Tichys Einblick
Die Geister, sie wird sie nicht mehr los

Faesers Kampfansage an die Klima-Extremisten ist unglaubwürdig

Bundesinnenministerin Nancy Faeser fordert ein härteres Vorgehen gegen die „Letzte Generation“. Doch die Nachsicht ihres Hauses gegenüber Linksextremisten hat ihren Anteil daran, dass sich diese heute frei im Wohlfühl-Biotop bewegen können. Der Zeitpunkt, der Lage Herr zu werden, ist lange überschritten.

IMAGO / Jürgen Heinrich

Nancy Faeser und der Linksextremismus: Die Geschichte erhält ein neues Kapitel. Fast ein Jahr halten Klima-Extremisten das Land auf Trab, nehmen Autofahrer durch Blockaden in Geiselhaft, sperren den Weg für Rettungsfahrzeuge, verüben Attentate auf die kritische Infrastruktur oder leben ihren Vandalismus gegen Kunstwerke aus. Nun hat die Bundesministerin eine härtere Gangart angekündigt.

„Wenn Straftaten begangen werden und andere Menschen gefährdet werden, ist jede Grenze legitimen Protests überschritten“, sagte Faeser am Donnerstag. „All das hat mit einer demokratischen Auseinandersetzung überhaupt nichts zu tun. Die Straftäter müssen schnell und konsequent verfolgt werden.“ Die Aktionen seien inakzeptabel, brächten Menschen in Gefahr, und schadeten dem Anliegen des Klimaschutzes erheblich.

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„Wer Rettungswege versperrt, setzt Menschenleben aufs Spiel. Das haben wir in dieser Woche in Berlin auf furchtbare Weise gesehen“, sagte die Innenministerin im Hinblick auf die am Montag verletzte und am Donnerstag verstorbene Radfahrerin. Politiker der Ampelparteien und der Opposition haben sich mittlerweile ähnlich geäußert. Die Gewerkschaft der Polizei fordert sogar, ein Verbot der „Letzten Generation“ zu prüfen.

Doch die Sache hat einen Haken. Den Begriff des „Delegitimierers“ etwa, der zur neuen Allzweckwaffe der Ampel geworden ist, fiel in diesem Zusammenhang nicht. Auch eine politische Einordnung unterlässt die Bundesinnenministerin. Wenn die größte Bedrohung der demokratischen Ordnung durch den Rechtsextremismus belegt ist, kann ihn der Linksextremismus nicht verschieben. Dass der Verfassungsschutz die Klima-Extremisten dabei sehr klar den Linken zuordnet, zeigt der letzte Bericht:

„Mit ihrem vermeintlichen Engagement für den Klimaschutz versuchen Linksextremisten aus verschiedenen Teilen der Szene, demokratische Diskurse zu verschieben, sie um ihre eigenen ideologischen Positionen zu ergänzen, gesellschaftlichen Protest zu radikalisieren und den Staat und seine Institutionen zu delegitimieren. Gewaltorientierte Linksextremisten versuchen mithilfe von Aktionsbündnissen, Einfluss auf die Proteste zu nehmen.“

Zum Zeitpunkt der Abfassung war die „Letzte Generation“ noch kein den Alltag bestimmender Faktor. Doch den Vorlauf hat der Verfassungsschutzbericht schon damals beschrieben:

„Am 7. September 2021 wurden verschiedene Autobahnen rund um München für mehrere Stunden durch Abseilaktionen an Autobahnbrücken blockiert, an denen sich auch Linksextremisten beteiligten. Im Rahmen einer ‚Massenaktion zivilen Ungehorsams‘ kam es in der Innenstadt zu Störungen und Blockaden von IAA Ständen. Vermummte Personen warfen Steine auf Einsatzkräfte der Polizei und zündeten Rauchkörper. (…) Vor dem Hintergrund vermeintlich ausbleibender konkreter klimapolitischer Erfolge versuchen Linksextremisten, ihre Aktionsformen einschließlich der Begehung von Straf- und Gewalttaten als legitimes Mittel im politischen Meinungskampf zu rechtfertigen, und deuten dazu den Begriff ‚ziviler Ungehorsam‘ um.“

Das kommt in der aktuellen Situation bekannt vor. Da aber in Deutschland das Prinzip gilt, dass tagtäglich Straßenkämpfe um die Errichtung des Vierten Reiches toben, während der Linksextremismus ein aufgebauschtes Problem sei, konnte sich eine links-ökologische Extremistenszene etablieren. Zu den Vorläufern gehören nicht nur die Störungen von Extinction Rebellion, sondern auch die „Farbaktion“ von Greenpeace an der Berliner Siegessäule 2018.

Obwohl die Staatsanwaltschaft bereits damals von einem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr sprach, kommentierten die Massenmedien den Vorgang wohlwollend, die Politik hielt sich zurück, die Sympathie war bei den politischen Freunden greifbar. Heute sitzt eine ehemalige Greenpeace-Chefin im Außenministerium als Staatssekretärin. Grüne Politiker wie Konstantin von Notz attestierte den Klima-Extremisten erst kürzlich ein „fragwürdiges Demokratie-Verständnis“, kritisierte dann aber zugleich die Instrumentalisierung der toten Radfahrerin für die Politik – nur, um die Diskussion anschließend für seine eigene Klimapolitik zu instrumentalisieren.

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Solche Mosaiksteine sind Teile eines größeren Bildes. Über Jahrzehnte haben linke Ideologen nicht nur Schaltstellen besetzt. Die Gelassenheit, mit der Faeser einst mit einer linksradikalen Gazette plauderte, Grüne für ihren Atomausstiegsfetisch die Energiesicherheit eines ganzen Landes aufs Spiel setzen können und man auf den öffentlich-rechtlichen Sendern gegen „Ratten“ austeilen und vor vermeintlichen „Delegitimierern“ Stimmung machen kann, sucht ihresgleichen.

Die medialen und politischen Vertreter des bundesrepublikanischen Establishments haben ein Wohlfühlklima für Linksextreme eingerichtet, in dem radikale Äußerungen und extremistische Ansichten zum guten Ton gehören und als „Aktivisten“ verniedlichte Straftäter wie ein Fisch im Wasser abtauchen können. Es ist eine Atmosphäre, die Parallelen zu den End-60er-Jahren aufweist, als nicht nur in Redaktionsstube und Studenten-WGs eine gewisse Sympathie für radikal-romantisches Feuer bestand.

In Deutschland wie in Italien hatten die roten Terroristen der 70er auch deswegen so leichtes Spiel, weil es in Teilen der Bevölkerung Verständnis für die Taten gab. Angelehnt an den Partisanentypus von Carl Schmitt konnten sie wie Guerilla-Kämpfer bei Zivilisten Unterschlupf finden. Faesers Äußerungen sind daher im besten Falle heuchlerisch, im schlimmsten Falle hilflos.

Wer meint, die Taten von Extremisten erst klein reden zu können, dann die Ziele „ernstnehmen“ zu wollen und zuletzt eine härtere Gangart fordert, während tausende Menschen jeden Montag von einer kleinen Splittergruppe terrorisiert wird, macht die Gefahr erst groß. In den Augen vieler möglicher Anhänger sind die Ziele der Extremisten legitim – weil politische und mediale Vertreter diese nicht nur salonfähig gemacht, sondern auch durch Panik und Hysterisierung zu einem so edlen Anliegen formiert haben, dass zur Vermeidung der Apokalypse alles erlaubt ist.

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Wer gestern noch Greta Thunberg verherrlichte, und sich heute wundert, dass sie eine radikale Zerstörung des gegenwärtigen Wirtschaftssystems will, hat Greta entweder nicht verstanden, oder sie bewusst großmachen wollen. Der herrschende Diskurs, ausgehend von der immer noch kulturell hegemonial agierenden Linke, ist weiterhin nicht der, dass es moralisch fragwürdig ist, Ziele mit moralisch fragwürdigen Methoden zu erreichen; er dreht sich immer noch darum, dass das Ziel gut, aber der Weg vielleicht etwas holprig ist. Das sozialistische Narrativ hat sich tief in die europäische Seele hineingefressen.

Womöglich hat man auch im Innenministerium begriffen, dass die Strategie, aus ideologischen Impulsen bestehende Probleme auszuklammern und Scheinprobleme zu vergrößern, an ihre Grenzen gekommen ist. Wer tagtäglich Nachrichten von Klima-Extremisten liest oder selbst betroffen ist, könnte vielleicht noch Delegitimierer werden. Vielleicht begreift man jedoch auch, wie groß das Problem ist, und wie wenig man dessen noch Herr werden kann.

Die Strukturen, die Organisation, die Geldgeber, die Verquickungen über Fördergelder in Ministerien und die Netzwerke bis in die Parteien hinein bestehen. Sie haben sich über Jahre verfestigt. Man wird sie ohne eine effektive und willensstarke Exekutive nicht mehr bekämpfen können. Auch Faeser dürfte dämmern: Der Zauberlehrling wird die Geister nicht mehr los.

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