Wenn es um kriminelle Bänker und ergaunerte Milliarden geht, mahlen die Mühlen des Rechtsstaates ganz langsam, oder sie haben den Betrieb gänzlich eingestellt. Mindestens (!) 30 kriminell abgezockte Cum-Ex- und Cum-Cum-Milliarden Euro müsste sich der deutsche Fiskus von diversen Banken und Bänkern zurückholen.
Aber: Es passiert fast nichts. Ganz offenbar hat die Finanzlobby hier sehr erfolgreiche Arbeit geleistet. TE hat laufend, zuletzt am 23. August 2024, über den Skandal, der einer Bananenrepublik zur Ehre gereichte, berichtet.
Nun hat Ex-Obststaatsanwältin Anne Brorhilker in einem Interview mit der Frankfurter Neuen Presse (FNP) erneut ein wenig Einblick in ihre elf Jahre währende Ermittlungsarbeit gegeben.
Brorhilker hatte ihr Amt im April 2024 unter politisch und persönlich nicht restlos nachvollziehbaren Umständen aufgegeben und war als Geschäftsführerin zur NGO „Finanzwende“ gegangen.
Im FNP-Interview vom 9. September redet Brorhilker aus dem Nähkästchen. Interessant ist vor allem, was Brorhilker über die Rolle der Politik bei der Ahndung von Steuerraub sagt. Nachfolgend einige Kernaussagen aus dem Interview:
- Es gebe den schwach aufgestellten Staat auf der einen und eine gut aufgerüstete Finanzlobby mit großen finanziellen Mitteln auf der anderen Seite. Damit könne man viele Anwälte beschäftigen und Lobbyarbeit betreiben. Über alle möglichen Strippen würden Entscheidungen in der Politik und Verwaltung beeinflusst. Ermittler würden mit Dienstaufsichtsbeschwerden und Strafanzeigen überhäuft und an ihrer Arbeit gehindert. Gegen die mächtige Finanzlobby komme ein einzelner Ermittler nicht an.
- Bei vielen Banken gehe es nur darum, dass man möglichst viel Profit generiere. Dafür werde man gefeiert, dafür mache man Karriere. Die Kehrseite sei, dass diese Leute in ihrer Blase oft den Realitätsbezug verlören und glaubten, für sie würden andere Regeln gelten als für die Allgemeinheit. Wenn sie dann bei Steuerhinterziehung erwischt würden, höre man von ihnen meist wenig Reue, aber viel Selbstmitleid.
- Über den Finanzstandort Frankfurt/M.: Hier sei die Steuerverwaltung viel mit der Bankenbranche befasst. Oft aber sei ein Prüfer völlig überlastet, wenn er ganz allein eine riesige Investmentbank innerhalb kürzester Zeit prüfen solle.
Manche Banker seien außer Rand und Band. Die Banken könnten weiter in die Staatskasse greifen. Es gebe Nachfolgemodelle zu Cum-Ex. Kronzeugen könnten das bestätigen.
- Der berühmteste Akteur im Skandal war Hanno Berger (73), Anwalt für Finanzprodukte und vormals hochrangiger Finanzbeamter. Er sei zwar im Oktober 2023, bestätigt vom Bundesgerichtshof, zu 8 Jahren und 3 Monaten Haft verurteilt worden, sein Vermögen allerdings habe er längst in die Schweiz verbracht, worauf die deutschen Behörden nur über langwierige Rechtshilfeverfahren zugreifen könnten.
- Schleierhaft sei, dass sich der Staat das Geld aus den Cum-Ex/Cum-Cum-Geschäften nicht zurückhole. Hier gehe es um 30 Milliarden Euro. Dieses Nichtstun habe offensichtlich etwas mit der politischen Prioritätensetzung zu tun. Und damit, dass die Finanzlobby ganze Arbeit geleistet habe.
- Ein Kernproblem der Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte sei, dass die Kapitalertragssteuer den Banken automatisch erstattet werde, ohne eingehende Prüfung. Geprüft werde meist erst hinterher, wenn das Geld schon ausgezahlt sei. Der Staat sollte den Spieß umdrehen. Er sollte sich vor einer Steuererstattung alle Informationen vorlegen lassen.
- Wirtschaftskriminelle kämen in unserer Justiz zurzeit oft besser davon als andere Menschen, die gegen das Gesetz verstießen. Wirtschaftskriminelle hätten nämlich wahnsinnig viele Ressourcen und könnten sich viele Anwälte leisten, die Tausende Seiten von Papier schreiben. Das treffe auf eine sehr schwach aufgestellte Justiz und untergrabe das Vertrauen in den Rechtsstaat.
- Viel könnte man von anderen Ländern in Sachen Steuertricks lernen. In Frankreich wurde eine zentrale Staatsanwaltschaft für Cum-Cum und Cum-Ex gegründet, sie hat anschließend mehrere Banken durchsucht.
- Es hapere an der journalistischen Aufarbeitung des Steuerskandals. Viele Journalisten würden sich von der Branche einschüchtern lassen, die alles verkompliziere, um kritische Nachfragen von vornherein im Keim zu ersticken.
Zusammenfassend bringt es Brorhilker auf folgende drei Punkte:
- Es gibt keine Gesetzeslücke, sondern eine Kontrolllücke.
- Finanzkriminalität wird zu lasch verfolgt.
- In der Bundesrepublik gibt es eine Zwei-Klassen-Justiz.
Rolle von Olaf Scholz
Zum Ende des Interviews wird auch Kanzler Scholz (SPD) zum Thema. Da allerdings wird Brorhilker eher sibyllinisch. Sie wird gefragt: Was habe Scholz gewusst? Antwort Brorhilkers: „Das ist die Frage.“ Nachfrage der FNP: „Wenn Sie den Kanzler treffen könnten, was würden Sie ihm sagen?“ Antwort Brorhilker: „Ich habe mich, zusammen mit Kollegen, schon mal mit ihm getroffen. Es ging darum, dass wir aufgrund starker Indizien vermutet haben, dass der Steuerraub weitergeht. Dazu wollten wir ihn informieren.“
Erneute Nachfrage der FNP: „Und wie hat er reagiert?“ Antwort Brorhilker: „Er hat sich das angehört.“ Um dann ganz allgemein anzufügen: „Ich wünsche mir, dass er als Politiker an Fakten interessiert ist und an Ermittlungsergebnissen. Ich wünsche mir ein echtes Interesse daran, wie es passieren konnte, dass uns knapp 40 Milliarden Euro fehlen und wie man das Geld der vielen ehrlichen Steuerzahler in Deutschland wieder zurückholen kann.“
Nun denn! Scholz wird es schon richten. Er ist laut Karl Lauterbach ja der beste Kanzler, den Deutschland je hatte. Und er, Scholz, wird sich auch diesem Steuerraub in der von ihm bereits jetzt herbeiphantasierten zweiten Amtszeit widmen. Oder?
Den Cum-Ex/Cum-Cum-/Warburg-Bank-Untersuchungsausschuss des Bundestages, so er denn kommt, wird Scholz mittels amnestischen Syndroms überstehen. Zur Erinnerung: Im April 2023 beantragte die Union zur Aufarbeitung des Warburg-Steuerskandals die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Dieser sollte auch die Rolle von Scholz klären. Die nötige Stimmenzahl hatte die Fraktion. Im Juli 2023 erklärte die „Ampel“ mit ihrer Mehrheit den Antrag jedoch für verfassungswidrig.
Begründung: Das sei keine Sache des Bundes, sondern des Landes Hamburg. Die CDU/CSU-Fraktion reichte schließlich in Karlsruhe Organklage gegen den Bundestag ein, weil die Regierungskoalition einen Untersuchungsausschuss zur politischen Glaubwürdigkeit von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verhinderte. Im Februar 2024 beantragte die „Ampel“ in Karlsruhe Fristverlängerung; sie wurde ihr gewährt. Warum wohl?