Tichys Einblick
Ein diktatorisches Regime

Europäische Zentralbank: Unabhängigkeit versus Allmacht

Die Europäische Zentralbank hat das Prinzip der Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank in eine Allmachtsphantasie umgewandelt. Einige Bemerkungen zur Rolle der EZB in der Europäischen Politik.

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I. Demokratie und Rechtsstaat sind die Visitenkarten der Europäischen Union. Demokratische Prinzip und Rechtsstaatgebot gehören zu ihrem Selbstverständnis. Beide Prinzipien haben in den europäischen Verträgen normative Ausprägung erfahren. Ein Mitgliedsstaat der gegen diese Prinzipien verstößt, muss sich auf ein Verfahren gemäß Artikel 7 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) gefasst machen.

Bei der EZB sind die europäischen Verträge vom Demokratieprinzip abgewichen. Indes wurde das Rechtsstaatprinzip für die EZB nicht außer Kraft gesetzt. Ihre Akte können gemäß Artikel 263 (4) des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) direkt oder in Deutschland mittelbar vor dem Bundesverfassungsgericht angegriffen werden und zwar mit der Behauptung, sie gingen über die Ermächtigungsgrundlagen hinaus und würden gravierend die Kompetenzordnung zwischen EU und Mitgliedsstaaten verletzen.
Das Prinzip der beschränkten Einzelermächtigung verbietet jedwede autonome Fortentwicklung von Kompetenzen der Gemeinschaftsorgane und lässt daher die Ausdehnung des Tätigkeitsbereichs der EZB nicht zu. Angesichts ihrer unikaten Unabhängigkeit sowie des Fehlens demokratischer Legitimation besteht Übereinstimmung darin, dass die Zuständigkeit der EZB eng ausgelegt werden muss. Diese enge Auslegung korreliert mit dem Fehlen demokratischer Rechenschaftspflicht und Legitimation.

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Mit ihren unkonventionellen Aufkaufprogrammen( SMP, OMP, APP) ist die EZB deshalb in ein kontroverses Licht geraten, weil gerade wegen ihres demokratischen Defizits jedwede kompetenzielle Flexibilität inakzeptabel ist. Dies gilt auch für den berühmten Satz Mario Draghis, die EZB würde alles was nötig ist tun, um den Euro zu verteidigen. Es ist nämlich nicht Aufgabe und war nie Aufgabe der EZB, den Euro zu verteidigen. Ob und wie gegebenenfalls die Europäische Währungsunion – ein politisches Projekt– verteidigt wird, liegt ausschließlich in der Kompetenz der Regierungen der Mitgliedstaaten der Eurozone. Das Lob, welches Draghi für diesen Satz – gewiss ein Akt überzeugender deklaratorischer Politik – erhalten hat, ist mit den normativen Zuständigkeitsgrenzen der EZB unvereinbar.

Ebenso unvereinbar mit den engen Grenzen der geldpolitischen Kompetenz der EZB ist auch die von ihr postulierte Freistellung durch den EuGH von nahezu allen Beschränkungen ihrer Tätigkeit. Denn der EuGH hat sich erkühnt, die kompetenziellen Grenzen der EZB danach zu ziehen, wie die EZB ihre Politik nach außen deklariert. Kompetenzgrenzen werden indessen nie danach bestimmt, wie ein Kompetenzträger seine Maßnahmen selbst qualifiziert sondern nach objektiven Gesichtspunkten.

Vor dem Hintergrund beider Urteile des EuGH zu den Zuständigkeitsgrenzen der EZB (OMT und APP) sind Zweifel berechtigt, ob der EuGH dem grundliegenden Gebot der Europäischen Verträge genügt, echten Rechtschutz gegenüber den Akten der EZB zu gewähren. Dies gilt umso mehr, als eine direkte Klage von Bürgern der Europäischen Gemeinschaft gegen die geldpolitischen Maßnahmen der EZB bislang stets an der Zulässigkeit scheiterte.

Die EZB inmitten einer Legitimitätskrise

Die Tätigkeit der EZB ist offensichtlich nicht nur Legalitätszweifeln ausgesetzt, sondern befindet sich inmitten einer Legitimitätskrise. Hierzu hat erheblich beigetragen, dass die EZB – zunächst gegen ihren Willen – eine allumfassende Bankenaufsicht für die Eurozone geworden ist. Das Bundesverfassungsgericht benötigte 174 Seiten, um in seinem Urteil vom 30.07.2019 darzulegen, warum diese Übertragung von höchst souveränitätsaffinen Kompetenzen auf die EZB „noch mit den Ermächtigungsgrundlagen des Artikel 127 AEUV vereinbar sei.“

Damit ist die institutionen-ökonomische Diskussion darüber, ob eine supranationale geldpolitische Instanz auch supranationale Aufsichtsfunktionen im Bankenbereich erhalten sollte, nicht erledigt. Denn die Interessenkonflikte zwischen Bankenaufsicht und geldpolitischen Entscheidungen können nicht abgestritten werden. So fragte Bundesverfassungsrichter Müller in der mündlichen Verhandlung des Bankenunionverfahrens am 28.11.2018: „Und nun soll der Hund auf die Wurst aufpassen?“ Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Legitimitätskrise über Legalitätszweifel hinaus zu prinzipiellen Hinterfragungen im Milieu von Zentralbankern geführt hat.

II. Politische Unabhängigkeit als Schrittmacher von Ausnahmebefugnissen?
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung ist die Erörterung der Frage überfällig, ob das von Deutschland praktizierte, für die EZB geforderte und schließlich von den traditionellen Weichwährungsländern nolens volens akzeptierte Konzept der politischen Unabhängigkeit der EZB, diese vor dem Primat des Politischen hinreichend schützt und sicherstellt, dass sich die EZB an ihr Mandat hält.

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Das Konzept der Unabhängigkeit einer Zentralbank ist die Antwort darauf, dass Geld vom Staat aus dem Nichts geschöpft wird und daher in besonderer Weise anfällig für eine Geldwertdestabilisierung im fiskalischen Interesse des Staates ist. Mit der Unabhängigkeit einer Zentralbank will man die Verantwortlichen der Geldpolitik vor dem Zugriff der Regierung und ihren Weisungen, also vor dem Potential politischer Willkür, schützen. Dieses Konzept der Unabhängigkeit hat bislang nur auf nationaler Ebene funktioniert. Denn nur auf nationaler Ebene konnte die Zentralbank durch ihre Leitzinsen den nationalen Finanzminister für eine nichtstabilitätsorientierte Fiskalpolitik abstrafen. Bei einer supranationalen Zentralbank wie der EZB und sehr unterschiedlichen, zum Teil vorbildlichen, zum Teil nachlässigen nationalen Fiskalpolitiken ist eine differenzierte geldpolitische Sanktionierung schon deshalb unmöglich, weil es nur eine einheitliche Geldpolitik gibt.

Darüber hinaus wohnte dem Konzept der Unabhängigkeit stets, wenn nicht ein Denkfehler, so eine Denklücke inne. Es wurde zwar immer wieder auch von der EZB als eine quasi-institutionelle Garantie für Stabilitätspolitik und Preisstabilität dargestellt. Indessen hat sich, wahrscheinlich aus Interessengründen niemand an folgende Tabu-Frage herangewagt:
Schützt die Unabhängigkeit einer Zentralbank, also ihre formale Freiheit von Weisungen der Regierung, diese auch davor, dass ihre Befugnisse von Personen ausgeübt werden, die insgeheim andere als stabilitätspolitische Ziele verfolgen wollen. In einem solchen Fall würde zwangsläufig ihr stabilitätspolitisches Mandat überschritten.

Die formale Unabhängigkeit, sprich Weisungsfreiheit der EZB, war also nur die notwendige Bedingung für ihre langfristige Verpflichtung auf Stabilitätspolitik. Indessen fehlte die zusätzliche, hinreichende Bedingung, dass die Personen, die zu ihrer Leitung ernannt werden, sich auch diesem Ziel verpflichtet fühlen. Dies ist nicht bei allen Mitgliedern des Direktoriums der EZB gewiss. Eine supranationale Zentralbank ist also, hinsichtlich ihres stabilitätspolitischen Kurses, ohnehin viel stärker gefährdet als eine nationale Zentralbank.

Diese Gefahr geht einher mit der tristen Feststellung der EZB-Praxis:

Im Klartext: Die EZB postuliert Freiheit vom Recht und die Befugnis zur Selbstermächtigung also zur kompetenziellen Entgrenzung. Dieser Diskurs –unabhängig von seiner Beliebtheit bei den Kapitalmärkten – zeichnet den Weg in die Diktatur vor.

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So ist mit deutschem Zutun aus dem Prinzip der Unabhängigkeit die Allmachtsphantasie der EZB-Banker entstanden. Eine Institution auf deutschen Hoheitsgebiet besetzt mit Personen, die dieses diktatorische Regime versuchen, den Deutschen schmackhaft zu machen, hat im Namen Europas das erreicht, was der brillant-berüchtigte NS-Jurist Carl Schmitt in seiner „Politischen Theologie“ formulierte: Souveränität im Sinne völliger Freiheit, über den Ausnahmezustand und seine Überführung in den Normalzustand zu befinden.

Wir werden sehen, ob sich alle Vertreter im EZB-Rat diese Praxis auf Dauer gefallen lassen. Ihnen sei ins Stammbuch geschrieben: „Mehr Luther wagen!“

Diesen Vortrag hielt Markus C. Kerber beim „Forum Geldpolitik“ der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) am 31.10.2019


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