Der Corona-Virus beschert uns drei Krisen auf einmal: den wegen des Virus erzwungenen Nachfrageausfall, die Reduzierung des Angebots durch die Beschädigung der Lieferketten in der Industrie und das Wiederaufleben der Eurokrise durch die galoppierende Überschuldung im Süden der Eurozone. Da die weltweit geforderten Regierungen Zeit brauchen, um die nötigen Programmpakete zu schnüren, schauen sie auf ihre Zentralbanken. Diese könnten sofort mit den Zinsen heruntergehen, die Liquiditätsschleusen öffnen und die Tränken füllen, aus denen die Pferde saufen sollen. Ob sie es tun, haben sie zwar nicht in der Hand, doch schaffen sie die Voraussetzung dafür, dass Unternehmen zu günstigeren Konditionen investieren könnten.
Genau das hat sich die Europäische Zentralbank (EZB) selbst verbaut. Um den Zusammenhalt der Eurozone zu wahren, hat sie über Nullzinsen, Liquiditätsschwemme und Staatsanleihekäufe den Wackelkandidaten in der Eurozone den Zugang zu billigem Geld freigemacht. Lägen die Zinsen wie früher deutlich über Null, könnte die EZB heute ein kräftiges Zeichen setzen. Ein wenig mehr von der bereits verabreichten Medizin, wie in der letzten Sitzung des EZB-Rates angekündigt, hat nicht verhindert, dass der Deutsche Aktienindex weiter in die Tiefe rauschte. Auf ihrer Pressekonferenz trug auch die EZB-Präsidentin, Christine Lagarde, zur Verunsicherung bei. Auf die Frage, ob die EZB gezielt eventuellen Renditeaufschlägen bei italienischen Staatsanleihen entgegenwirken werde, antwortete sie zunächst mit „nein“, das sei ein Marktphänomen. Als dann die Renditeabstände zwischen deutschen und italienischen Anleihen deutlich stiegen, besserte sie nach: Ein zu großer Renditeabstand mindere die Effizienz der Geldpolitik und müsse daher verhindert werden.
Auf den Ruf nach der „Bazooka“ der EZB hat deren Präsidentin mit einem gewaltigen Notprogramm in Höhe von 750 Milliarden Euro unter der Bezeichnung PEPP (Pandemic Emergency Purchases Program) reagiert. Wir würden das gern in „Weitere Finanzielle Unterstützung überschuldeter Eurostaaten“ übersetzen, denn diese haben Schwierigkeiten, ihre Hilfsprogramme zu finanzieren, und müssen mit drastischen Risikozuschlägen rechnen. Die südlichen Mitglieder der Eurozone einschließlich Frankreich sind überfordert, weil der Euro die Eurozone gespalten hat. Für die einen war der Euro zu niedrig, für die anderen zu hoch bewertet. So erwirtschafteten die einen über den für sie unterbewerteten Euro steigende Handelsbilanzüberschüsse, importierten Beschäftigung; ihre Steuereinnahmen übertrafen die jährlichen Vorausschätzungen und die Kassenreserven füllten sich. Für die anderen verlief die Entwicklung wegen ihres überbewerteten Euro umgekehrt: kaum Wachstum, prekäre Arbeitsmärkte, leere Sozialkassen und ausbleibende Investitionen in die Gesundheitssysteme.
Der Corona-Virus trifft die einzelnen Länder unterschiedlich hart. Die Mortalitätsraten sind für einzelne Euroländer erschreckend hoch. Eine maßgebliche Erklärung könnte sein, dass diese Staaten im Zuge der Eurokrise, um den aufgenötigten Sparprogrammen nachzukommen, nicht ihre Haushalte saniert, sondern massiv ihre Investitionen – auch in die sanitäre Infrastruktur – gekürzt haben.
Aus Gründen des Nachweises der Handlungsfähigkeit der EU und der Verpflichtung zu europäischer Solidarität plädieren Lagarde und auch die EU-Kommission unter dem Stichwort „kreative“ Ansätze zur Bewältigung der Corona Krise für Eurobonds.
Bei einem Blick hinter die Kulissen ist das eine Konstruktion, wo die einen das Geld ausgeben und die anderen dafür haften. Die niederländische Regierung ist daher strikt dagegen, wohl auch die baltischen Staaten. Bundeskanzlerin Merkel und ihr österreichischer Kollege Kurz hätten sich offen für eine Diskussion darüber gezeigt. Das bedeute aber nicht, dass Merkel oder Kurz ihren bisherigen Widerstand gegen die Eurobonds aufgegeben hätten, war aus Regierungskreisen zu hören. Die Bundeskanzlerin habe betont, dass sie sich hinter den Ansatz des „was immer nötig ist“ stelle, doch müssten – angesichts der notwendigen Zustimmung des Bundestages zu Coronabonds – realistische Lösungen Priorität haben. Wenn aber der Euro für die Kanzlerin alternativlos ist und Regierungen von Schuldnerstaaten auf die Unausweichlichkeit von Coronabonds zur Sicherung des Euro verweisen, dann dürfte der Bundestag wieder einmal einknicken.
Auch der geschäftsführende Direktor des ESM, Klaus Regling, möchte seine Feuerwehr zur Bekämpfung nationaler Schuldenkrisen im Kampf gegen das Corona-Virus einsetzen. Da beide Maßnahmen aber nur für die Mitglieder der Eurogruppe gelten, wird diese europäische Solidarität mit zweierlei Maß zusätzlichen Zündstoff in die Europäische Union hineintragen. Das Hineinschlittern der Eurozone in eine Haftungs- und Schuldenunion unter der Flagge „Corona-Virus“ unterminiert, wie der frühere Chefvolkswirt der EZB, Otmar Issing, zurecht warnt, das Vertrauen in die EU und noch mehr in den Euroraum als Gemeinschaft, gegründet auf Recht und Verträgen. Solidarität in der Corona-Krise muss sich in der Hilfe zwischen den Mitgliedstaaten und vor allem in der grenzüberschreitenden Kooperation von Forschern, Ärzten, Pflegepersonal und den Menschen selbst bewähren, wie es gerade die Stadt Freiburg/Br. und das Elsass vormachen. Statt die finanzielle Situation strukturell weiter zu verschlechtern, sollte diese Krise dazu genutzt werden, die Fehlkonstruktion des Euro zu beheben. Länder, die mit den ursprünglich vereinbarten Stabilitätskriterien nicht wirtschaften können, sollten die Eurozone verlassen. Im Gegenzug müssten ihnen die anderen Länder Schulden erlassen. Dies wären echte Solidarität und ein Neuanfang, der langfristig jedem Land Prosperität ermöglichen würde.
Die Verfasser Hans-Olaf Henkel, Bernd Kölmel, Joachim Starbatty und Ulrike Trebesius sind ehemalige Abgeordnete des Parlaments der EU.