränderungen durch andere Nähstoffe ausgeglichen wurden. Ihre Analyse ergab, dass Versuchspersonen, die durch eine extra Zuckerzufuhr mehr Kalorien zu sich nahmen als vorher, an Gewicht zulegten, während Probanden, die durch Zuckerreduzierung weniger Kalorien aufnahmen, zum Ende der Studie weniger wogen. Die Forscherin schloss daraus, dass für Gewichtsveränderungen nicht Zucker an sich, sondern vielmehr die Energiebilanz, also das „Mehr“ oder „Weniger“ an Kalorien verantwortlich ist. Wer abnehmen will, müsste nach Morenga entsprechend mehr Energie verbrauchen, als er zu sich nimmt. Ob die Kalorien nun aus Zucker, Fett oder Proteinen kommen, wäre egal.

Eine Zuckersteuer ist mitnichten ein Dienst an unser aller Gesundheit

Allerdings ist es fraglich, ob das Schwören auf die negative Energiebilanz Diätwilligen wirklich ermöglicht, nachhaltig Gewicht zu reduzieren. In den von Morenga untersuchten Studien waren nur wenige länger als zehn Wochen durchgeführt worden – aus früheren Studien (Schwartz, 1997) weiß man aber bereits, dass mühsam in Diäten reduzierte Pfunde bei fast allen Menschen spätestens nach ein paar Jahren zurückkommen. Gründe gibt es dafür viele. Einer der wichtigsten ist, dass unser Körper ganz andere Vorstellungen von einem Idealgewicht hat als unser Kopf. Für ihn ist nicht entscheidend, welche Körpermaße gerade angesagt sind, sondern nur, bei welchem Gewicht alle Körperprozesse optimal ablaufen können. Reduzieren wir unser Gewicht durch Diäten, versetzt das unseren Körper in Alarmzustand. Kein Wunder – die fehlenden Kilos bedeuten für ihn, dass ihm plötzlich weniger Energie zur Verfügung steht, um sämtliche lebenswichtigen Stoffwechselprozesse aufrechtzuerhalten. Unser Körper fängt also an zu haushalten, fährt unseren Ruheenergiebedarf herunter, nutzt jede Kalorie aus, die er bekommen kann – und wartet sehnlich auf den Moment, in dem es endlich wieder genug Nahrung gibt.

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Das kann über Monate und Jahre so gehen – in dieser Zeit können wir die paar abgenommenen Pfunde halten. Doch sobald wir wieder normal essen, füllt unser Körper gierig die leeren Energiespeicher und wir wiegen schnell wieder genauso viel wie vor der Diät. Nicht selten sind sogar ein paar Kilo mehr drauf – das ist die Energiereserve, die der Körper sich anlegt, damit er auf den nächsten Hungerzustand besser vorbereitet ist. Was von vielen als „Jo-Jo“-Effekt bezeichnet wird, ist also nichts anderes, als eine vorsorgliche Schutzmaßnahme des Körpers gegen künftige Diätexperimente (vgl. Pollmer, 2009). Besser also, man lässt das Kalorienzählen gleich sein.

Doch nicht nur in Bezug auf Übergewicht ist der Zucker aus dem Schneider – auch der Vorwurf, er sei Auslöser von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Krebs, konnte nach wie vor nicht nachgewiesen werden. Das zeigte zum Beispiel eine Metastudie des britischen Scientific Advisory Committee on Nutrition (SACN) aus dem Jahr 2015. Die britischen Forscher untersuchten mehr als 200 epidemiologische Studien und mehr als 400 klinische Studien – und konnten trotzdem keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Zuckeraufnahme und dem Auftreten von Darmkrebs, Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall und Bluthochdruck feststellen.

Eine Zuckersteuer ist also mitnichten ein Dienst an unser aller Gesundheit. Vielmehr kommt es einem mal wieder so vor, als wollte die Regierung einfach alles, was Spaß macht, verbieten – oder, wenn sie das nicht kann, zumindest teurer machen. So kennen wir es schon von Benzin und Kurzstreckenflügen – jetzt ist wohl unser Essen dran. Bereits in ihrem Wahlprogramm zur diesjährigen Bundestagswahl hatten die Grünen angekündigt, Lebensmittelhersteller in Zukunft dazu zwingen zu wollen, den Zucker-, Salz- und Fettgehalt in Fertiglebensmitteln auf einen vorgegebenen Wert zu reduzieren. Außerdem hatten sie auf der Agenda, Fleischprodukte zu verteuern. Die Liste der geplanten Verbote der Grünen und ihrer Freunde in anderen Parteien ist lang. Auch wenn wir vorerst wohl an einer Zuckersteuer vorbeigekommen sind, müssen wir uns darauf einstellen, in Zukunft für ein genussvolles Leben ordentlich in die Tasche greifen zu müssen. Da sag’ ich nur: Ran an die Arbeit und Kohle verdienen! Ein süßes Leben lasse ich mir nicht verbieten.

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