Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründ‘ ich einen Arbeitskreis. Jeder kennt so etwas und war womöglich oft genug Opfer dieser zumeist zeitfressenden Einrichtungen, die vonseiten der Initiatoren zwei mögliche Motive haben können: Entweder eine Entscheidung durch Zerreden so lange hinzustrecken, bis sich keiner mehr an den Zweck des Arbeitskreises (heute besser: der „Taskforce“) erinnert. „Aber immerhin gut, dass wir einmal darüber geredet haben!“ Oder man will sich mit einem – willfährig zusammengesetzten und einem einzelnen Alibi-Motzer bestückten – Arbeitskreis das Mäntelchen der Offenheit für Dispute umzuhängen, um danach umso direktiver eine längst getroffene (oder politisch bestellte) Entscheidung zu exekutieren.
Die Steigerung solcher Arbeitskreise sind Kommissionen, vor allem Ethikkommissionen. Immer mehr Firmen, Universitäten, Ministerien, Parlamente, Regierungen schmücken sich damit. „Räte“ heißen sie oft genug. Dass hier die Assoziation zur „Räterepublik“, also zu einer „Sowjetisierung“ von Politik naheliegt, ist nicht von der Hand zu weisen. Im Russischen heißt „Rat“ ja „Sowjet“ (сове́т). Wenigstens am Rande sei erwähnt: „Räterepublik“ bedeutet auch Entparlamentarisierung der Politik und Aufhebung der Gewaltenteilung.
Der Ethikrat nimmt sich jedes Jahr im Rahmen einer Jahrestagung eines (vermeintlich?) großen Themas an. 2021 tat er dies mit dem Thema „Wohl bekomms! Dimensionen der Ernährungsverantwortung“
Das war am 23. Juni 2021. Nun ist diese Jahrestagung wohl auch wegen Corona unter der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle geblieben. Deshalb hat sich die Vorsitzende des Ethikrates, Alena Buyx, Professorin für Ethik der Medizin und Gesundheitstechnologien an der TU München, am 13. September mit einem langen Interview zum Thema Ernährung zu Wort gemeldet. Dieses Interview hat es in sich: wegen der zum Teil verquasten Diktion, vor allem aber auch wegen der offen erkennbaren politischen Absichten.
„Essen ist nicht nur Privatsache“
Fangen wir mit der Diktion an: Hier wimmelt es von Begriffen wie „gesundheitsförderndes Nudging“, „Multiakteursverantwortung“, „Social Media Influencing“, „Multikausalität“, „libertärer Paternalismus“, „adipogene Umgebungen“, „Entscheidungsarchitekturen“, „Schutzverpflichtung gegenüber Bürgerinnen und Bürgern“, „professionelle Ernährungstherapie“, „Eat food. Not too much. Mostly plants.“
Alles klar? Ja, es ist alles klar. Hinter den Protzbegriffen steckt nämlich nichts anderes als eine Entmündigung der Menschen – konzentriert in dem Satz „Essen ist nicht nur Privatsache.“ Das klingt wie die Programmatik der grünen und ergrünten Verbotsparteien. Vegan soll man leben, mindestens vegetarisch! Kein Fleisch mehr, denn sonst sterben der Regenwald und die Eisbären! Wegen CO2 und so! Das sagt die Ratsvorsitzende zwar nicht, aber die vegane Anhängerschaft.
Und damit ist die Richtung klar. Frau Alena Buyx will erziehen, ökotrophologisch und „grün“. Ja, erziehen! Sie sagt denn auch noch: „Hier finde ich das Modell des libertären Paternalismus interessant.“ Was Paternalismus mit „libertär“ zu tun hat, wissen wir zwar nicht. Und dass Paternalismus gendergerecht mindestens auch „Maternalismus“ heißen müsste, lassen wir ebenfalls beiseite. Frau Buyx will offenbar ein „gesundheitsförderliches Nudging durch den Staat“, auch wenn sie sich gegen die „teils aufgeregte Diskussionen“ darum mokiert. „Volkswagen“ ist ja schon so weit. Dort gibt es in einigen Kantinen kein Fleisch und damit keine Currywurst mehr. Brav, ihr „Volks“-Erzieher! Frau Buyx nimmt sich denn auch die Betriebskantinen zur Brust. Sie sieht die Betriebe in einer Schutzpflicht wie bei Arbeitsschutzvorgaben zur Unfallverhütung. Essen also ein Unfall?, möchte man fragen.
Das Private wird mehr und mehr politisch
Alles in allem: Man fühlt sich angesichts solcher Ausführungen an die Ideologie der 68er erinnert. „Das Private ist politisch“ hieß der Slogan damals. Damals ging es vor allem um die Politisierung und Entprivatisierung der Sexualität. Der Christopher Street Day (CSD) und anderes mehr sind Spätfolge dieser Bewegung.
Nun also kommt die Entprivatisierung und Politisierung urpersönlicher Verhaltens- und Erlebnisweisen: Mit der fortschreitenden Verstaatlichung von Erziehung wurden die Eltern entmündigt. Mit „Corona“ wurde das Thema Gesundheit entprivatisiert und politisiert. Mit dem Thema „Klima“ wurden alle möglichen Lebens- und Konsumgewohnheiten an den Pranger gestellt. Jetzt ist das Essen d’ran. Was kommt als Nächstes? Dass ein „Umweltberater“ in die Kochtöpfe oder die Einkaufstaschen schaut? Dass es je nach – bargeldlosem -– Einkaufsverhalten „social scores“ wie jetzt schon in Chinas „Social Credit System“ gibt oder solche entzogen werden?
Dystopische Aussichten – schön verkleidet hinter dem dialektisch verräterischen Begriff eines „libertären Paternalismus.“