Polen ist gegen das neue Grenzregime, das Nancy Faeser gestern zur Überraschung nicht nur ihrer Gesprächspartner von der Union vorgestellt hat. Es geht um Grenzkontrollen, die es an einigen Grenzen schon seit einiger, wenn nicht geraumer Zeit gibt, und die zu Polen und Tschechien wohl auch zum Jahresende verlängert worden wären. Und es geht um einen Mechanismus, durch den die Dublin-Verordnung angeblich wieder zu neuem Recht kommen soll.
Doch der polnische Ministerpräsident Donald Tusk hat schon die Ankündigung von Grenzkontrollen für weitere sechs Monate mit Verstimmung kommentiert. Dabei gab es zeitweilige, bei der EU notifizierte Grenzkontrollen, welche die Bundespolizei dort zur deutschen Grenzbehörde machen, auch bisher schon. Nun sollen die Kontrollen noch mindestens für ein halbes Jahr fortgesetzt werden, beginnend am 16. September.
Was stört den polnischen Mitte-rechts-Premier also so sehr? Vielleicht ist es schlicht das politische Signal der Verschärfung, das er zum Anlass nimmt, den bisherigen Zustand zu kritisieren. Denn der hat Polen sicher auch schon gestört. Das zeigte eine Episode vor einigen Wochen, als die Nachbarn im Osten – insbesondere auch Tusk selbst – die Zurückweisung einer afghanischen Familie scharf kritisierten, die in Polen bereits registriert worden war, dort, wie es aussah, sogar Asylanträge gestellt hatte. Letztlich kam die fünfköpfige Migrantenfamilie dann doch nach Deutschland – auf polnischen Druck, dem man in Deutschland nur zu gerne nachgab.
Gefälle der Anschauungen von Südost nach Nordwest
Nun tut Tusk also so, als handele es sich um etwas völlig Neues. Doch das ist nicht so, Grenzkontrollen haben seit 2015/16 an vielen EU-Binnengrenzen kontinuierlich stattgefunden, so in Skandinavien, zwischen Deutschland und Österreich und rund um Frankreich. Doch nun setzt Tusk zum Angriff auf diese „faktische Aussetzung des Schengen-Abkommens“ an, wie er am Dienstag formulierte. Er will „die anderen Länder, die von diesen Entscheidungen Berlins betroffen sind, in den nächsten Stunden auffordern, dringend über Maßnahmen der EU in dieser Angelegenheit zu beraten“.
Allerdings hat die niederländische Regierung die deutsche Maßnahme schon jetzt nicht kritisiert, sondern sogar begrüßt. Es gibt nur einige Sorgen in Den Haag rund um den Warenverkehr, auf die man aber Antworten finden will. Es ergibt sich also ein Gefälle um Deutschland herum, das nicht sehr wundern kann: Im Süden und Osten erregen (vermeintlich) verschärfte Grenzkontrollen Protest, weil von dort hauptsächlich die Ströme der illegalen Migration nach Deutschland fließen. Das war auch in Österreich so, als noch der Unionsvorschlag konsequenter Zurückweisungen im Raum stand. Dass sich das mit den illegalen Einreisen (und Durchreisen) „von selbst“ lösen werde, wie Markus Söder in den letzten Tagen gemeint hatte, das glauben Polen und Österreicher offenbar nicht.
Tusk meint, die jetzige Entscheidung sei vor allem innenpolitisch bedingt, könne aber nicht die Fehler von „vielen Jahren“ auslöschen. Man könne nicht „die Grenzen für alle öffnen, um sie einen Moment später wieder zu schließen“, formulierte der polnische Premier in einer etwas gewagten zeitlichen Metapher: Die Grenzöffnung ist ja nun relativ genau neun Jahre her. Es war längst Zeit für eine Anpassung. Unter Tusk scheint Polen – bei allem Widerstand gegen weißrussische Infiltration an der Ostgrenze – ins Lager der Migrationsbefürworter gewechselt zu haben.
Faesers Plan: am Ende wohl nur ein Knallbonbon
Die Nachrichten über einen neuen Arm der Balkanroute, die neben Österreich nun auch Tschechien und neuerdings vor allem Polen durchzieht, bestätigen das. Angeblich sind die Grenzschützer des Landes im Osten gebunden. Das entbindet Polen aber nicht davon, Migranten zu registrieren, ihnen Asylanträge zu ermöglichen oder sie zurück in das vorausliegende sichere Land zu schicken – sie also zurückzuweisen.
Tusk könnte der Ampel nun das Feuer geben, mit dem sie selbst hantiert, um der Union nicht nachzugeben. Die Ampel scheint EU-technisch zum Hardliner geworden zu sein und sitzt damit zwischen allen Stühlen, denn am Ende werden sicher die Grünen jedes entschiedene Handeln an deutschen Grenzen verhindern.
Aber schon der Faeser-Plan – wie er derzeit bekannt ist – würde vermutlich bedeuten, dass sich an der deutsch-polnischen Grenze nicht viel ändert. Die Vorprüfung samt Schnellverfahren, die Faeser jetzt (wann eigentlich genau?) einrichten will, würde nichts weiter mit sich bringen, als dass wir ein paar Asyl-Außenstellen mehr bekommen. Dort müsste – immer noch aufwendig – geprüft werden, ob ein illegal eingereister Migrant vielleicht gar keinen Schutzanspruch hat. Er wäre damit aber schon ein deutscher Asylbewerber und müsste daher auch von Deutschland abgeschoben oder an ein EU-Schengen-Land rücküberstellt werden. Die Arbeit bliebe an der Bundespolizei hängen und würde nicht absehbar einfacher als bisher. Es handelt sich um eine (noch) Wundertüte aus dem Hause Faeser, sie wahrscheinlich mit einem vernehmlichen Knall in ihre Einzelteile auflösen wird – ganz so wie einer dieser Knallbonbons (Christmas crackers), die den Angelsachsen und anderen das Jahresende laut und süß machen.
Ostermann: Haben weder Rechtsgrundlage noch genügend Mittel
Und genau das kritisiert nun auch der Vizechef der Bundespolizeigewerkschaft, Manuel Ostermann, der von einem „sehr faulen Kompromiss“ sprach. Eigentlich sind es ja einseitige Entscheidungen der Ampel, die sie unter dem Druck von Wahlen und Opposition ergriffen, aber mit niemandem sonst abgestimmt hat, weder im Ausland noch im Inland. Und ist der Faeser-Plan nun machbar? Dazu sagt Ostermann gegenüber Focus online: „Es wäre personell machbar, wenn wir eine Rechtsgrundlage haben.“ Gemeint ist hier das „vollumfängliche Anwenden geltenden Rechts“, die Zurückweisung gemäß Grundgesetz Artikel 16a und Asylgesetz §18, das Ostermann vermisst. Jetzt habe die Bundespolizei aber „nicht nur keine Rechtsgrundlage, sondern auch noch die Verfahren nach Dublin“ aufgedrückt bekommen. Das findet Ostermann enttäuschend und einen „Bärendienst“ an seinen Kollegen, für die Faeser die Oberaufsicht hat. Denn nicht nur würden keine weiteren Mittel bereitgestellt, sondern auch der Bundespolizei „Fußfesseln“ angelegt. Bundeseigene Abschiebeplätze gebe es aber immer noch nicht, die Länder bleiben weiterhin zuständig.
Die nun kommenden Kontrollen an allen Grenzabschnitten der Bundesrepublik, und das hat man in dieser Deutlichkeit auch noch nicht gehört, seien „für nichts und wieder nichts“. Sie ändern also gar nichts an der Lage, wie auch tatsächlich klar ist. Wer „Asyl“ sagt, den will Faeser ja weiterhin einlassen, und wenn sich dann herausstellen sollte, dass dieses Schutzersuchen vollkommen aus der Luft gegriffen war – zum Beispiel, weil der Migrant über einen sicheren Drittstaat kam, will Faeser aufwendig abschieben. Das hätte sie aber auch bisher schon machen müssen. Es ist immer wieder dasselbe: Auf neun Jahre Arbeitsverweigerung unter Mitarbeit der SPD folgt nun Aktionismus, der den deutschen Nachbarn die Gelegenheit gibt, aufzuschreien und die Asylmigration nach Deutschland letztlich vielleicht sogar zu verstärken.
Einer zumindest zeigt sich nicht weniger erfreut als Geert Wilders über dieses leichte Zurückweichen der Bundesregierung vor der nun in einer Frage vereinten Opposition von Union und AfD, das er wohl auch etwas ironisch auf die Spitze treibt: Viktor Orbán, der Bundeskanzler Scholz über X ein freudiges „Willkommen im Club!“ entgegenschmetterte. Wenn sich der Ungar da mal nicht zu früh gefreut hat.