Tichys Einblick
Keine Zukunft ohne Herkunft

Die EU gegen das Christentum

Am 20. November ist „Red Wednesday“, also der Aktionstag zum Gedenken an Christenverfolgungen weltweit. Die EU ist vom „Christenclub“ zur Druckgruppe eines militanten globalistischen Atheismus geworden. Ein kurzer Überblick.

Büste von Robert Schuman in Brüssel

picture alliance / Goldmann | Goldmann

Man kann der real existierenden Europäischen Union vieles zuschreiben, aber ganz sicherlich keine wie auch immer geartete Zuneigung zum christlichen Glauben und seiner Tradition: Ganz im Gegenteil überwiegt der Eindruck, dass die Wurzeln, ja die eigentliche Seele unserer Zivilisation den Brüsseler Eurokraten nicht nur peinlich, sondern regelrecht unsympathisch sind, und sie dementsprechend im Rahmen des Möglichen alles Denkbare tun, den christlichen Glauben ideologisch zu neutralisieren, juristisch zurückzudrängen und demographisch auszutrocknen – bis auf ein paar Lippenbekenntnisse hier und da, denn zum einen kann die EVP noch nicht ganz auf ihre älteren Wähler verzichten, die immer noch an jenem komischen „C“ hängen, und zum anderen will man natürlich auch die asiatischen Touristen nicht vor den Kopf stoßen, die gerade genau das beindruckend und bewundernswert finden, was die europäischen Eliten mit aller Kraft zu beseitigen suchen …

Wer denkt, es handle sich hierbei um eine Verschwörungstheorie, möge aus der reichen Faktenlage nur drei Fallstudien bedenken.

EU-Identität – aber bitte ohne Religion

Zunächst das Trauerspiel der Verhandlungen um eine europäische Verfassung, eine Verfassung, die nur scheinbar gescheitert ist, denn wenn sie auch als Gesamttext aufgrund des Widerstands einiger Nationen nie als solche in Kraft getreten ist, so wurden ihre wesentlichen Bestimmungen doch separat in Form des Lissabonner Vertrags in die existierenden Texte eingebaut, was in etwa auf dasselbe hinauslief (so geht „moderne“ Demokratie im besten Europa aller Zeiten).

Liberalismus, Humanismus, Christentum?
Welche Werte retten den Westen? – Gedanken zur „Erklärung zur westlichen Welt“
Im ersten Entwurf des Textes wurde neben dem griechisch-römischen Erbe und der Philosophie der Aufklärung immerhin noch von einem „geistigen Streben, von dem Europa durchdrungen war und das noch heute in seinem Erbe fortlebt“ gesprochen; eigentlich das bereits eine Farce, wollte man doch zum einen offensichtlich das Christentum nicht offen beim Namen nennen, sondern als ein anonymes „geistiges Streben“ camouflieren, und bemühte sich zum anderen, diese mysteriöse „Durchdrungenheit“ in der Vergangenheitsform zu formulieren und für die Gegenwart nur noch von einem „Erbe“ zu sprechen.

Doch bereits das ging vielen der „Verfassungsväter“ zu weit, sodass jener zaghafte Versuch einer historischen Stratifizierung der Identität Europas auf eine Erwähnung der „kulturellen, religiösen und humanistischen Überlieferungen Europas, deren Werte in seinem Erbe weiter lebendig sind“, reduziert wurde. Selbst diese zarte Anspielung auf ein „Weiterleben“ des Christentums schien der Mehrheit noch zu weit zu gehen, und so beließ es die Präambel des am 29.10.2004 unterzeichneten Verfassungsentwurfs schließlich nur beim „kulturellen religiösen und humanistischen Erbe“ Europas; eine Formulierung, die dann auch in den Lissabonner Vertrag hinübergerettet wurde, in dem das Wort „Christentum“ dementsprechend nicht ein einziges Mal erscheint.

Bericht zur Verfolgung religiöser Minderheiten – oder Bericht gegen Religionen?

Ein weiteres Beispiel ist die Haltung der EU zur Frage der weltweiten Christenverfolgungen. In der Tat ist allgemein bekannt (oder sollte es zumindest sein), dass die am meisten verfolgte Religion auf dieser Erde das Christentum ist; eine Verfolgung, die sich vor allem aus der militant antichristlichen Politik der islamischen Expansion nach Afrika hinein, der zunehmenden „Säuberung“ des Nahen Ostens von ihren jahrtausendealten christlichen Spuren und schließlich der Religionspolitik des kommunistischen Chinas ergibt – und zunehmend auch in Europa selbst festgestellt werden kann, wo mittlerweile im Wochentakt christliche Kirchen in Brand gesteckt oder vandalisiert werden.

Immer wieder appellieren die christlichen Minderheiten der Welt an die europäischen Staaten und die EU in der (leider irregeleiteten) Hoffnung, der Verweis auf den „gemeinsamen“ christlichen Glauben würde immer noch so schlagkräftig sein wie im 19. Jh., als zum Beispiel das Massaker an den Christen in Syrien und dem Libanon noch französische Interventionen auslösen konnten. Heute kommt als Antwort aus Brüssel (wie auch aus Berlin oder Paris) eher peinliches Schweigen, bemühtes Wegsehen oder allgemeines Gemurmel zu „Toleranz“, „Diversität“ und „kolonialen Verbrechen“, und die einzige europäische Nation, die in signifikanter Weise Aufbauhilfe für verfolgte Christen im Nahen Osten leistet, ist das verpönte „illiberale“ Ungarn.

Dies ist nicht nur ein allgemeiner Eindruck, sondern eine vielbesprochene Tatsache; ich verweise hier nur auf die kürzliche Debatte um den am 3. Mai 2022 vom EU-Parlament angenommenen Bericht zur Verfolgung von Minderheiten aus Gründen ihrer religiösen Überzeugung. Dieser lief ebenso wie der Verfassungsentwurf durch mehrere Redaktionsstufen, die klar zeigen, wo die Prioritäten der gegenwärtigen parlamentarischen Mehrheit liegen. Spoiler: nicht auf der Verteidigung verfolgter Christen.

Freiheitsrechte auf dem Prüfstand
Toleranz für alle – außer für religiöse Menschen?
Während der ursprüngliche, vom „Committee on Foreign Affairs“ (AFET) des EU-Parlaments erstellte Rapport eine freie Religionsausübung noch als „Menschenrecht“ und „oft genug letzte Bastion der Freiheit“ bezeichnete, wird Religion im finalen Text vielmehr als Gefahr für die freie Gesellschaft angeprangert und als „an important driver of conflict worldwide“. Auch werden Religionen aufgrund ihrer Haltung zu Lebensschutz und Ehemoral kritisiert; so wird explizit erwähnt: „the misuse and instrumentalisation of belief or religion to impose discriminatory policies, laws, including criminal laws, or restrictions that contradict and undermine the rights of LGBTIQ people, women and girls and restrict access to basic services, such as education and health, including sexual and reproductive rights, criminalise abortion in all cases, criminalise adultery or facilitate religious practices that violate human rights“.

Es ist wohl auch kaum ein Zufall, dass die ursprüngliche Version des Textes zwar mehrfach auf Christenverfolgungen vor allem im Nahen Osten und Afrika einging, diese aber allesamt aus der angenommenen Fassung gestrichen wurden (bis auf eine einzige Erwähnung im Rahmen einer allgemeinen Aufzählung mehrerer Weltreligionen). Selbst die 2016 geschaffene, immer wieder längere Zeit vakante Rolle eines „Special envoy for the promotion of freedom of religion or belief outside the EU“ wurde im Text infragegestellt. Seitdem häufen sich die Anfragen an die EU-Kommission, wie sie in Anbetracht der Haltung des EU-Parlaments ihrerseits zum Thema der Christenverfolgung Stellung bezieht – und bleiben meist ohne Antwort (siehe zum Beispiel die Anfragen E-002048/2024 und E-002245/2024).

Christliche, europäische, universale Werte – Synonyme?

Ein dritter und letzter Fragenkomplex beinhaltet die gegenwärtige Ausformulierung der „europäischen Werte“, die allzu gerne gleichbedeutend mit den universalen „Menschenrechten“ gesehen werden und vor allem in den Sonntagsansprachen deutscher Bundespräsidenten irgendwie, man weiß nicht recht wieso, aus „unserer“ christlichen Vergangenheit hergeleitet werden; eine Vermischung, die leider durch die gegenwärtige Systemkirche, die zunehmend in der linksgrünen Dreifaltigkeit „Klima-Migration-LGBTQ“ festgefahren zu sein scheint, immer wieder bestätigt wird: Zwischen einem grünen Parteitag und einem Treffen der EKD oder des synodalen Wegs wird man ohne Vergrößerungsgläser nur wenige Unterschiede wahrnehmen können.

Und doch könnte der Abgrund zwischen den eigentlichen Grundgedanken des Christentums und dem, was das EU-Parlament quasi wöchentlich an Irrsinn beschließt, um die letzten Reste unserer Zivilisation von innen heraus zu zerstören, größer nicht sein; ja ganz im Gegenteil hat man oft den Eindruck, dass die Gesetzgeber auf europäischer (und übrigens auch nationaler) Ebene die Zehn Gebote ebenso wie die Lehren des Neuen Testaments als Orientierung dafür nehmen, was alles noch abgeschafft werden muss, damit der Mensch endlich „frei“ und „emanzipiert“ ist.

Vor dem Zusammenbruch
Europa im Strudel des Abstiegs
Was könnte größer sein als der Abgrund zwischen der abgestuften Verantwortlichkeit des Menschen im „ordo caritatis“ der Bibel und der uneingeschränkten Fernstenliebe der Moderne mit ihren professionellen Teddybärenwerfern? Zwischen dem Verständnis der Schöpfung als Schauplatz für den Kampf des Menschen um sein Seelenheil und der pantheistischen Erhöhung der „Natur“ und ihres „Klimas“ zum einzigen Maßstab allen Handelns? Der Transzendierung von Sexualität und Familie zum Sakrament und der hedonistischen Entwertung und Relativierung der Geschlechtlichkeit in der Beliebigkeit der Anything-goes-LGBTQ-Gender-Trans-Ideologie, um nur diese drei Punkte zu nennen? Migrations-„Kompromiss“, Green Deal, LGBTQ-Kult – nichts davon hat auch nur ansatzweise etwas mit der christlichen Lehre zu tun und lässt sich bestenfalls als Perversion, kaum aber als juristische Systematisierung oder realistische „Anpassung“ der christlichen Werte an die Moderne verstehen.

Auf welcher Seite die EU gegenwärtig in diesem Kampf steht, ist kein Geheimnis, und zwar nicht erst seit der „Migrationskrise“, sondern schon seit längerer Zeit, denkt man etwa pars pro toto an die Ablehnung von Rocco Buttiglione 2004. Der damals ironischerweise als italienischer Europaminister fungierende Politiker und Papst-Berater wurde als Vizepräsident der Europäischen Kommission schlichtweg abgelehnt, und zwar, weil er bei seiner Anhörung erklärt hatte, als Katholik halte er homosexuelle Handlungen zwar für sündhaft, würde aber als überzeugter Europäer die Rechte von Schwulen und Lesben verteidigen – eine eigentlich schon ziemlich hochherzige Unterwerfung unter die Gesetzeslage, die aber prompt die erste Ablehnung eines designierten Mitglieds der EU-Kommission in der Geschichte provozierte.

„Eine antichristliche Demokratie muß in Tyrannis oder Anarchie versinken“

Kein Zweifel: Die EU versteht sich nicht mehr als Sachwalter der europäischen Christenheit oder wenigstens ihres geistigen Erbes, sondern ist zum willigen Instrument eines noch nie dagewesenen Projekts in sozialem Engineering geworden, das zum Zweck hat, so ziemlich alles, was unserem Kontinent je heilig war, in sein Gegenteil zu verkehren oder doch immerhin zur Unkenntlichkeit zu verzerren.

Diese allgemeine Sachlage ist umso schockierender, bedenkt man die historischen Wurzeln der Europäischen Union, die gerade in ihrer Gründungsphase engstens mit der Erinnerung an das karolingische Imperium, das Heilige Römische Reich, die kurze Weltvereinigung Karls V. und den habsburgischen Abendland-Gedanken verbunden war und vor allem von der klassischen Christdemokratie getragen wurde, die nach der Selbstdemontage des Nationalismus wie auch des Sozialismus die einzige moralisch halbwegs glaubwürdige Tragkraft des Kontinents zu sein schien.

Steht man heute in Brüssel auf der „Place Schuman“ im Herzen des EU-Viertels und erblickt überall um sich herum nur Intersektionalitätsfahnen, Regenbogenzebrastreifen, Klima-Awareness-Neusprech und Migrations-Bildchen, erscheint es nicht nur als Ironie der Geschichte, sondern auch als Zeichen erstaunlicher Klarsicht, dass eben jener von der heutigen EU immer noch als „Gründungsvater“ bemühte Robert Schuman einst schrieb:

„Die Demokratie schuldet ihre Existenz dem Christentum; sie ist an dem Tag entstanden, als der Mensch begonnen hat, in der Zeitlichkeit des Diesseits die Würde des Menschen zu verwirklichen, und zwar in individueller Freiheit, im Respekt der Rechte des Einzelnen und in Ausübung der brüderlichen Liebe gegen jeden Menschen; niemals vor dem Kommen des Christ wurden solche Ideen entwickelt. […] Die Demokratie wird christlich sein oder wird gar nicht sein. Eine antichristliche Demokratie kann nur zu einer Karikatur werden, welche in Tyrannis oder Anarchie versinken muß.“ (Pour l’Europe)


Die mobile Version verlassen