Tichys Einblick
Öl-Embargo und andere Sanktionen

EU-Gipfel: Imperiale Allüren zum Nachteil der europäischen Staaten

Die heutige Nachricht aus Brüssel vom teilweisen Öl-Embargo gegen Russland nutzen die Mineralkonzerne dazu, sich den für morgen beschlossenen Tankrabatt anzueignen. Die EU-Administration dagegen macht mit ihrem wachsenden Entscheidungsanspruch die Bruchlinien nur umso deutlicher.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei der Pressekonferenz zum EU-Gipfle, Brüssel, 30.05.2022

IMAGO / NurPhoto

Die Brüsseler Administration nutzt offensichtlich den Krieg in der Ukraine dazu, ihre Kompetenzen, sprich, ihre Macht zu erweitern und sich ohne demokratische Legitimation zur imperialen Herrin Europas aufzuschwingen. Damit führt sie die EU in eine existentielle Krise, die vier Bruchstellen aufweist.

Sie bestehen erstens in der EU in der unterschiedlichen Haltung zur Unterstützung der Ukraine, die mit den wirtschaftlichen Auswirkungen der Embargo-Politik noch verschärft werden. 

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Zweitens bricht ein neuer Ost-West-Gegensatz auf, weil die ost-und mitteleuropäischen Staaten, die sich selbst von der kommunistischen Diktatur befreit und sich Freiheit, Demokratie und nationale Unabhängigkeit erkämpft haben, immer weniger vom westlichen Wokismus, von westlicher Arroganz geschurigelt werden wollen. Mehr noch, die osteuropäischen Staaten möchten nicht in den Sog des Niedergangs gerissen werden, nicht wieder für eine linke Utopie alles aufs Spiel setzen und verlieren.

Drittens lebt die EU-Administration zunehmend vom Schuldenmachen und von einer galoppierenden Inflation, grosso modo von der Enteignung der Bürger.

Viertens erniedrigt die EU das Recht zum politisch verfügbaren Instrument der eigenen Machtdurchsetzung. Willkür wird an die Stelle des Rechts gesetzt, politische Opportunität an die Stelle der Unabhängigkeit. Kein Vorgang zeigt das deutlicher als die Einleitung eines Verfahrens wegen angeblicher Rechtsstaatsverstöße gegen Ungarn als Antwort auf eine demokratische Wahl.

Dass die EU nicht allzu viel auf Demokratie gibt, hat der CSU-Mann und EU-Abgeordnete Manfred Weber gerade wieder dokumentiert, als er mit Blick auf Ungarn die Aufhebung der Einstimmigkeit forderte. Wenn jedoch die EU das Prinzip der Einstimmigkeit aufgibt, hat sie sich aufgegeben, dann ist sie Imperium einer abgehobenen Bürokratie, für die demokratische Wahlen keine Rolle mehr spielen. Wenn das Recht, der dubiose Rechtsstaatsmechanismus für die EU-Administration nicht bloß politische Verfügungsmasse wäre, erklärte sich die unterschiedliche Behandlung von Ungarn und Polen nicht, weshalb die EU-Administration gegen Ungarn ein Verfahren wegen angeblicher Rechtsstaatsverstöße – und dann noch als Antwort auf eine demokratische Wahl – einleitet, nicht aber gegen Polen. Der Grund ist der Krieg in der Ukraine. 

Ursula von der Leyen mit Blick auf die Machterweiterung der Kommission und möglicherweise inspiriert von ihrem Verschuldungs- und Inflationskurs preschte im April vor, um ein 6. Sanktionspaket, das Anfang Mai in Kraft treten sollte, gegen Russland zu erlassen, gefolgt von ihrem treuesten Herold, dem Ampel-Minister Robert Habeck. Ohne Rücksicht auf deutsche Interessen, ohne Rücksicht auf Schwedt, auf das mitteldeutsche Chemiedreieck, auf Ostdeutschland, auf Berlin, ohne Kenntnis darüber oder Wissen darum, dass in Deutschland die Inflation galoppiert – auch aufgrund der Energiepolitik von Merkel bis Habeck – gab Habeck sogar den Vorreiter in Brüssel für ein Erdölembargo – von der feministischen Außenministerin ganz zu schweigen.

Ungarn und andere Länder haben hingegen mit Blick auf ihre nationale Interessen ihre Zustimmung verweigert. Herausgekommen ist ein „Kompromiss”. Das Einfuhrverbot für russisches Erdöl steht – mit Ausnahmen. Laut EU-Ratspräsident Charles Michel sollen von dem Embargo mehr als zwei Drittel der russischen Öllieferungen betroffen sein. Ungarn hat durchgesetzt, dass russische Öllieferungen nur auf dem Seeweg verboten werden, die Erdöltrasse Drushba jedoch weiter in Betrieb bleibt. Das entspricht auch den Interessen von Deutschland, Polen, Ungarn, der Slowakei und Tschechien. Doch Deutschland und Polen haben bereits erklärt, ab Jahresende nicht von der Ausnahmeregelung profitieren zu wollen. Obwohl noch keine Auswirkungen des Embargos zu spüren sind, haben die Mineralölkonzerne die Preise nach Bekanntwerden der Beschlüsse von Brüssel sofort erhöht. So berichtet das Handelsblatt: „Die Ölpreise haben am Dienstag deutlich zugelegt und sind auf den höchsten Stand seit gut zwei Monaten gestiegen. Am Morgen kostete ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent 123,32 US-Dollar. Das waren 1,65 Dollar mehr als am Vortag. Der Preis für ein Fass der US-amerikanischen Sorte West Texas Intermediate (WTI) stieg um 3,47 Dollar auf 118,54 Dollar.“ 

Die heutige Nachricht aus Brüssel dient den Mineralkonzernen dazu, sich den für morgen beschlossenen Tankrabatt anzueignen. Man wird sehen, was morgen und in den nächsten Tagen von Lindners pfiffiger Entlastung beim Autofahrer ankommt, ob unter der Hand nicht die Entlastung von neuen Belastungen aufgehoben wird. In Börsenkreisen wird der Anstieg der Ölpreise vor allem mit von der Leyens Ankündigung in Zusammenhang gebracht, dass die Öl-Importe der EU aus Russland bis zum Ende des Jahres drastisch verringert werden.

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Wenn EU-Ratspräsident Michel meint, dass er damit „maximalen Druck auf Russland“ zur Beendigung des Krieges aufgebaut hätte, irrt er. Er hat lediglich maximalen Druck auf die deutsche Wirtschaft und das Lebensniveau in Deutschland aufgebaut. Russland dürfte sich längst von der Vorstellung verabschiedet haben, ewig Erdöl und Erdgas an die EU zu verkaufen, zumal es verstärkt den asiatischen Markt – vor allem China und Indien – beliefern wird. Sobald die Infrastruktur in Richtung Asien weiter ausgebaut ist, ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Russen ihrerseits den Gas- und Ölhahn zudrehen. Es ist nicht zu verstehen, warum man in Westeuropa denkt, dass alles von der Entscheidung aus Brüssel abhängt. Im Gegenteil, Europa arbeitet gerade massiv an seinem Bedeutungsverlust in der Welt. Der Finanzanalyst Blumenberg berichtet, dass asiatische Länder jetzt zum ersten Mal mehr Erdöl aus Russland importieren als Europa.  

Übertriebene Liebe zu Deutschland kann man von der Leyen und ihrer Kommission nicht nachsagen. Die Sanktionen werden Deutschland wesentlich härter treffen als Russland. Darüber erteilt jede deutsche Tankstelle Auskunft. Derweil hat der ukrainische Botschafter Melnyk, dem die Brüsseler Beschlüsse nicht weit genug gehen, schon mal gefordert, das Gasembargo schneller als geplant einzuführen. 

Übrigens hat die EU auch beschlossen, die Ukraine bis Ende des Jahres mit bis zu 9 Milliarden Euro und weiteren unlimitierten Hilfe zum Wiederaufbau zu unterstützen. Bei letzterem stehen selbst Macron und Scholz auf der Bremse, denn von der Leyens Vorstellungen könnten am Ende die Mitgliedsländer der EU und damit die EU destabilisieren. Woher das viele Geld kommen soll, ist unklar, wahrscheinlich schuldenfinanziert. Die Finanzindustrie freut es jedenfalls – unsere Kinder nicht. Derweil erreicht die Inflation im Mai im Euroraum die 8,1 % Marke und ist heute bereits 4 mal so hoch wie das Inflationsziel der EZB von 2 Prozent. In Deutschland stieg die Teuerung nach europäischer Berechnungsweise sogar auf 8,7 Prozent. 

Der Krieg in der Ukraine und die Ambitionen der Brüsseler Administration spalten zunehmend Europa. 

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