Tichys Einblick
Ein Offenbarungseid

EZB: Die Komiker oder Megalomania Actuariae (Größenwahn der Statistiker)

Das eigentliche systemische Risiko sind nicht die Märkte oder ihre Akteure, sondern Ihr: die EZB und die ihr angegliederte Bürokratie der Bankaufsicht.

Die Sonne geht unter. Finanzplatz Frankfurt aus EZB-naher Perspektive

Dass die Europäische Zentralbank einen Bericht über den Status der Stabilität des Finanzsystems publiziert, das hat was – wie soll man das ausdrücken? – das hat was Oxymoroniges. Das ist fast so, als würde die Mafia die jährlichen Statistiken zur Kriminalitätsbekämpfung vorstellen, quasi als Geschäftsbericht mit der Überschrift „unser globaler Fingerabdruck“ oder so ähnlich. Der größte Erzeuger von systemischem Risiko auf dem Planeten legt also einen Stabilitätsbericht vor. Sie könnten jetzt geneigt sein zu denken, ich scherze, aber ich versichere ihnen, dass das nicht der Fall ist.

Ein Blick in die letzte Ausgabe dieses Finanzmarktstabilitätsberichts, gerade frisch erschienen, macht deutlich warum. Da braucht man viel schwarzen Humor. Dafür sind die Bildchen umso bunter.

Der neugierige Leser darf zuerst mal überlegen, wo er all die Fleißkärtchen herbekommt, mit denen man Statistikabteilung und Graphikproduktion unserer tollen Zentralbank für so viele Daten in Farbe belohnen sollte. Der Inhalt ist aber ziemlich dünn. Wie schon Goethe wusste: Getretener Quark wird breit, nicht stark. Das fängt schon damit an, wie die EZB glaubt, den „systemischen Stress“ messen zu können. Der Leser wird damit vertraut gemacht, dass es auf drei Themen ankommt: (1) die Wahrscheinlichkeit das zwei große Bankengruppen (LCBGs oder „Large Complex Banking Groups) gleichzeitig pleitegehen, (2) der „systemische Stressindikator“ im Euroland, der sich aus vielen Faktoren wechselnden Gewichts zusammensetzt und zu dessen Konstruktion man auf der EZB-Webseite einen schönen Artikel findet, der immerhin einer näheren Betrachtung wert ist, und (3) ein spezieller Blick auf den systemischen Risikoindikator für Staatsanleihen im Euroraum. Davon verstehen die ja was bei der EZB. Ich erlaube mir daher für den Rest dieser kleinen Anraunze die Damen und Herren von der monetären Obrigkeit direkt anzusprechen.

Autosuggestives Einlullen

Das Erste, was auffällt: Wir sind hier im Garten des autosuggestiven Einlullens mit Hilfe untauglicher Modelle. Oh, Ihr Modellgläubigen! Modelle sind nicht die Realität! Modelle sind was ganz Tolles, um Teile der Realität zu interpretieren, wenn wir sie ordentlich bauen. Jedoch: Sie haben immer Annahmen, unter denen sie funktionieren. Eine davon, die praktisch alle Modelle teilen, lautet, dass wir selbst kein so wesentlicher Akteur in dieser Realität sein dürfen, die wir messen wollen, dass unsere Beobachtung oder Messung nur bestätigt, was wir selbst angerichtet haben. Das ist aber genau das, was Ihr in der EZB macht. Ich will das begründen und mich dabei an Eure gewählte Reihenfolge halten und mit der Ausfallwahrscheinlichkeit von Banken beginnen.

Da frage ich die EZB: Wie habt Ihr die gemessen? Kommt mir jetzt bitte nicht mit eurem misslungenen Stresstest und auch bitte nicht mit den Ratings der Agenturen. Ein eigenes, tauglich zu nennendes statistisch validiertes Rating für irgendeine Art von Kreditrisikosegment habt Ihr ja nicht. Ihr wart schon 2008, als die Krise losging, der Meinung, dass das überflüssig sei, und an dieser Meinung habt Ihr bis heute festgehalten. Die EZB verfügt über keinerlei eigene empirisch validierte Ratingsysteme, weder für Banken, noch für Staaten oder Staatsanleihen, noch für Unternehmen, deren Anleihen sie seit einiger Zeit in großer Menge aufkauft. Sie verlässt sich bei all diesen Dingen auf die Ratingagenturen oder – wenn wir Glück haben – auf Indikatoren, die die Ausfallwahrscheinlichkeiten von Unternehmen und Banken aus ihrem Börsenkurs, seiner Höhe und Volatilität, ableiten. Übrigens würde die der EZB angegliederte oder unterstellte europäische Bankaufsicht SSM (Single Supervisory Mechanism) eine Geschäftsbank, die keine eigenen statistisch validierten internen Ratings verfügt, mit Sanktionen belegen. Wäre die EZB eine Geschäftsbank, würde eine ordentlich geführte Bankenaufsicht ihrem Vorstand die Lizenz wohl entziehen angesichts der bestehenden Lücken in den Risikomesssystemen.

Und wer sich je die Mühe gemacht hat, die Qualität von Bankenratings der großen Agenturen näher unter die Lupe zu nehmen, der weiß, dass deren Trennschärfe aufgrund der nicht vorhandenen Risikotransparenz der Banken für die Tonne ist. Das ist noch nicht mal die Schuld der Ratingagenturen, die arbeiten halt auch nur mit dem, was sie vorfinden.

Es bleiben aktienkursbasierte Indikatoren. Die brauchen vor allem zwei Dinge: Ebenfalls Transparenz für die Marktteilnehmer und natürlich einen Markt, der nicht durch Eingriffe politischer oder geldpolitischer Natur von außen jeder Effizienz beraubt ist. Das ist aber bei den Aktienmärkten leider mittlerweile der Fall, weil der künstlich heruntermanipulierte Zins über das gesamte Laufzeitband hinweg dafür sorgt, dass die Opportunitätskostenkalkulation der Aktienbewertung nicht mehr richtig funktioniert. Das ist, als wenn der Kilometer plötzlich nur noch 100 Meter misst, da funktioniert kein Tacho mehr. Und der Tachometer der Aktienkurse funktioniert umso schlechter, je länger und höher man die Märkte mit Geld und Liquidität flutet. Und damit habt ihr ja vor ein paar Jahren so richtig losgelegt.

Ihr werdet es mir also nicht übel nehmen, wenn ich Eure erste Kennzahl, die gleichzeitige Ausfallwahrscheinlichkeit von zwei Bankengruppen, für eine totale Schimäre halte, zumal Ihr mit vier Stresstests im Tandem mit der überforderten EBA wiederholt bewiesen habt, dass Ihr nicht über die Qualifikation oder den Willen verfügt, die Risiken im Bankensystem korrekt einzuschätzen.

Ihr könntet natürlich jetzt gegenhalten und sagen: Wir wissen ganz genau, wann eine große Bank pleitegeht, ganz einfach weil wir die Macht und die Mittel haben, das zu verhindern, egal wie insolvent sie ist, und das Recht steht uns da auch nicht im Weg; das hat der Europäische Gerichtshof beim Thema Geldpolitik eh schon abgeräumt und in Griechenland und Italien haben wir auch schon geübt. Stimmt. Dann schreibt das doch in euren Bericht rein und tut nicht so, als hättet ihr irgendwas gemessen. Einverstanden?

Leerformeln

Kommen wir zum kompliziert gebauten „CISS“, dem „Composite Index of Systemic Risk“. Das ist wieder mal eine von Euren tollen Abkürzungen. Das Lustige daran ist, in welcher Welt die Schöpfer dieses schönen Index leben: In einer Welt effizienter Märkte, in denen die Volatilität von Kursbewegungen Aussagen darüber erlaubt, welche Risiken die Marktteilnehmer sehen und wie sie diese bewerten. Und außerdem in einer Welt, in der systemische Schocks in Zukunft auf die gleiche Weise entstehen wie in der Vergangenheit. Wir lernen aus der Vergangenheit. Geschichte wiederholt sich, jedenfalls für die volkswirtschaftliche Abteilung der EZB.

Das kann in der Form nur einem Haufen von Bürokraten einfallen, die Statistik für Ökonomie halten und sich an der nihilistischen Sinnlosigkeit ihrer Datenreihen erfreuen können wie mein Hund, wenn man ihm ein Leckerli zuwirft. Denn leider verhält es sich so, dass Ihr selbst dafür gesorgt habt, dass die Wertpapiermärkte überhaupt nicht mehr effizient arbeiten können. Die Kennzahlen, die Ihr dort verarbeitet, sind ohne Ausnahme durch Eure Einmischung in das Marktgeschehen verzerrt, auf den Kopf gestellt, in ihrer Informationsfunktion zu großen Teilen abgeschafft. Ihr habt sie durch Eure Kaufprogramme selbst außer Kraft gesetzt. Ihr könnt nicht erst das Orakel erschießen und dann noch Antworten von ihm erwarten, Ihr Witzbolde. Das geht nicht. Und was für den „CISS overall“ gilt, gilt natürlich umso mehr für den „CISS Sovereign Bonds“.

In der zweiten Hälfte Eures Berichts haben sich dann aber irgendwelche Ganglien geregt, die zwar einerseits diesen Zusammenhang indirekt zugeben, andererseits aber daraus ableiten, was die EZB ja ohnehin als Ergebnis jedweder sogenannter „Analyse“ zu sehen wünscht: Dass es nämlich abweichend von Eurem hübsch konstruierten, aber leider von Euch selbst entwerteten Indikator sehr wohl Risiken für die Systemstabilität gibt, die sich durch Nachdenken erschließen und auf die es natürlich nur eine Antwort geben kann: Wir müssen die Zinsen niedrig halten. Da lohnt sich ein Blick auf die genannten Risiken und die Schlussfolgerungen in Eurem Bericht. Konkret stehen da vier Befürchtungen:

  1. Die Möglichkeit einer Preiskorrektur der Anleihemärkte, ausgelöst durch „Erwartungsänderungen hinsichtlich der economic policies“; gemeint ist hier wohl eher die Erwartungshaltung an die Geldpolitik.
  2. Als Nächstes serviert Ihr uns eine „ungünstige Feedbackschleife“ zwischen der Profitabilität der Banken und schwachem nominalen Wirtschaftswachstum vor dem Hintergrund „struktureller Probleme des europäischen Bankensektors“. Ach, echt jetzt? Sind Euch die Probleme der Banken jetzt auch schon aufgefallen, nachdem Ihr sie in vier Stresstests geleugnet habt?
  3. Auch habt Ihr Bedenken bezüglich der Tragfähigkeit der öffentlichen und privaten Verschuldung in Kombination mit einer Preiskorrektur der Anleihemärkte und politischer Unsicherheit in „einigen Ländern“. Wär ich nie drauf gekommen. Seid Ihr es nicht gewesen, die genau diesen Ländern in den letzten Jahren jeden Anreiz genommen haben, ihre Verschuldungssituation endlich durch Sparen und Reformen in den Griff zu bekommen durch Eure Nullzinspolitik, die eine Fortsetzung, ja sogar Steigerung der Verschuldungsorgie erst ermöglichte und bei der Ihr die Grenze zwischen Geldpolitik und illegaler Staatsfinanzierung auf die nanometerdicke logische Sekunde zwischen Anleiheemission und Ankauf durch die Staatsfinanzierungsbank EZB reduziert habt?
  4. Last not least seht Ihr Liquiditätsrisiken im Nicht-Banken Finanzsektor mit möglichen Überschlagseffekten auf das gesamte Finanzsystem. Geschenkt. Kann man natürlich nur heilen, wenn man weiterhin das gesamte System mit Liquidität flutet und überschwemmt, bis auch der letzte falsch liegende Spekulant vor den Folgen seiner Zockerei gerettet ist und die preisliche Informationsfunktion der Spekulation final ausgeschaltet wurde.

Und jetzt kommt der Zaubertrick, den in dieser Form wohl nur das in intellektueller Verbiegung geübte Wahrheitsministerium namens EZB zustande bekommt. Mit einem einzigen Satz wird das gesamte Risikoszenario von schräg unten so angeleuchtet, dass die Fortsetzung Eurer unsinnigen und hoch riskanten Nullzinspolitik als einzig mögliche Variante insinuiert wird. Der Satz lautet:

„Ein gemeinsamer Auslöser all dieser vier Risiken könnte ein schwächeres nominales Wachstum sein, als gegenwärtig für die Eurozone erwartet wird“.

Das zu verhindern geht natürlich nur mit einer Fortsetzung der ultralockeren Geldpolitik.

Mal abgesehen davon, dass ihr für dieses heroische Statement eine Begründung schuldig bleibt, erlaube ich mir an dieser Stelle, den Bezug zwischen euren vier Risiken und ihren wirtschaftlichen Treibern ein wenig gründlicher zu beleuchten, als Ihr Euch das in Eurem Frankfurter-Ostend Geßlertürmchen trauen dürft.

Im Wirtschaftswunder-Schlaraffia-Shangrila-Lalaland

Fangen wir mit der von Euch befürchteten Preiskorrektur der Anleihemärkte an. Das ist das Paradebeispiel dafür, wie Ihr es verlernt habt, zwischen der Beobachtung der Märkte und dem Schaden, den Ihr in ihnen anrichtet wie ein Elefant im Porzellanladen, zu unterscheiden. In Wahrheit ist diese Korrektur natürlich unvermeidlich und das wisst Ihr auch. Das hat den ganz einfachen Grund, dass Ihr durch Anleihenaufkäufe von über 2.400 Mrd. Euro das Preisniveau künstlich mehrere Standardabweichungen weit weg vom Marktgleichgewicht nach oben getrieben habt. Natürlich wisst Ihr auch, wie man diese Preiskorrektur verhindert oder wenigstens so lange wie möglich hinauszögert, indem man das Gelddrucken perpetuiert. Aber täuscht Euch nicht: Auch wenn Ihr das hofft, ist Eure Feuerkraft nicht unbegrenzt. Fragt mal in Zimbabwe oder Venezuela nach, dann findet Ihr es auch so raus. Und umso länger man das macht, desto lauter wird am Ende der Knall des systemischen Risikos.

Wie allerdings ein schwächeres Wirtschaftswachstum eine Preiskorrektur der Anleihemärkte und also ein Ansteigen des Zinses ursächlich auslösen soll, das wird wohl auf ewig Euer Geheimnis bleiben. Noch nicht mal Euer Säulenheiliger Keynes wäre auf so einen Schmarren verfallen. Zum Mitschreiben: Niedrigeres Wirtschaftswachstum gleich niedrigere Nachfrage nach investiven Mitteln gleich fallende Zinsen und umgekehrt. Comprende? Oder meintet Ihr die Risikoprämie auf Anleihen von Ländern, die schon lange nicht mehr kreditwürdig sind, es in einer Rezession noch weniger werden und die dann wieder in das Blickfeld der Marktteilnehmer rücken, wenn die Leute bei Ebbe sehen, dass sie nackt baden gegangen sind? Dann schreibt das doch so rein! Geht natürlich schlecht, weil sonst Eure illegale Staatsfinanzierung durch Euch selbst bestätigt wird.

Kommen wir zum zweiten Risiko, den strukturellen Problemen der Banken: Ihr habt das mit Feedbackschleife so poetisch beschrieben, dass ich beim Lesen fast geschluchzt hätte vor Begeisterung. Ist das endlich bei Euch angekommen, dass die Banken doch ein Problem haben? Allerdings könnt Ihr Eure Verantwortung für das anämische Wirtschaftswachstum trotzdem nicht auf die Kreditwirtschaft abwälzen. Die vergibt nämlich immer noch fleißig Kredite, obwohl ihre Risikotragfähigkeit das in Wirklichkeit schon lange nicht mehr hergibt. Sie macht das, um irgendwie über die Runden zu kommen, und hofft, dass sie im Wirtschaftswunder-Schlaraffia-Shangrila-Lalaland aufwacht, wenn der Alptraum Eurer Geldpolitik irgendwann zu Ende geht.

Sie hofft, dass das alles nicht wirklich real ist und sich als böser Traum erweist. Das funktioniert aber nur in mittelmäßigen TV-Serien. Leider wird das, wie wir ja wohl gemeinsam wissen, nicht passieren, weil die bis dahin in den Bankbüchern aufgestauten Risiken sich nicht in Luft auflösen werden. Ihr sorgt ja auch dafür, dass sie täglich größer werden.

Denn die Schwäche der Banken speist sich aus zwei Effekten, die beide in Eure Verantwortung fallen: Das Abschmelzen der Zinsmargen durch die flache und bei null angesiedelte Zinskurve und die Ansammlung von Zombieunternehmen, die aufgrund der Subvention des Nullzinses und des schwachen Euro am Leben bleiben und die unbemerkt immer mehr werden und so heimlich, still und leise die Kreditbücher der Banken verseuchen. Dort liegt übrigens auch der Grund für das anämische Wachstum: Ihr haltet mit Eurer Nullzinspolitik ineffiziente und unproduktive Unternehmen am Leben, die Ressourcen binden. Diese Ressourcen stehen dann für neue, effiziente und innovative Verwendungen nicht mehr zur Verfügung. Und da Wachstum letztlich nur aus der Produktivität entsteht und nicht aus Eurer heiligen keynesianischen Kuh namens Nachfrage, seid Ihr auch diejenigen, die es abwürgen.

Schaut nach Japan! Ihr schaltet die kreative Zerstörung ab und wundert euch über die Folgen. So wird das nix. Dieses Risiko ausgehöhlter Bankbilanzen habt ihr natürlich in Eurem Bericht großzügig ausgeblendet.

Italien, Griechenland, Portugal, Frankreich

Der dritte Punkt ist genial: Die Schuldentragfähigkeit „einiger Länder“ ist ein Problem. Aha. Namen werden da natürlich keine genannt. Ihr habt wirklich was von Harry Potters Zaubereiministerium: „Der, dessen Name nicht genannt werden darf“ heißt natürlich Italien, Griechenland, Portugal, Frankreich. Ja, und natürlich wäre es da ganz unverantwortlich, dieses systemische Risiko durch Revision der Zinspolitik, die es seit Jahren akkommodiert hat, zur Entladung zu bringen. Denn darum geht es hier: Die weitere Alimentierung der Ausgabenwut dieser Staaten und die Finanzierung der Defizite durch die zur Transferunion degenerierte Währungsunion.

Natürlich stimmt es, dass diese Länder nicht mehr in der Lage wären, so weiter zu machen wie bisher. Sie müssten halt endlich mal wirklich sparen und innerhalb ihrer Möglichkeiten leben. Dann machen wir lieber so weiter wie bisher. Ist ja jetzt schon eine Weile „gut gegangen“. Und wenn es knallt, lassen wir den dummen Michel mit der Rechnung sitzen, die Target 2 heißt und über die er uns nicht nur die importbedingten Defizite bezahlt hat, sondern auch unsere Kapitalflucht nach Deutschland, wo jeder Südeuropäer, der clever ist, jetzt Immobilien besitzt im Tausch gegen wertlose Target 2 Forderungen, die kein Rückzahldatum haben.

Schön, dass ihr euch sorgt.

Den vierten Punkt, das Liquiditätsproblem des nicht-Banken Finanzsektors hätte ich Euch beinahe geschenkt. Zum Glück fiel mir gerade noch rechtzeitig ein wofür dieser Punkt in der Liste symptomatisch ist. Er ist beispielhaft dafür, wie Ihr in der Vergangenheit lebt und glaubt, nach Indizien suchen zu müssen, ob Risiken, die schon einmal schlagend geworden sind, sich erneut ankündigen. Euer Lehrbuchbeispiel dafür heißt ganz offensichtlich Long Term Capital Management LTCM. Da hat aber jemand fleißig Fallstudien geübt im dritten Semester. Habt Ihr schon mal was vom „schwarzen Schwan“ gehört? Große systemische Risiken kommen meistens aus einer Ecke, wo man sie nicht vermutet oder schon gesehen hat. Die Krise 2007 hat sich ja auch anders entfaltet, als die von 1929. Es gab ja damals noch keine verbrieften Hypothekenkredite nach CDO-Vorbild. So wird es auch diesmal sein: Anders eben.

Deswegen ist es zum Beispiel auch ziemlich nutz- und witzlos, wenn Ihr nach Eurem Monitoring der Preisniveaus im Aktien- und Immobilienmarkt lapidar feststellt, dass sich diese noch nicht wesentlich von den üblichen und traditionellen Bewertungsmodellen entfernt haben. Sie sind zwar zu hoch wegen Eurer Nullzinsen, aber nach Eurer Auffassung nicht dramatisch. Mit diesem Argument wehrt Ihr den Vorwurf ab, dass Ihr Blasen erzeugt. Ihr schaut aber am falschen Ende, denn Blasen können auf unterschiedliche Art entstehen.

Eine Blase ist eine Assetklasse, bei der Marktbewertung und intrinsischer Wert so weit auseinanderfallen, dass eine plötzliche Erkenntnis der Marktteilnehmer über dieses Ungleichgewicht zu einer Preisdeflation dieser Vermögensklasse führt. Eine Blase kann auf zwei Arten entstehen: Durch Anstieg des Preisniveaus weit über den intrinsischen Wert hinaus oder durch Aushöhlung des intrinsischen Wertes durch Beschädigung der Werthaltigkeit der Vermögensgegenstände. Ihr sucht nur nach Ersterem. Und dabei ist Euch total entgangen, dass die größte Assetklasse in unseren Volkswirtschaften, nämlich der Bankkredit, bereits total ausgehöhlt ist und in den Hohlraum das Eigenkapital des europäischen Bankensektors locker hinein passt. Der größte Brocken dabei sind die Unternehmenskredite. Es sind die von Eurer Nullzinssubvention künstlich am Leben gehaltenen Zombieunternehmen, die sich hier in immer größerer Zahl ansammeln und die fallieren werden sobald die Zinsen steigen. Der zweite große Brocken sind die Staatsanleihen zu deren Kauf ihr die Banken durch die Basel III Risikogewichtung (hier: null) und die deformierten Liquiditätsvorschriften zwingt, bei denen Staatsanleihen als Liquiditäts-Surrogat gelten. Selbst ohne Staatspleite ist es uns wohl allen klar, dass sie durch die Markteingriffe der EZB völlig falsch bewertet sind und die Korrektur dieser Überbewertung nur eine Frage der Zeit sein kann. Diese wird übrigens alleine schon zu gewaltigen Verlusten führen, sogar ohne Staatspleiten. Der dritte Brocken sind die Immobilienkredite, die durch steigende Arbeitslosigkeit ins Rutschen kommen, wenn die Zombieunternehmen in einer Zinswende pleitegehen.

Und diese drei Brocken sind der eigentliche Grund neben der Transferunion ins römische Reich, warum die EZB am Nullzins, am „Quantitative Easing“ und am Anleihekaufprogramm festhält. Die Klammer des Nullzinses hält das planwirtschaftliche Gebilde zusammen, das Ihr aus der Eurozone gemacht habt. Ihr habt die Risiken geschaffen und amplifiziert und jetzt wisst Ihr nicht mehr, wie Ihr aus dem Loch rauskommen sollt, ohne den Offenbarungseid zu leisten. Das eigentliche systemische Risiko sind nicht die Märkte oder ihre Akteure, sondern Ihr: die EZB und die ihr angegliederte Bürokratie der Bankaufsicht.

Das hätte in Eurem Bericht stehen sollen; habe ich dort aber nicht gefunden, Ihr Komiker.

PS: Euer bürokratisches Selbstlob zum Thema Krisenmanagement am Ende der Zusammenfassung hättet Ihr Euch sparen können. Da steht eine Ansammlung von neuen planwirtschaftlich-bürokratischen Anstrengungen, die Ihr wohl als Vorbereitung auf die unvermeidliche Krise betrachtet. Dafür spricht allein schon die Natur dieser Maßnahmen: „Ein (…) robustes Rahmenwerk für die Regulierung der Finanzindustrie bleibt Priorität“, „Eine Revision des Rahmenwerkes für Krisenmanagement und Abwicklung“ (sic! Anm. des Autors), „(…) Verbesserung der Aufsicht über Versicherungen, Finanzmärkte und Finanzinfrastruktur“, mit „(…) weiteren Beiträgen der EZB zu Initiativen verbesserter Regulierung“.

Vielleicht sehe ich das ja auch falsch und Ihr seid auf der Lernkurve einfach nur schon weiter getreu dem Motto: Krisenmanagement ist die Alternative für funktionierendes Risikomanagement. Das werdet Ihr nämlich brauchen, wenn ihr mit dem Risikomanagement so weiter macht. Ich fürchte nur, es wird Euch nichts mehr helfen, weil Euer Krisenmanagement genauso grottig sein wird.

PPS: Ich bin neulich von einem Bankfachmagazin in einem Interview gefragt worden, warum mein Schreibstil über Euch so spöttisch ist, wo es doch um eine ernste inhaltliche Debatte geht. Die Antwort ist ganz einfach: Ihr habt den Apparat, die Gelddruckmaschine und die Arroganz der Macht. Ich habe eine Tastatur und eine spitze Feder. Jeder trägt bei, was er kann.

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