Extinction Rebellion: Eine Bewegung in Selbstzeugnissen
Ferdinand Knauss
Schrill zeigen sie sich nicht nur auf ihren Demonstrationen. Auch in Texten und Interviews offenbaren die Aktivisten von Extinction Rebellion eine Mischung aus gefühlsduseliger Schwärmerei und kompromissloser Härte.
Extinction Rebellion will nicht einfach nur eine politische Bewegung sein. Das wird schon beim Anblick vieler Aktivisten offenkundig. Einerseits ist die „XR“ ganz offensichtlich ein willkommenes Forum zur kollektiven Selbstdarstellung von Performance-Gruppen und Künstlern aller Art, wie etwa jene, die in roten Fantasie-Gewändern mit maskenhaft weiß geschminkten Gesichtern durch Berlin und London ziehen.
In London schwenkten zum Beispiel Aktivisten riesige Batik-Tücher am Trafalgar Square, der „von Autos befreit“ wurde, wie einer der Anführer der Bewegung, der Philosophiedozent und Grünen-Politiker Rupert Read über Twitter schwärmte.
Künstler oder Menschen, die es gerne wären, auf der Suche nach Publikum (und Kameras!) gehören zur modernen Folklore der globalisierten Demo-Szene. Der Peinlichkeit sind da vermutlich keine Grenzen gesetzt.
Besonders auffällig bei Extinction Rebellion ist das esoterische bis quasi-religiöse Element. Das wird sichtbar, wenn in London und in Berlin ebenso wie in anderen Städten rund um den Globus XR-Aktivisten meditieren – öffentlich und allmittäglich bis zum 20. Oktober von 13:30 bis 14 Uhr. Auf der XR-Website heißt es dazu: „Wir können in Kontakt kommen mit unserem Atem, unseren Körpern, zu uns kommen und dann eine liebende mitfühlende Energie erzeugen für alle Rebellen und alles Leben um uns herum“. Holistische Zurück-zur-Natur-Schwärmerei kommt auch in Plakaten zum Ausdruck. Etwa wenn in Lausanne XR-Aktivisten unter der Parole demonstrieren: „Nous sommes la nature , qui se defend“ – „Wir sind die Natur, die sich verteidigt.“
Mit klassischem linkem Programm hat das nicht mehr viel zu tun. Die frühere Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth hat sich daher öffentlich distanziert von der „esoterischen Sekte“.
Ditfurth ist nun selbst in gewisser Weise eine Sektenanhängerin – wenn auch keiner religiösen, sondern einer marxistischen namens „ÖkoLinX“. Aber ihre Beobachtung lässt sich doch schnell erhärten, wenn man Publikationen, Interviews und Aktionen von Extinction Rebellion ein wenig durchforstet. Das beginnt schon mit dem Logo: Eine stilisierte Sanduhr in einem Kreis. Es soll die sechste, und nach XR-Verständnis wohl endgültige Aussterbewelle symbolisieren. Der Kreis ist die Erde, die Sanduhr steht dafür, dass die Zeit zur Rettung abläuft. Die Sanduhr war schon im Mittelalter das Symbol der Vanitas, der Vergänglichkeit und des bevorstehenden Lebensendes schlechthin. Auf Totentanz-Darstellungen fehlt sie nie.
Gefühlige Schwärmerei und eine quasi-religiöse, eschatologische Endzeitlehre inklusive drohender Apokalypse gehören bei Extinction Rebellion offensichtlich zusammen. Und sie bieten vielen Anhängern wohl eine Ersatzkirche der neuen Art – inklusive öffentlich zelebrierten Karnevals, der bekanntlich auch religiösen Ursprungs ist. Unmittelbare Anleihen bei katholischer Ikonographie nimmt ein auf der britischen Website veröffentlichtes Plakat mit zum Gebet gefalteten Händen und Herz.
Das schwärmerische Element trug eine Vorgängerorganisation der XR schon im Namen: „Compassionate Revolution“ hieß sie, „Mitfühlende Revolution“.
Einer der Organisatoren, der Musiker Michael Dinesh, sagte 2015 in einem Interview, bei dieser Revolution, gehe es „genauso um inneren Wandel wie um äußeren. Wir können keine wirkliche Veränderung in der gesamten Gesellschaft erwarten, wenn wir uns nicht auch darum kümmern, wie wir uns selbst und einander auf individueller Ebene begegnen.“
Diese Betonung kollektiver guter Gefühle zeigt auch der deutsche Ableger von XR auf seiner Website: „Wir spüren unsere Verbundenheit, wir akzeptieren uns mit unserer Liebe, unserer Trauer, unserer Verzweiflung und unserer Wut. Alle unsere Gefühle gehören zu uns und fließen ein in unser gemeinschaftliches Handeln. Gerade aus diesem Grund wächst die Rebellion: weil unsere Gefühle in ihr Platz finden und die Rebellion ihnen Ausdruck verleiht. Unsere Bereitschaft, unsere Emotionen angesichts der drohenden Katastrophe wahrzunehmen und anzuerkennen, ist ein entscheidender Aspekt von ExtinctionRebellion.“
Bezeichnend auch: Der deutsche Ableger von Extinction Rebellion empfiehlt auf seiner Website die Organisation „Sustaining all Life“. Deren Botschaft ist eine Art postchristliche Super-Bergpredigt: „Tausende Jahre des Kampfes ums Überleben waren schmerzhaft für unsere Art. Sie hinterließen uns unfähig, gut zu denken über alle Menschen und die Erde.“ Dagegen behauptet nun „Sustaining all Life“ Heilmittel anbieten zu können, um diese jahrtausendealte Menschheitsgeschichte abzuschließen. Nämlich: „Methoden der gegenseitigen Unterstützung, des engagierten Zuhörens, und einen Prozess, der Menschen befreit von den Effekten der Verletzungen und der Unterdrückung. Wir können diese Methoden auch benutzen, um Schwierigkeiten auszuräumen, die uns daran hindern zusammenzuarbeiten. Diese persönliche Arbeit heilt die emotionale Verletzung und im Ergebnis sind die Menschen in der Lage, klarer über die Umweltkrise zu denken, Bündnisse aufzubauen und zu stärken und die Zusammenarbeit zu genießen, um die Welt richtigzustellen.“ Was für eine Aufgabe!
Die Betonung auf Mitgefühl, Liebe zu allen Menschen und zur ganzen Welt hindert die XR allerdings nicht daran, ihre Botschaft mit großer Entschlossenheit und der für Sekten typischen Kompromisslosigkeit zu vertreten. Rupert Read hat in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung unmissverständlich klargestellt, dass er und seine Mitstreiter keine halben Sachen machen. Vom Interviewer angesprochen auf die„Gefahr der Radikalisierung“ antwortet Read:
„Wenn nach unseren Protesten immer noch kein Wandel einsetzt, fürchte ich, dass einige Teilnehmer zu drastischen Maßnahmen greifen werden, wie etwa Hungerstreiks. Ich fände das furchtbar, also lasst uns jetzt handeln“. Eine kaum verhohlene Form der Drohung.
Zu dieser Drohung kommt eine ebenfalls kaum verhohlene Ablehnung der repräsentativen Demokratie, die bekanntlich auf Kompromissfähigkeit angewiesen ist: „Lebt eine neue Form von Politik“, fordert Read seine Leser auf, „indem Bürgerversammlungen einberufen werden. Wir möchten dass die Bürger miteinbezogen werden in den ökologischen Transformationsprozess. Schließlich ist unsere repräsentative Demokratie schlichtweg daran gescheitert, auf den ökologischen Notstand zu reagieren.“ Das ist letztlich das alte kommunistische Konzept der „Räte“, auf russisch „Sowjet“ genannt.
Und es geht noch weiter: „Jeder weiß“, sagt Read, „dass man manchmal Dinge tun muss, die wider das Gesetz sind, um Gerechtigkeit zu erringen, wenn die Gesetze selbst falsch sind.“ Auch Martin Luther King habe das schließlich getan. Es gehe doch darum, „dass die Menschheit sich nicht selbst zerstört.“ Und darum müsse „sich alles extrem schnell ändern, damit nicht Millionen, wenn nicht Milliarden von Menschen sterben“.
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