Tichys Einblick
Ohne uns, über uns, sicher nicht für uns

Euro, Klima und Migration

Euro, Klima und Migration haben etwas gemeinsam. Der Nationalstaat mit seiner Demokratie hat immer weniger zu sagen. Gesetze und Verträge kommen nicht von unten, aus der Gesellschaft, sondern im Gegenteil von oben, aus Büros mit internationalen Beamten, Lobbygruppen und Unternehmen.

FETHI BELAID/AFP/Getty Images

Ein auffallender Aspekt des „Migrationspakts von Marrakesch”, der im Herbst 2018 auftauchte, ist, dass fast noch nie jemand davon gehört hatte. Politiker, die den Eindruck erweckten, darüber durchaus informiert zu sein, behaupteten beschwichtigend, dass er „nicht bindend“ sei. Das steht im Widerspruch zu den zahlreichen Verabredungen, die der „Pakt“ enthält.

Es war offenbar nicht die Absicht, dass die Implikationen der Vereinbarungen des UN-Migrationspakts an die Öffentlichkeit dringen sollten. In diesem Pakt steht derweil, dass die Regierungen sich verpflichten, den Nutzen und die Vorteile der Migration zu propagieren. Medien, die dabei nicht mitmachen, sollen gestraft, ablehnende Bürger als diskriminierende Rassisten dargestellt werden. Der Marrakesch-Pakt ist ein Paradebeispiel für diese Art von Politik: ohne uns, über uns und sicher nicht für uns.

Schritt für Schritt weiter, bis es kein Zurück mehr gibt

„Marrakesch” ist nicht die einzige Gesetzgebung, die oktroyiert wird, ohne dass Bürger darum gebeten haben. Und ohne dass darüber eine politische Debatte geführt worden ist. Internationale Gesetzgebung kommt allzuoft aus heiterem Himmel, wenn die Wahlen gerade vorbei sind: erst unschuldig, nicht verpflichtend, eher etwas für später und vor allem zwingend für andere. Bis schon bald kein Weg mehr zurück führt, weil bereits vollendete Tatsache geschaffen wurden, bevor die Bürger merkten, was gespielt wurde.

Jean-Claude Juncker, der Luxemburger Politiker, der nicht mehr lange Vorsitzender der Europäischen Kommission ist, erzählte einmal in einem Moment der Offenherzigkeit, wie die europäische Einheitswährung, der Euro, auf den Weg gebracht wurde: „Wir entscheiden etwas, wir lassen es eine Weile liegen, warten und schauen, was passiert. Wenn sich niemand darüber aufregt, weil die meisten Menschen gar nicht verstehen, was beschlossen wurde, gehen wir Schritt für Schritt weiter. Bis es keinen Weg mehr zurück gibt.“

Wegweisend für die europäischen Kabinette

Dieser Euro wurde der Öffentlichkeit von den Kabinetten unter dem Premierminister Wim Kok zusammen mit einer Reihe von Organisationen – von der Unternehmer-Lobby bis hin zu Verbraucherverbänden – in einer jahrelangen Kampagne als etwas verkauft, von dem sowohl Konsumenten als Unternehmen noch viel profitieren würden. Dabei wurde jedoch nicht erzählt, dass die Niederlande ihre Unabhängigkeit in Bezug auf die Währung und den Etat aufgegeben hatten, als vorläufiges Schlusskapitel eines über vierzig Jahre laufenden Trajekts, in dem insbesondere Frankreich versucht hatte, Deutschland in den Griff zu bekommen, um so ökonomische und politische Macht zu gewinnen.

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Der Euro kam in der Empfindung der Bürger, als sei er vom Himmel gefallen, war aber im letzten Vierteljahrhundert wegweisend für die gesamten politischen Leitlinien des Kabinetts. Gerade weil Deutschland und die Niederlande Länder wie Frankreich und Italien zurechtweisen wollten, gerierten sich vor allem die Niederlande als Musterschüler. Das Senken des Haushaltsdefizits – problematisch für die südlichen Länder – wurde zum dominierenden Faktor in der niederländischen Politik.

Die Bürger der Niederlande haben nie – jedenfalls nicht scharenweise – um den Euro gebeten und ebenso wenig um die Haushaltsregeln, die Deutschland zusammen mit den Niederlanden als Bedingung stellte, als die Franzosen zu einer europäischen Währungseinheit aufriefen und sich dafür starkmachten. Diese Vorgänge spielten sich in den achtziger und neunziger Jahren in Büros in Brüssel und in einigen europäischen Hauptstädten ab; unter Ministerialbeamten und der Leitung der Zentralbanken, in großen Zügen durch das Kräfteverhältnis zwischen dem deutschen Bundeskanzler und dem französischen Präsidenten gesteuert.

Internationale Organisationen greifen nach den Bürgern

Die speziell „europäische” Kräfteverteilung entstand nach dem Zweiten Weltkrieg: auf deutscher Seite Hitlers Schatten, Amerika als neue Weltmacht und die Bedrohung von Seiten der anderen Weltmacht, der Sowjetunion. In diesem Kontext entstanden die Institutionen, die bis heute Gesetze und Regeln einführen. Sowohl das Weltwährungssystem der Nachkriegszeit (Bretton Woods) und der immer freiere Welthandel (GATT, WTO) als auch die Europäische Union und sogar die Vereinigten Nationen – alle sind Produkte des Zweiten Weltkriegs. Ihr Einfluss auf das Leben der Bürger wird immer größer, von Tag zu Tag. Wenn es nicht um den Euro oder das Klima geht, dann wird als Hebel die internationale Migration genutzt.

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Momentan ist noch „das Klima“ das entscheidende Brecheisen. So wie bei dem niederländischen Pharisäertum rund um den Euro kam die niederländische Hardliner-Mentalität beim dritten Rutte-Kabinett wie ein Bumerang zurück. Während die Niederlande fortfuhren, die Zielvereinbarungen („klimaneutral“, „CO2-frei“) international immer weiter anzuheben, geriet die Durchführung dieser Ziele im eigenen Land immer weiter unter Druck. Unmögliche, exorbitant teure, undurchführbare und kontraproduktive Methoden sind Beispiele für die Panik und die Folge der Verpflichtungen, die die Niederlande 2015 mit dem Klimavertrag von Paris eingegangen sind. Die Stichworte dazu: Gasverbot, CO2 unter dem Meeresboden, von Steuern befreite elektrische Autos, riskante Erdwärme statt Kernenergie.

War der Vertrag von Paris ein Thema von gesellschaftlicher Diskussion und politischer Debatte bei den Parlamentswahlen von 2012 oder wenigstens 2017? Nicht oder kaum. Dabei ist er immerhin das zentrale Element in der Politik des dritten Rutte-Kabinetts – und die Drohung steht bereits im Raum: Wer die Ziele und die Mittel der Pariser Klimapolitik nicht unterstützt, wird von der Mitbestimmung ausgeschlossen. Und das Klima war erst der Anfang.

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Mindestens so schleichend wie die Einführung des Euro in Europa ist ab 2000 in Büros der Vereinigten Nationen in New York und Genf versucht worden, Kontrolle über das in der westlichen Welt am meisten spaltenden politische Thema zu erlangen: die Migration. Dies geschah mit dem Ziel oder wenigstens mit dem angestrebten Nebeneffekt, die Niederlande in noch umfangreicherem Maße in den Einflussbereich der Europäischen Union, des Europarats und der Vereinigten Nationen zu ziehen. Der Einfluss erstreckt sich auf Gesetzgebung, Exekutive und auch auf die Rechtsprechung.
Euro, Klima und Migration enthalten einen bindenden Faktor

Euro, Klima und Migration: Diese drei Themen haben etwas gemeinsam. Der Nationalstaat mit seiner Demokratie hat immer weniger zu sagen. Gesetze und Verträge kommen nicht von unten, aus der Gesellschaft, sondern im Gegenteil von oben, aus Büros mit internationalen Beamten, Lobbygruppen und Unternehmen. Es schwebt eine Wolke der multinationalen Macht über der Welt, die autoritär regierte Länder wie China und Russland nicht tangiert, denn die behaupten ihre Macht notfalls mit kriegerischen Mitteln. Aber das Funktionieren der westlichen Demokratien – das untergräbt diese multinationale Machtwolke sehr wohl.

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Dies wird zudem noch durch übrige Elemente der Globalisierung auf dem Gebiet der Wirtschaft verstärkt. Vor allem kleinere Nationalstaaten sind den international operierenden Unternehmen nicht gewachsen,  die allein schon durch ihre Größe weitgehende Forderungen stellen können. Man denke an den Plan, um die Dividendenbesteuerung abzuschaffen, eine Idee, die anfangs in der Koalitionsvereinbarung des dritten Rutte-Kabinetts in Den Haag stand – dann aber stillschweigend beerdigt wurde.
Gewinner und Verlierer der Internationalisierung

Die Internationalisierung hat Gewinner und Verlierer zur Folge. Die Gewinner sind die meistens hochqualifizierten Anhänger oder Benutzer des Globalismus, die in kosmopolitischem Komfort gedeihen: gut bezahlt und ohne viele Risiken. Auch ihre Arbeitgeber zählen zu den Gewinnern: Multinationals oder internationale Monopolisten in Silicon Valley und anderswo, außerdem die internationalen Organisationen und Lobby-Klubs, die sich auf einem unaufhaltsamen gemeinsamen Vormarsch befinden.

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Und natürlich gibt es auch die Verlierer. Das sind die Nationalstaaten und ihre Bürger, und dann insbesondere diejenigen, die am meisten vom Schutz dieser Nationalstaaten abhängig sind. Der Idee des europäischen Nationalstaats wird – wenn ausnahmsweise die Deutschen nicht an allem die Verantwortung tragen – für den Ausbruch und den Verlauf von Erstem und Zweitem Weltkrieg verantwortlich gemacht. Sie wird seitdem verteufelt, eine Tatsache, mit der die internationalen Bürobewohner gut fahren. Logischerweise wird aus Brüssel und New York nach dem „Populismus“ nun der „Nationalismus“ als das Böse schlechthin dargestellt.

Aber gerade der Nationalstaat war wie kein anderer der Beschützer der Benachteiligten. Nach Krieg und Aufständen, insbesondere 1848, 1918 und 1945, wurden die westlichen Nationalstaaten – immer wieder aufflackerndem Widerstand zum Trotz – allmählich immer humaner, gerechter und sorgsamer. Wie auch der Sozialismus in den westlichen Wohlfahrtsstaaten äußerst erfolgreich war, denn hier gedieh er auf dem Humus des höchsten Schutzniveaus der Welt.

Die Mittelklasse verliert ihre Existenzgrundlage

Eine Reihe von Untersuchungen aus den letzten Jahren macht deutlich, dass Arbeitnehmer in westlichen Ländern sicher schon seit der Jahrhundertwende und möglicherweise schon seit den siebziger Jahren ihre Existenzgrundlage verlieren – Stück für Stück. Wo die Wirtschaft gerade hypertrophiert, bleibt die Kaufkraft des Arbeitnehmers zurück. Und damit auch der soziale Schutz. Das gilt in besonderem Maße für diejenigen, die ihren Lebensunterhalt mit ihrer Händen Arbeit verdienen. Nicht nur Handwerker, sondern vor allem auch Servicekräfte, die häufig einen Flex-Job haben und die meistens auch unter internationaler Konkurrenzdruck stehen.

Bürger, die weniger bemittelt sind, haben in der Demokratie immer weniger zu sagen, denn die Demokratie ist größtenteils in anonyme Büros verschwunden. Der türkisch-amerikanische Ökonom Dani Rodrik hat das prophezeit, und es bewahrheitet sich immer mehr: Mitmachen in einer Welt ohne Grenzen ist für Nationalstaaten unmöglich, ohne dass dies auf Kosten der nationalen Souveränität und der damit verbundenen Demokratie geht. Die niederländische Praxis zumindest bestätigt das.

Niemand kümmert sich um den Arbeiter

Als „Links“ noch „Rot“ war, kümmerte sich diese politische Richtung um die Arbeiter. Da „Links“ nun sehr oft dem modischen „Grün“ gewichen ist, kümmert dieses neue „Grünlinks“ sich eher um das Klima und die Migranten. Diese neue Linke agiert sogar erkennbar abgeneigt, wenn es um die traditionellen Arbeiter geht. Das reicht bis zu einer Abneigung gegen die Demokratie an sich. Dass das Allgemeine Wahlrecht eine der ersten Ziele der Arbeiterbewegung und ihr größter Erfolg war, ist völlig vergessen worden. Die Folge ist völlig logischerweise, dass in ganz Europa Parteien an Boden gewinnen, die im wahrsten Sinne des Wortes „populistisch“ sind.

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Das wiederum hat Folgen bei den internationalistisch gesinnten Kräften. In den Niederlanden lieferte Guusje ter Horst von der PvdA ein drastisches Beispiel einer Demokratievergessenheit, die noch vor wenigen Jahrzehnten undenkbar war. Ter Horst rief nach den verlorenen Europa-Wahlen zum Aufstand der „intellektuellen Elite“ gegen den „Mann auf der Straße“ auf – vor allem, wenn dieser sich zum Populismus bekehrt hatte. Das geschah Jahre bevor die amerikanische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton einen Teil ihrer Wähler als „deplorables“ – als „Bedauernswerte“ – bezeichnete.
Letzter Anker: Populismus

Die untere Mittelklasse sucht verständlicherweise Unterstützung bei denjenigen, die man Populisten oder Nationalisten nennt – jene, die man aus den globalen Büros als verwerfliche, entschieden zu bekämpfende Konkurrenz betrachtet. In diesen Büros engagiert man sich weit mehr für das Klima und den Migranten an sich als für das Wohl des westlichen Arbeiters. So droht der Fortschritt des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts zusammen mit den Nationalstaaten in einer Welt ohne Grenzen geschluckt zu werden. Zu den Opfern gehören diejenigen, die vom früheren Fortschritt am meisten profitiert haben. Kein Wunder also, dass im 21. Jahrhundert die Gesellschaftskritik vor allem von so genannten Populisten und Nationalisten kommt. Und dass diese so immens viel Zulauf haben.


Syp Wynia ist niederländischer Journalist.


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Roland Tichy (Herausgeber), Der UN-Migrationspakt und seine Auswirkungen.
Mit Beiträgen von Norbert Häring, Krisztina Koenen, Tomas Spahn, Christopher Walter und Alexander Wendt

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