Angela Merkel hat hoch gepokert und in der vergangenen Nacht beim Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU eine schwere Niederlage einstecken müssen. Was als großer Coup von ihr im Bündnis mit Präsident Macron ausgetüftelt worden war, wurde zum Rohrkrepierer in Brüssel. Der Vorschlag des Duos, ohne Mitwirkung der USA möglichst zeitnah ein Treffen der EU-Staatschefs mit dem russischen Präsidenten Putin zu veranstalten, wurde von der Mehrheit als das erkannt, was es ist: eine bewusste Demütigung Joe Bidens und damit das Ersticken des Transatlantischen, das gerade erst wieder zaghaft begann. Die Mehrheit der EU-Staats- und Regierungschef möchte, anders als Merkel, unbedingt an der Partnerschaft mit den USA festhalten.
Noch einmal zur Chronik des Geschehens
Angela Merkel gehört nicht zu denen, die Niederlagen hinnehmen und still akzeptieren. Genau so aber ist ihr die offene Feldschlacht geradezu widerwärtig. Sie bevorzugt den leisen Rückzug, das Sammeln der Kräfte und dann erfolgt der überraschende und plötzliche Angriff einer Schlange. Ganze Kohorten von Politikern, insbesondere der CDU, können davon ein Lied singen. Jetzt sollte einer der ganz Großen im Pokerspiel der Mächte ihr nächstes Opfer werden. Kein geringerer als US-Präsident Joe Biden sollte begreifen lernen, mit welchem Kaliber er es bei der Pfarrerstochter aus dem brandenburgischen Templin zu tun hat.
Eher beiläufig sprach die Kanzlerin sich in ihrer Regierungserklärung vor dem Bundestag zum aktuellen EU-Gipfel dafür aus, dass EU-Europa auch unabhängig von den USA mit Moskau reden sollte. Zwei Stunden später, nach ihrer Ankunft in Brüssel, wurde die deutsche Seite konkreter. Berlin empfahl die Wiederaufnahme der Gespräche mit Russland im EU-Russlandrat, die nach der Invasion der Krim 2014 vom Westen eingestellt worden waren. Doch bei Merkel konnte das nicht alles gewesen sein – und siehe da, nur eine weitere knappe Stunde später schloss sich Frankreichs Präsident Macron an. Die EU sollte demonstrativ eigene Wege gehen und von Amerika abrücken. Und – wie schnell es doch manchmal gehen kann – zur Krönung kam frohe Kunde aus dem Kreml: Erfreut begrüße man diese unerwartete Gesprächsofferte.
Wie schön es doch wäre, wenn Trump noch im Amt wäre, dürfte die Frau aus Berlin in der Nacht heimlich denken. Er passte doch so gut als Feindbild. Jetzt aber ist dieser kühle Gentleman-Typ Biden ihr gegenüber. Schon in etwa drei Wochen ist Merkel zu Gast im Weißen Haus. Biden dürfte noch etwas freundlicher sein als bisher. Sein Blick dafür aber um etliche Grade kälter. Auch Macron dürfte seine von Merkel angestachelte Eitelkeit bereuen, sich für einen Moment als Leader der Grande Nation gefühlt zu haben. Auch wenn Merkel jetzt gescheitert ist, wird ihr Vorstoß von hinten Spuren in Washington hinterlassen. Eine Frage aber bleibt bei allem: Was sind Angela Merkels Motive? Wessen Interessen vertritt sie? Ist der Einfluß von Kreisen der deutschen Wirtschaft bis hin zu Ex-Kanzler Schröder wirklich so groß?