Tichys Einblick
"Wortbruch" gegenüber Bundeswehr

Es ist viel schlimmer, als Merz der Bundesregierung vorhält – Verteidigungsministerin lässt Parlament im Dunkeln

Kanzler Olaf Scholz und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht haben kaum Nennenswertes auf den Weg gebracht. Die Bundeswehr ist neun Monate nach Beginn des russischen Angriffskrieges und der Ausrufung der „Zeitenwende“ keinen Deut besser aufgestellt als zuvor.

Christine Lambrecht, Bundesministerin der Verteidigung, SPD, während der Sitzung des Deutschen Bundestags am 23.11.2022 in Berlin

IMAGO / Christian Spicker

In der Generaldebatte des Bundestages vom 23. November 2022 hat Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU/CSU) Kanzler Olaf Scholz (SPD) wegen seines Umgangs mit der Bundeswehr heftig kritisiert. Mit Blick auf den sinkenden Verteidigungshaushalt (2023: 50,1 Milliarden; 2022: 50,4 Milliarden) sagte Merz: „Das ist ein grober Wortbruch gegenüber dem Parlament und vor allem gegenüber der Bundeswehr.“ Merz erinnerte zudem daran, dass Scholz am 27. Februar 2022, drei Tage nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine, versprochen habe, „mindestens zwei Prozent“ des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung bereitzustellen. Dieses Ziel sei in weite Ferne gerückt.

Merz hat Recht. Indes ist alles noch viel schlimmer. Weder Scholz noch seine überforderte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) haben bislang Nennenswertes auf den Weg gebracht. Die 100 Milliarden „Sondervermögen“ (vulgo: Sonderschulden) dümpeln vor sich hin. Die Bundeswehr ist neun Monate nach dem Einmarsch Putins in die Ukraine keinen Deut besser aufgestellt als vor dem 23. Februar.

Wir haben uns hier auf TE regelmäßig mit der Ertüchtigung und mit der Finanzierung der Bundeswehr befasst. Zuletzt am 31. Oktober 2022.

Trotz 100-Milliarden-Sonderschulden-Paket
Erste Projekte gestrichen: Es geht nichts voran in der Bundeswehr
Heute bleibt festzuhalten: Von der hochgejubelten „Zeitenwende“-Rede des Bundeskanzlers Scholz vom 27. Februar 2022 im Bundestag blieb bislang wenig Sichtbares. Allzu vollmundig war Scholz am 27. Februar aufgetreten und hatte die Bundeswehr zur „am besten ausgestatteten Streitkraft in Europa“ machen wollen. Am 15./16. September sagte er unter Hinweis auf diese Aussage auf einer Führungskräftetagung in Berlin: „Das ist mein Anspruch als Bundeskanzler. Daran können Sie mich messen.“ 

Wie „messen“: Kanzler Scholz, Ministerin Lambrecht, setzen, Note 6, „ungenügend“, wie es in der Schule heißt! Schneckentempo und Streichlisten, wohin man schaut. Die Waffenlieferungen an die Ukraine (bislang für 1,2 Milliarden; zum Vergleich; USA: 27,6 Milliarden) können da keine Ausrede sein. Aus dem 100-Milliarden-Euro-Sonderschuldentopf ist schließlich noch nahezu nichts geordert.

Es kommt hinzu: Zu dem von Scholz zugesagten Nato-„Zwei-Prozent-Ziel“ fehlen immer noch 16 bis 17 Milliarden. Die geplanten 50,1 Milliarden machen rund 1,5 BIP-Prozent aus. Um die 2 Prozent zu erreichen, müssten es 66 bis 67 Milliarden sein.

Überall knirscht es – Ausgewählte Beispiele

Die CDU/CSU-Fraktion hat nun unter anderem in Sachen Munition nachgebohrt. Generalinspekteur Eberhard Zorn hatte errechnet, dass bis 2031 rund 20 Milliarden Euro allein für Gefechtsmunition investiert werden müssten. Tatsächlich wurden für 2023 ganze 1,25 Milliarden Euro bewilligt. Und das in einer Situation, in der die Munitionsvorräte der Bundeswehr allenfalls für zwei Tage reichen und damit weit vom Nato-Standard einer Bevorratung für 30 Tage entfernt sind.

Maulkörbe und Schweigegelübde?

Die Verteidigungsministerin schaltet auf „nichts hören, nichts sehen, nichts sagen“. Sie hält sogar das Parlament im Dunkeln. Seltsame Begründung: Eine Offenlegung der Informationen berge die Gefahr, „dass Einzelheiten über die künftige Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung der Bundeswehr bekannt würden.“ Nicht nur am Rande: Die halbjährlichen Berichte über die Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme für die Öffentlichkeit sollen künftig obendrein verwässert werden, um Mängel zu verbergen. So klare Analysen wie wir sie noch vor Jahresfrist bekamen, wird man dann wohl nicht mehr bekommen.

Skandal der Verteidigungsministerin
Lambrecht fotografierte ihren Sohn selbst im Regierungshubschrauber
Etwa dass im „14. Rüstungsbericht zur materiellen Einsatzbereitschaft“ des Generalinspekteurs vom 13. Januar 2022 stand: „Unsere Zielgröße von 70% durchschnittlicher materieller Einsatzbereitschaft übertrafen hierbei 38 Hauptwaffensysteme, 11 lagen unter 50% (davon 6 Altsysteme). Die durchschnittliche materielle Einsatzbereitschaft von Kampffahrzeugen lag bei 71%, für Kampfeinheiten der Marine bei 72%, für die Kampf- und Transportflugzeuge bei 65%, für alle Unterstützungsfahrzeuge (Logistik, Sanität und CIR) bei 82% und bei den Hubschraubern weiterhin bei 40%.“ Noch einmal: 11 Waffensysteme lagen unter 50 Prozent Einsatzbereitschaft! Besser ist nichts geworden.

Lambrecht verdonnerte zudem die Inspekteure der Teilstreitkräfte zum Schweigen: Sie forderte nach Welt-Informationen Loyalität ein. Das heißt: Die Drei-Sterne-Generale sollen die Klappe halten. Vermutlich hat Lambrecht vor allem den Heeres-Chef Alfons Mais (60) im Blick: Dieser hatte den Mumm, Klartext zu reden. In einem Interview für die „Süddeutsche“ vom 11. November 2022 sagte er: „Wir könnten keinen Kampf über mehrere Wochen führen.“ Grund: „Wir verfügen derzeit über keine komplette deutsche Brigade, die sofort und ohne längere Vorbereitungszeit in der Lage wäre, einen Kampfauftrag über mehrere Wochen durchzuführen.“ Und weiter: „Das Heer, so wie es heute dasteht, verfügt noch über vier Artilleriebataillone, etwa 100 Panzerhaubitzen und knapp 40 Raketenwerfer Mars. Von denen ist tagesaktuell immer nur ein Teil einsatzbereit.“ 

Alles in allem: Warum Scholz seine SPD-Genossin Christine Lambrecht und nicht den renommierten Verteidigungsexperten Hans-Peter Bartels (SPD) auf dem Chefposten im Bendler-Block haben wollte, wird jetzt immer klarer. Er wollte auf diesem Posten jemanden, der ihm mit Mahnungen, Forderungen, Widersprüchen nicht in die Quere kommt.


Die mobile Version verlassen