Tichys Einblick
EU-Wahlen et al

„Kampf gegen rechts“ – kläglich gescheitert

Was sich abzeichnete, bestätigte sich bei den EU-Wahlen: Sie haben nicht zuletzt in Deutschland in einer deutlichen Veränderung das Mehrheitsverhältnis nach Mitte-Rechts verschoben. Die Unionsparteien streben in der EU wie in Deutschland gleichwohl Neuauflagen von Mitte-Links-Bündnissen an, die dem Wählerwillen widersprechen.

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Nachdem seit den Europawahlen vom vergangenen Sonntag nach den beiden Unionsparteien (30 Prozent) mit knapp 16 Prozent die AfD bundesweit zur zweitstärksten Partei aufgestiegen ist, müssten sich nicht nur die Funktionäre, Mitglieder und Anhänger aller etablierten Parteien, allen voran der SPD und der Grünen, sondern auch deren Mitstreiter aus Medien, Kirchen, Verbänden, NGO’s bis hin zu einigen Unternehmensführern fragen, was ihr von überheblicher Selbstgerechtigkeit triefender „Kampf gegen rechts“ bei den Wählern bewirkt hat. Die nackten Zahlen zeigen jedenfalls, daß das Gegenteil von dem eingetreten ist, was sich die selbsternannten Verteidiger der Demokratie von ihren Aufrufen, Kundgebungen, Wahlaufrufen und Wahlplakaten versprochen haben, mit denen sie nicht erst seit den Europawahlen versuchen, die Wähler dazu zu bringen, nicht (mehr) die AfD zu wählen.

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So hat die AfD nicht nur in erheblichem Umfang Wähler von allen anderen Parteien hinzugewonnen, von der SPD und der Union jeweils rund 570 000, von der FDP rund 430 000, der Linken rund 150 000 und selbst von den Grünen rund 50 000. Noch bemerkenswerter ist allerdings der Umstand, daß sie gleichzeitig keine Wähler an diese Parteien verloren hat. Rund 160 000 Wähler hat sie lediglich an das neu gegründete Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) abgegeben, während rund 380 000 bisherige AfD-Wähler ins Lager der Nichtwähler wechselten. Was die Gründe für diese Verluste sind, ist schwer zu sagen. Einer von mehreren dürften die Skandale um den Spitzenkandidaten der Partei, Maximilian Krah, sein. Ihn musste die AfD-Führung, um noch größeren Schaden zu vermeiden, während des Wahlkampfes aus dem Verkehr ziehen, nachdem wegen ihm alle AfD-Abgeordneten aus der Fraktion Identität und Demokratie (ID) kurz vor dem Wahltermin ausgeschlossen worden sind. Erstmals warfen in diesem Zusammenhang nicht mehr nur die üblichen Verdächtigen der AfD Fremdenfeindlichkeit sowie ein Liebäugeln mit völkischem Gedankengut vor, sondern selbst ihre politischen Freunde im EU-Parlament.

Gleichwohl ist es trotz eines alle bisherigen Maße sprengenden, polit-medialen Trommelfeuers aller selbsternannten Verteidiger der Demokratie keiner der anderen im Bundestag vertretenen Parteien gelungen, wenigstens einen kleinen Teil ihrer seit 2013 an die AfD verloren gegangenen Wähler zurückzugewinnen. Besonders blamabel ist dies für die beiden Unionsparteien, deren erklärtes Ziel es ist, durch ein schärferes konservatives Profil die unter Angela Merkel geschaffene Repräsentationlücke für rechts-konservative Wähler wieder zu schließen. Während des Wahlkampfes wurde den Wählern von der Spitzenkandidatin der Union, Ursula von der Leyen (CDU), deswegen sogar signalisiert, die von Manfred Weber (CSU) geführte EVP-Fraktion könne sich unter bestimmten Bedingungen eine stärkere Zusammenarbeit mit der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) vorstellen, in der unter anderem die Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni eine zentrale Rolle spielen.

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Das damit verbundene Ziel einer Reduzierung des Wähleranteils der AfD erreicht haben die beiden Unionsparteien mit diesem Vorgehen bei der aktuellen Europawahl offenkundig nicht. Ganz im Gegenteil hat sich der Aderlass nach rechts noch weiter verstärkt, nicht nur in den neuen Bundesländern, wo die AfD mittlerweile in allen Landesteilen vor der CDU rangiert. Zahlenmäßig überkompensiert wird dieser Verlust allerdings von einer Blutzufuhr von links aus den anderen etablierten Parteien, allen voran der SPD, von der rund 1,45 Millionen Wähler zu den beiden Unionsparteien gewandert sind und der FDP, von der dies rund 1,1 Millionen Wähler taten. Hinzu kommen rund 560 000 Wähler der Grünen und rund 40 000 Wähler der Linken, die dieses Mal für CDU oder CSU stimmten, obwohl diese sich nicht nur in der Asyl- und Migrationspolitik Zielen und Forderungen der Rechtspopulisten annäherten.

Wider Erwarten hat dieser Rechtsruck der Union somit nicht, wie in der Vergangenheit, dazu geführt, daß sie Wähler an die SPD und die Grünen verliert, die sich als progressiv verstehen und deswegen in den letzten Jahren den Linksruck der Union immer mitgetragen haben. Ganz im Gegenteil hat sie mit ihrer konservativeren Programmatik sogar Wähler aus dem progressiven Lager hinzugewonnen und so erreicht, dass sie in den alten Bundesländern in fast allen Landkreisen und kreisfreien Städten zur stärksten Partei wurde, während in den neuen Bundesländern dasselbe der AfD gelungen ist. Die politische Landschaft in Deutschland hat sich so seit dem 09. Juni gravierend verändert und ist inzwischen durchweg schwarz-blau gefärbt.

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Dies zeugt nicht nur von dem Willen einer Mehrheit des Wahlvolkes, dass die Ampelregierung sofort abtritt, sondern zugleich von einer politischen Wechselstimmung in wachsenden Teilen der Wählerschaft, die sich gegen die Neuauflage einer von der Union geführten Mitte-Links-Regierung richtet. Ursächlich ist hierfür in erster Linie die von der Großen Koalition in Gang gesetzte und von der Ampelregierung fortgesetzte Asyl- und Migrationspolitik, die seit Jahren mit einem anhaltenden, inzwischen sogar erleichterten, massenhaften Mißbrauch des Asylrechts zur Arbeitsmigration einhergeht. Sie stellt das Land und seine Bürger vor immer größere Probleme, die ungelöst bleiben und deswegen immer mehr von ihnen, unabhängig von ihren sonstigen politischen Präferenzen, in höchstem Maße besorgen. Über achtzig Prozent der AfD-Wähler stimmen daher laut Infratest Dimap der Aussage zu, dass es ihnen egal ist, dass die AfD in Teilen als rechtsextrem gilt, solange sie die richtigen Themen anspricht, was die anderen Parteien nicht nur aus Sicht der AfD-Wähler zu wenig oder gar nicht tun.

Sowohl die Ampelparteien wie auch die beiden Unionsparteien zeigen indes keinerlei Neigung, dem bei der Europawahl zum Ausdruck gebrachten Wählerwillen Folge zu leisten. Die einen halten an ihrer Regierungskoalition und die anderen an ihrem Ziel fest, nach Neuwahlen erneut eine Mitte-Links-Regierung mit der SPD und/oder den Grünen zu bilden, mit denen weder in der Asyl- und Migrationspolitik noch in der Energie- und Wirtschaftspolitik, ganz zu schweigen von der Gesellschaftspolitik die politische Wende zu bewerkstelligen ist, die sich die Mehrheit des Wahlvolkes wünscht. Auch auf der europäischen Ebene setzt die deutsche Spitzenkandidatin der EVP für ihre Wiederwahl als Kommissionspräsidentin nicht mehr auf ein Mitte-Rechts-Bündnis im Europaparlament mit der EKR-Fraktion, sondern auf eine Neuauflage ihres bisherigen Mitte-Links-Bündnisses mit den Fraktionen der Sozialisten, der Liberalen und der Grünen.

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Ob ihr Kalkül dort aufgeht, nachdem der französische Präsident Emanuel Macron, ihr einstiger Förderer, seit den Europawahlen inzwischen so schwer angeschlagen ist, dass er die Nationalversammlung auflöste und ab Juli wahrscheinlich eine Kohabitation mit einem Ministerpräsidenten Jordan Bardella vom Rassemblement National (RN) eingehen muß, ist allerdings fraglich. Im Europäischen Rat, der für die Auswahl des Kommissionspräsidenten vorrangig zuständig ist, dürfte ein französischer Präsident, der gemeinsam mit dem rechtspolulistischen RN regiert, schwerlich für eine Kandidatin votieren, die ihre Mehrheiten im Parlament im linksliberalen Lager sucht. Dasselbe gilt für die italienische Ministerpräsidentin, die erkennbar ein Mitte-Rechts-Bündnis im Europaparlament anstrebt und deswegen wohl keine Kandidatin unterstützen wird, die dies zu verhindern sucht.

Die Auswahl eines Kommissionspräsidenten gegen den ausdrücklichen Willen von Frankreich und Italien wäre ein Novum auf europäischer Ebene, das die Spaltung der EU noch weiter vertiefen würde, als es ohnehin schon der Fall ist. Von daher darf man gespannt sein, ob die EVP-Fraktion an ihrer Mitte-Links-Strategie tatsächlich festhält oder ein Mitte-Rechts-Bündnis im Europaparlament anstrebt, das sie im Wahlkampf ins Spiel gebracht hat. An ihrer Kandidatin für den Posten des Kommissionspräsidenten könnte sie in beiden Fällen festhalten, verfügt sie mit Ursula von der Leyen doch über eine überaus wendige Karriere-Politikerin, die nur eines wirklich will: Kommissionspräsidentin bleiben.

Vom Ausgang des beginnenden Machtspiels in der EU wird es auch mit abhängen, ob es auf Bundesebene in Deutschland erneut zu einer Mitte-Links-Regierung oder einer politischen Wende nach Mitte-Rechts kommt, die dem demokratischen Mehrheitswillen des Wahlvolkes Folge leistet. Auf den Straßen mag der Ruf unserer vermeintlichen Demokratieverteidiger „Wir sind mehr“ noch etwas Eindruck machen; an den Wahlurnen werden sie von den Wählern inzwischen eines Besseren belehrt.

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