Der Nobelpreisträger für Wirtschaft Joseph Stiglitz sagte bereits im Jahr 2016, dass der Euro seine drei Ziele verfehlt hat: Weder hat der Euro die Integration Europas vertieft, noch hat er für mehr Wohlstand und Wachstum gesorgt und auch die Harmonie zwischen den Euro-Staaten ist mittlerweile auf der Strecke geblieben. Bei Geld endet eben die Freundschaft. Entweder man steige aus dem Euro aus, so Stiglitz, oder man müsse in eine gemeinsame Haftungsunion.
Dieser Weg wird von der Politik nunmehr seit Jahren konsequent beschritten, ohne dass dies für die Bürger Europas deutlich wird. Während die EU längst eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung vorbereitet (eine der von Stiglitz vorgeschlagenen Maßnahmen), versucht die EZB mit allerlei flankierenden Programmen die gescheiterte Gemeinschaftswährung zu retten. Mit seiner berühmten Aussage „whatever it takes“ setzte Mario Draghi große Ankaufprogramme in Gang, die man mindestens als unkonventionelle Geldpolitik bezeichnen kann.
Am 30. und 31. Juli wurde vor dem 2. Senat des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe an zwei mündlichen Verhandlungstagen die Verfassungsbeschwerde zu diesem Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors durch die EZB (PSPP) verhandelt. Diese Verfassungsbeschwerde wurde bereits im letzten Jahr vor dem Gerichtshof der EU in Luxembourg beurteilt und nach Auffassung des höchsten Deutschen Gerichtes hat das Urteil des EuGH dabei viele Fragen unbeantwortet gelassen und der EZB mehr oder minder einen Freifahrtschein ausgestellt: nur die EZB kann beurteilen, ob die Maßnahmen der EZB gerechtfertigt sind. Eine mutige Behauptung, befanden die Verfassungsrichter, die den Eindruck hatten, dass viele Experten nach Karlsruhe gekommen waren, die dazu durchaus in der Lage sind. Entsprechend deutlich fiel denn auch die Kritik am Urteil aus Luxemburg aus.
Während der Anhörung sollten mehrere Fragen geklärt werden. So ging es zum Einen darum, ob es sich beim PSPP-Programm nicht in erster Linie um verbotene monetäre Staatsfinanzierung handelt. Große Wichtigkeit wurde auch der Frage nach der Verhältnismäßigkeit eingeräumt: die Verfassungsrichter versuchten herauszufinden, inwieweit die EZB die besonders für deutsche Sparer, Versicherer und Rentner dramatischen Folgen berücksichtigt und ob diese gemessen an den Erfolgen des Anleiheankaufsprogrammes gerechtfertigt sind. Der Vorsitzende des BVerfG, Andreas Voßkuhle, sagte hier wortwörtlich, dass von dieser Politik der EZB jeder einzelne Bürger Deutschlands betroffen ist, womit er die große Relevanz des Programmes für die Bundesrepublik Deutschland deutlich machte
Gehört wurden Vertreter und Sachverständige der Bundesregierung, der Bundesbank, der Bundesfinanzagentur, des Giroverbandes, der Landesbanken, des Verbandes der Deutschen Versicherer, ein Analyst der Deutschen Bank sowie Sachverständige vom Walter Eucken Institut bzw der Universität Frankfurt.
So konnte nicht eindeutig geklärt werden bzw. war bei den Fachleuten umstritten, ob das Ankaufprogramm, bei welchem durch die EZB zwischen 2014 und 2018 Schuldpapiere von bislang 2,57 Billionen Euro erworben wurden, überhaupt irgendeinen einen Nutzen hatte. In Anbetracht der gewaltigen Summe, die bislang eingesetzt wurde, ein eher ernüchterndes Ergebnis. Der Bundesbankdirektor Jens Ulbrich, der die Ankaufprogramme der EZB rechtfertigen musste, wurde von den Verfassungsrichtern regelrecht auseinander genommen, konnte er doch nicht glaubhaft vermitteln, dass man sich hierbei um definierte Leitlinien oder Vorgaben kümmert oder dies zukünftig tun wird. Der Freifahrtschein wird eben als solcher ausgelegt – „whatever it takes“ meint genau das, was der Satz sagt. Inwieweit Deutsche Sparer und Versorger geschädigt werden, spielt für die EZB dabei augenscheinlich – wenn überhaupt – nur eine sehr untergeordnete Rolle. Besonders Verfassungsrichter Huber, der auf sein Vordiplom in Volkswirtschaft hinwies, stellte teils sehr scharfe Fragen zu den Nachteilen des Programmes, auf die er wenig zufrieden stellende Antworten erhielt.
Die Frage nach den Risiken beschäftigte insbesondere die Verfassungsrichter Voßkuhle, Huber und Müller immer wieder, die ausgezeichnet in das schwierige Thema eingearbeitet waren. Das Anleiheankaufprogramm wurde von den meisten Sachverständigen als äußerst ungewöhnliches Tool beschrieben, dass nur in absoluten Ausnahmesituationen und nur für beschränkte Zeit, verwendet werden sollte. Eine beschränkte Zeit ist bislang aber nicht vorgesehen, vielmehr soll es ab September 2019 wieder aufgenommen werden. Ein Ausstieg ist bislang gar nicht vorgesehen. Wortwörtlich wurde das PSPP-Programm deshalb von mehreren Sachverständigen, darunter dem Analysten der Deutschen Bank und dem Vertreter des Deutschen Versicherungsverbandes als toxisch bezeichnet. Vernichtender kann ein Urteil gar nicht ausfallen. So ist dieses Programm nicht nur schwierig für Deutsche Sparer, Rentner und Versicherte, sondern eben auch für Banken und Versicherungsunternehmen, die entweder ihr Geschäftsmodell einbüßen oder aber langfristig keine Rendite sicherstellen können. Das Programm stellt darüber hinaus auch einen Eingriff in den Markt dar, der zu Verzerrungen bei der Preisbildung oder am Immobilienmarkt führt oder zu sogenannten Zombie-Firmen, die ohne billige Kredite am Markt nicht überleben könnten. Mit allen Nachteilen, die sich dadurch auch auf die Lohnentwicklung ergeben.
Die Frage, die das Bundesverfassungsgericht am meisten beschäftigte, war immer wieder die nach der Verhältnismäßigkeit: ist die Enteignung Deutscher Sparer bzw. Rentner durch dieses Programm ein Kollateralschaden, den man billigend in Kauf nimmt? Und hat sich die EZB nicht längst von ihren in den Europäischen Verträgen festgelegten Aufgaben entfernt? Ist die Einhaltung des Inflationszieles von 2 % tatsächlich noch oberste Priorität der Zentralbank oder geht es eben längst darum, Länder wie Italien und Frankreich künstlich am Leben zu erhalten, also eben monetäre Staatsfinanzierung zu betreiben? Oder war dies gar von vornherein das Primärziel des Programmes? Dieser Eindruck konnte nicht glaubwürdig entkräftet werden, doch liegt die Vermutung natürlich nahe, ohne dass sie beweisbar ist.
Überraschend war, wie deutlich die Vertreter des Bundesverfassungsgerichtes die Einschätzung der Klägergruppen zu teilen schienen. Allerdings darf bezweifelt werden, dass die während der Verhandlungstage oft und deutlich formulierte Kritik des BVerfG sowohl an der EZB als auch am EuGH in dieser Härte auch in das Urteil einfließen wird. Es stellt sich die Frage, inwieweit hier überhaupt juristisch geklärt werden kann, was eine offensichtlich politische Fragestellung ist: muss wirklich das Höchste Deutsche Gericht einer Verfassungsklage von vier Klägergruppen Recht geben und damit den Handlungsspielraum der EZB einhegen oder könnten und müssten die Bürger der BRD nicht von ihrer Bundesregierung erwarten, dass diese genau einen solch erheblich Schaden, der hier offensichtlich verursacht wird, von ihnen abhält? Nach den Aussagen des Prozessvertreters der Deutschen Bundesregierung Häde, der das PSPP-Programm verteidigt bzw. als notwendig darstellt, ist davon jedoch nicht auszugehen.
Und das ist das eigentliche Drama: die Bundesregierung vernachlässigt sträflich die Interessen der Bürger zu Gunsten der Euro-Rettung. Scheitert der Euro, scheitert Europa, hat Angela Merkel gesagt. Und während die GroKo die Bürger auf der einen Seite zur Altersversorge ermuntert, nimmt sie ihnen auf der anderen Seite die Möglichkeit, genau das zu tun. Die französische und italienische Regierung sind beim Durchsetzen ihrer Interessen wesentlich zielgerichteter und auch erfolgreicher, wie die zukünftige Besetzung der EZB durch Christin Lagarde, die Draghis Politik zum Schaden der Deutschen fortsetzen wird, deutlich zeigt. Wir geben uns mit von der Leyen als Kommissionspräsidentin zufrieden, die wahrscheinlich eher Macrons Politik in der EU vorantreiben wird, als auf deutsche Interessen zu achten.
Darüber scheint man sich auch in Karlsruhe durchaus im Klaren zu sein. Sicherlich wird das BuVerfG versuchen, ein paar Leitplanken und rote Linien in seinem Urteil einzuziehen. Doch man ist sich sicherlich auch darüber im Klaren, dass ein hartes Urteil den Euro in schweres Fahrwasser brächte. Ob das Bundesverfassungsgericht diesen Mut haben wird, ist mehr als fraglich. Sollte das oberste Deutsche Gericht die Klage abweisen und keine nennenswerten Leitplanken für die EZB benennen, riskiert das Gericht seinen Ruf unwiderruflich zu beschädigen.
Das BVerfG bemüht sich, möglichst rasch zu einem Urteil zu kommen. In Anbetracht von Draghis Ankündigungen von letzter Woche ist dafür auch nicht mehr viel Zeit.
Ulrike Trebesius war Mitglied des EU-Parlaments und gehört zu den Klägern in Karlsruhe.