Tichys Einblick
Begriffsklärung

EU, Europa und deine Mutter

Wenn Politiker und Journalisten Europa sagen und EU meinen, ist zu befürchten, dass ihnen nicht einmal auffällt, was sie damit rundum negativ anrichten. Von aufwärts gebrochenen Biografien und abwärts gerichtetem Intellekt.

© Joern Pollex/Getty Images

Ein Freudscher Fehler ist bekanntlich, wenn Sie das eine sagen und die Mutter meinen. Oder Sie meinen Sex. Oder eine Phase. Manchmal auch die EU. Meistens aber die Mutter.

Verwechslungen passieren. Manchmal verwenden wir ein Wort, und in der Hitze der Debatte übersehen wir, dass es eigentlich das falsche Wort war. Ein anderes Wort wäre genauer gewesen. Bei einem bestimmten Begriffspaar wird derzeit besonders häufig verwechselt: „EU“ und „Europa“. Klären wir es also!

„Europa“ ist zunächst ein Erdteil. Die Geografen meinen mit „Europa“ einen Teil der „Eurasischen Landmasse“. Im allgemeinen Verständnis ist „Europa“ ein Sammelbegriff für jene Länder, welche auf einer üblichen Europa-Karte „links von Russland“ liegen – wobei im Verständnis der meisten Leute nicht immer klar ist, was „links von Russland“ nun genau bedeutet. Sogar Russland ist sich da nicht immer sicher. Mit zu „Europa“ gehören Tausende von Jahren an Kriegen, Religionsdebatten, Kultur, Wissenschaft und Philosophie.

Die „Europäische Union“ (kurz: „EU“) ist ein durch Verträge entstandener Staatenbund, am 1.1.1993 offiziell „eröffnet“, mit einigen Vorgänger-Organisationen, wie etwa der Montanunion.

Wenn man die Karte Europas und die Karte der aktuellen EU-Mitgliedsstaaten übereinanderlegt, wird schnell sichtbar, wieso das eine mit dem anderen verwechselt werden könnte. Doch selbst wenn sämtliche Staaten „Europas“ auch Mitglied der „EU“ wären, wäre die Gleichsetzung noch immer etwas kurzatmig. Europa gab es lange vor der EU. Sollte – sei es durch aus dem Ruder gelaufene Lokalwahlkämpfe oder durch die finale bürokratische Implosion – entgegen aller guten Absicht die EU einmal nicht mehr sein, so wird Europa doch weiter existieren.

Besonders jenen, die EU-Kritiker vom Grunde ihres Brüsseler Herzens aus hassen, unterläuft nicht selten die berüchtigte EU-Europa-Verwechslung – und dann vermengen sie auch noch den „Kritiker“ mit dem „Hasser“ oder gar dem „Feind“, aber das ist ein weiteres, anderes Problem.

Dabei ist doch denkvorstellbar, dass jemand Europa kritisiert, für die Kreuzzüge und die Inquisition und das Wetter, aber ganz dufte findet, wie Brüssel sich um Gurken und Glühbirnen sorgt. Einen solchen darf man „Europa-Kritiker“ nennen, aber nicht einen „EU-Kritiker“.

Es ist ja auch nicht unmöglich, dass jemand sein Europa von A wie Alexander bis Z wie Zwiebelkuchen liebt, aber nicht einsieht, was daran „Friedensprojekt“ sein soll, wenn die sprichwörtliche Krankenschwester in Brandenburg via EU die Golfplätze in Portugal subventioniert. Der ist ein „EU-Kritiker“ zu nennen, aber weniger ein „Europa-Kritiker“.

Es wäre nun ein Leichtes, Beispiele für Verwechslungen zwischen „Europa“ und „EU“ zu finden. Allen voran natürlich bei den „üblichen Verdächtigen“ mit den aufwärts gebrochenen Biografien wie Martin Schulz, Göring-Eckardt und diversen Meinungsjournalisten, diesen honorargünstigen Geschmacksbeilagen der DPA-Abdrucker. (Gelegentlich gilt ja schon als „Europa-Hasser“, wer seine alte Glühbirnen behalten möchte, weil die neuen genauso schnell kaputtgehen, aber zehn mal so viel kosten.)

Lassen Sie uns deshalb lieber ein positives Beispiel anführen, von einer Institution, die ja in Fachkreisen für ihre scharfe Systemkritik bekannt ist: Das Zweite Deutsche Fernsehen. Am 26. Juni twitterte es:

„EU-Kritiker in Europa“ – sehr gut. Übersehen wir für jetzt, dass das ZDF hier – je nach Sichtweise – Marine Le Pen als „EU-Kritiker“ verharmlost oder EU-Kritiker mit einer bösen Rechts-Partei gleichsetzt, also dämonisiert. Niemand ist perfekt. Auch nicht jenes Haus, dessen prominenteste Moderatoren so punktgenau in regierungsparallele Tränen auszubrechen wissen. Doch immerhin ist ein Anfang gemacht: „EU-Kritiker in Europa“ statt „Europakritiker“ oder gar „Europahasser“. Nehmt euch ein Beispiel, Ihr EU-Apologeten!

Das aktuelle Tiefdruckgebiet über der EU-Laune hat seine Ursache auch darin, dass Menschen sich von Brüssel aus übertölpelt und wie Kinder behandelt fühlen. So werden auch aus dem Versehen tiefster Überzeugung die Begriffe „EU“ und „Europa“ verschmolzen. Und das regierte Subjekt meint zu spüren, dass diese Verwechslung gar absichtlich sein könnte. Misstrauen wächst. So gewinnt Europa, pardon, die EU!, weder Herz noch Verstand.

Die EU ist ein Gedankenkind. Und die EU hat Probleme. Die EU zu reparieren wäre daher zuerst Gedankenarbeit. Beginnen wir mit sauberen Begriffen! EU ist EU und Europa ist Europa. Üben wir, das zu unterscheiden – sogar das ZDF bekommt das (manchmal) hin!

Nachsatz: In Sachen „Europa“ hat diese Woche eine Meldung der Nachrichtenagentur AFP für, sagen wir mal, Erheiterung gesorgt:

„Wir lassen uns Europa nicht nehmen“ war tatsächlich ein Steinmeier-Zitat. Einige fühlten sich an die Geschichte des erwähnten Europas erinnert. Die Jahreszahl 1939 fiel. Alles nur ein Steinmeier-Missverständnis, wieder mal. Mit „wir“ waren die EU-Staaten gemeint, allerdings ohne Großbritannien. Auch wenn so mancher Ausländer hier „Deutschland“ hörte, und gewisse ferne Geräusche. Die Briten sind zwar auch nach ihrem EU-Referendum fürs Erste weiterhin EU-Mitglied. In der Wertschätzung mancher Brüsseler Asketen scheinen sie aber plötzlich hinter Schweiz, Norwegen oder die Türkei gefallen zu sein. Und mit „Europa“ meinte Steinmeier wohl „EU“. Solche Missverständnisse passieren, wenn Politiker ihre Begriffe verwechseln.
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Anmerkung: Auch dieser Text fand seinen Anfang in einem Tweet. Hier ist die ursprüngliche Frage. Klicken Sie drauf, um alle Antworten mit vielen weiteren „Verwechslungen“ im Original-Thread zu sehen:

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