Die Auseinandersetzung um die Wahl des FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten durch die Abgeordneten von CDU, FDP und AfD schlägt immer weitere Kapriolen, bis hin zum unerwarteten Rücktritt von Annegret Kramp-Karrenbauer vom CDU-Vorsitz. Sie trägt mittlerweile Züge einer von den etablierten Parteien und einigen Medien erzeugten politischen Hysterie, deren Grundlage die vom abgewählten thüringischen Ministerpräsidenten, Bodo Ramelow, in die Welt gesetzte Gleichsetzung dieser Wahl mit der Ernennung Adolf Hitlers durch Paul von Hindenburg im Jahre 1933 ist. Sieht man einmal davon ab, dass damit Björn Höcke mit Paul von Hindenburg und Thomas Kemmerich mit Adolf Hitler historisch in eins gesetzt werden, wird mit dieser Gleichsetzung zweier gänzlich verschiedener politischer und geschichtlicher Ereignisse insinuiert, Deutschland stünde aufgrund der Wahl Kemmerichs durch die AfD kurz vor der Machtübernahme einer neuen NSDAP sowie der Zustimmung zu einem neuen Ermächtigungsgesetz.
Der Historiker Heinrich August Winkler hat in der Welt am Sonntag vom 9. Februar darauf hingewiesen, wie falsch und schädlich derlei Gleichsetzungen sind. Das hindert aber die SPD und die Grünen nicht daran, sich dem von der SED-Nachfolgepartei DIE LINKE in die Welt gesetzten politischen Narrativ zusammen mit dem CDU-Politiker Peter Altmaier lauthals anzuschließen. Er warf in der Talkrunde von Anne Will vom 9. Februar seiner Partei vor, 1933 in Teilen für das Ermächtigungsgesetz gestimmt und nun in Thüringen denselben Fehler nochmals begangen zu haben. Für beides bat er ausdrücklich um Entschuldigung, übersah dabei aber vollständig, dass die CDU erst nach dem Krieg im Jahr 1945 gegründet wurde. Der in der Talkrunde mit anwesende FDP-Vizevorsitzende Wolfgang Kubicki wies auf diesen für die Union vielleicht nicht ganz bedeutungslosen historischen Sachverhalt hin, wurde von der Moderatorin, die dem neuen Narrativ zur Thüringer Ministerpräsidentenwahl in ihrer Sendung offenkundig mit zum Durchbruch verhelfen wollte, aber umgehend stillgestellt.
Altmaiers Faux Pas und Wills Reaktion darauf zeigen schlaglichtartig, dass es bei der Gleichsetzung der Wahl in Thüringen mit der Machtübernahme der NSDAP nicht um die Abwehr eines drohenden neuen Nationalsozialismus, sondern um die Abwehr aller Versuche geht, das unter Merkel nach links verschobene politische Koordinatensystem der Bundesrepublik wieder zurecht zu rücken. Die Beschwörung eines vermeintlich notwendig gewordenen „antifaschistischen Kampfes“, der früher die Domäne der RAF war und inzwischen die Domäne linksextremer Kampfgruppen (Antifa) ist, wird mittlerweile in das Waffenarsenal der etablierten Parteien übernommen und damit breiter legitimiert. Wer heute die Familie von Thomas Kemmerich bedroht, um Deutschland vor dem Faschismus zu retten, kann dies in dem Bewußtsein tun, einer großen Sache zu dienen, für die sich namhafte Politiker der etablierten Parteien stark machen.
Die AfD hat diesen Prozess der Grenzverschiebung nach links mit ihren Wahlerfolgen vorerst gestoppt und fordert Korrekturen, die auch in Teilen der Union, und dort nicht nur in den neuen Bundesländern, schon länger gefordert werden. Solche Forderungen muss man nicht teilen, in einer Demokratie aber akzeptieren, solange sie sich nicht gegen das demokratische System selbst richten und dessen Abschaffung fordern. Derlei Forderungen werden von den seriösen Kritikern der Verschiebung des politischen Koordinatensystems nach links nirgendwo aufgestellt, dafür zum Beispiel aber die Forderung, etwa in der Asylpolitik oder der Europapolitik geltendes Recht wieder anzuwenden, das mit unterschiedlichen Begründungen nicht mehr angewendet wird.
Die linken Parteien in Deutschland, zu denen man inzwischen auch Teile der Union zählen muss, haben an einer „Rechts-Korrektur“ des politischen Koordinatensystems, die in anderen Ländern wie etwa den USA, Großbritannien oder auch Österreich schon längst demokratisch vollzogen ist, naheliegenderweise kein Interesse und bekämpfen es mit allen ihnen zur Verfügung stehenden, auch unlauteren Mitteln. Ihnen zur Seite stehen dabei die meisten etablierten Medien, allen voran das öffentlich-rechtliche Fernsehen, das seinen „Kampf gegen Rechts“ nicht nur aus ideologischen Gründen, sondern auch aus unmittelbar materiellen Eigeninteressen führt. Ein weiteres Erstarken der AfD in den Ländern und im Bund würde die derzeit geplante Erhöhung der Zwangsgebühren erschweren und das öffentlich-rechtliche Abgabensystem unter Umständen selbst ins Wanken bringen. Da braucht man sich nicht zu wundern, wenn Anne Will und Maybrit Illner alle Standards politisch neutraler, professioneller Moderation über Bord werfen, wenn es mal wieder nicht anders geht, als jemanden von der AfD in ihre Talkrunden einzuladen, die dann regelmäßig mit tatkräftiger Unterstützung der Moderatorinnen in AfD-Tribunale münden.
Angesichts einer solchen ebenso geschichtsvergessenen wie verantwortungslosen Dramatisierung eines in Demokratien nicht nur normalen, sondern sogar existenznotwendigen Konflikts um die Austarierung des bestehenden politischen Koordinatensystems, muss man sich nicht wundern, wenn linksextreme Kampfgruppen sich aufgerufen fühlen, gegen Politiker der AfD, inzwischen aber auch der FDP mit Mitteln vorzugehen, die nicht an wirkliche Antifaschisten, sondern an die Kampfgruppen von NSDAP und KP erinnern. Wenn der AfD zurecht vorgehalten werden kann, sie befeure mit der dramatisierenden, radikalen Rhetorik von einigen ihrer Führungsfiguren und Vordenker Gewalttaten der rechtsextremen Szene, dann gilt dies mittlerweile ebenso für Teile der etablierten Parteien und Medien und die in der linksextremen Szene mittlerweile um sich greifende Progromstimmung gegen „Rechte“, gleich welcher Partei. Es ist deswegen höchste Zeit, dass beide Seiten politisch wie rhetorisch ab- statt weiter aufrüsten. Zur Hoffnung, dass sie dies tun werden, gibt es angesichts der aktuellen Aufrüstungs-Aktivitäten unserer selbsternannten „Anti-Faschisten“ in Politik und Medien indes wenig Anlass.