Es klingt wie ein Geständnis, als müsste man sich dafür schämen, doch gerade die globalen Krisen und ihre (naiven) Lösungsversuche bestätigen mich in der Richtigkeit: Indem ich in Deutschland, also im Westen, die Schule durchlief und die Kultur aufsog, war ich zur Überzeugung gekommen, dass der Westen zwar wahrlich nicht vollkommen war – nicht in der Vergangenheit und nicht in der Gegenwart – doch dass er erstens das Beste und Menschlichste an Kultur kannte, was wir, die späten Enkel der Neandertaler, hervorgebracht hatten, und zweitens, dass es den theoretischen wie praktischen Konsens gab, nicht hinter das Erkannte zurückzufallen.
Anderswo mochten sie mit Gewalt und Gewehren aufeinander losgehen, wir aber hatten uns endlich zum Ideal gesetzt, dass Argumente und Regeln der Gewalt vorzuziehen waren. Anderswo galt das Recht des Stärkeren und Korrupteren, wir aber wählten unsere Anführer demokratisch und alle Gewalt ging moralisch vom Volk aus und praktisch nur vom Staat, nach gerechten und zuverlässigen Regeln.
Es ist 2019. Ich stelle fest, dass das staatliche Gewaltmonopol und die Bedeutung demokratischer Konsensfindung angezweifelt wird, und nicht nur von einigen Ausgestoßenen, sondern von tausenden Bürgern, von erschreckend vielen Journalisten und implizit sogar von Politikern etablierter Parteien, die sich sonst morgens, mittags und abends in Worten dessen rühmen, »demokratisch« zu sein – und »moralisch« sowieso.
Die Macht, egal wie
Die US-Wahlen 2016 gingen nicht ganz so aus, wie etablierte Akteure es sich ausgerechnet hatten (nytimes.com, 8.11.2016: »Hillary Clinton has an 85% chance to win«). Unmittelbar nach der Wahl brachen in den USA teils gewaltsame Proteste aus (siehe etwa oregonlive.com, 11.11.2016, euronews 11.11.2016 via YouTube). Linke, anti-demokratische Demonstranten protestierten mit Gewalt und Einschüchterung gegen den Ausgang einer demokratischen Wahl (sie selbst würden sich in Worten ja durchaus »demokratisch« nennen, doch sie meinen mit »demokratisch«, dass ihre Seite die Macht hat, egal wie).
Welche Regierungsform eine Nation auch gerade ausprobiert, es wird immer Menschen und Organisationen geben, die versuchen werden, einen Einfluss an den Regeln dieser Regierungsform vorbei zu erlangen. In der Monarchie werden Geschäftsleute die Regeln des Hofes zu ihren Gunsten verbiegen wollen, in Gottesstaaten suchen Menschen kleine Nischen an den Regeln des Glaubens vorbei, und in der Demokratie versuchen einzelne Akteure ebenso, an den demokratischen Entscheidungswegen vorbei Macht zu erlangen, etwa durch Propaganda, Wahlfälschung, Kungeleien – oder eben durch Gewalt und Straßenterror – womit wir bei der sogenannten Antifa wären.
Der US-Präsident Donald Trump, erwägt nun (laut foxnews.com, 27.7.2019, spiegel.de, 27.7.2019), die Antifa zur Terror-Organisation zu erklären. Nun könnte man zahlreiche Fußnoten anbringen, wie etwa die Frage, ob es »die« Antifa heute so gibt (diejenigen, die sich zur Antifa bekennen, behaupten ja bei anderer Gelegenheit auch mal, es gäbe »die Antifa« doch gar nicht, je nachdem, wie es gerade passt). Eine andere Frage wäre, in welchem Land man denn die »Organisation Antifa« verorten sollte, und damit, ob bisherige Begriffe wie »Terrororganisation« oder auch nur »Netzwerk« überhaupt noch zutreffen, praktisch wie juristisch.
In Deutschland reagieren tausende Internetnutzer und sogar einige Politiker auf Trumps Ansinnen mit erwartbarer Trotzigkeit – sie »bekennen« sich in den Sozialen Medien dazu, Teil der roten Straßenschläger zu sein. Unter dem Hashtag »#IchbinAntifa« bekannten sich unter anderem ein Politiker der Grünen und der umbenannten SED zu ihrer Sympathie zu jener Gruppe, die gelegentlich auch die »Rote SA« genannt wird (siehe etwa dw.com, 29.7.2019). Antifa bedeutet Straßenterror. Antifa bedeutet politische Gewalt. Es ist 2019 und in Deutschland bekennt man sich wieder öffentlich zur politischen Gewalt.
Alles Faschisten, außer wir
Das Kürzel »Antifa« leitet sich von »Antifaschistische Aktion« ab. – Das Original der heutigen »Antifa« stammt (sofern man bei den heutigen Straßenschlägern überhaupt sinnvoll von »Abstammung« reden kann) vom Kampfbund der Kommunistischen Partei Deutschlands ab. Die KPD wurde 1956 verboten und zwangsweise aufgelöst (zweites Parteiverbot in der Geschichte der Bundesrepublik nach der SRP, die sich selbst als NSDAP-Nachfolger sah, siehe Wikipedia »KPD-Verbot«), die Antifa-Schläger sind uns erhalten geblieben – wobei viele dieser Schläger auch gleichzeitig sagen werden, sie stünden in keiner organisatorischen oder sonstigen Kontinuität zur KPD, während sie weiterhin deren Varianten der KPD-Antifa-Insignien verwenden.
Die »Antifa« nennt sich »Antifaschistisch« doch das erste Ziel der kommunistischen Antifa war, wenn man es genau betrachtet, die Verteidigung der KPD – der Name »Antifaschistische Aktion« ergab sich aus dem Gegner der Zeit, alles »Anti-Faschistische« ergab sich später. Der »Massenselbstschutz« der KPD war gleichzeitig eine spiegelbildliche Reaktion auf die Gewalt der SA in Arbeitervierteln wie auch eine Wahlkampfmaßnahme zur Abwerbung von Anhängern der Sozialdemokraten (siehe auch Carsten Voight, »Kampfbünde der Arbeiterbewegung«, Böhler-Verlag 2009).
Es war ein Kennzeichen schon der frühen Antifa-Bewegungen, dass KPD-Kämpfer den Sozialdemokraten angebliche Faschismus-Nähe vorwarfen — und andersherum. Noch nach dem Krieg warfen Sozialdemokraten bekanntlich ihren kommunistischen Mitbewerbern vor, »rotlackierte Faschisten« zu sein (siehe Wikipedia zu »Linksfaschismus«). Von Anfang der verschiedenen »Antifas« an waren »Faschist« und »Faschismus« kaum verhüllter Code für »der politische Gegner«.
Manche Antifa-Sympathisanten argumentieren heute tatsächlich, dass »Antifa« doch »anti-faschistisch« bedeute, und wer gegen Antifa sei, der sei damit »für Faschismus« – es ist eine so hanebüchene, kindisch-dümmliche Argumentation, dass ich mir schwer tue, zu glauben, dass sie 2019 noch ernsthaft geäußert werden kann – doch sie kann.
Wenn der geschickt vergebene Name zwingend die Eigenschaften einer Organisation oder Idee beschreibt, dann müssen alle Demokraten große Bewunderer der »Demokratischen Volksrepublik Korea« und der »Deutschen Demokratischen Republik« sein. War der Fall des »Antifaschistischen Schutzwalls« gar ein Sieg des Faschismus? (Egal, wie Sie »Fall« verstehen.)
Politische Gewalt mit modischem Etikett
Trumps Gegner laufen wieder und wieder und wieder in die gleiche Falle.
Im Text »Wie Trump mit oberflächlich falschen Fakten die Medien austrickst« beschreibe ich, wie Trump – ääh – der Titel sagt es ganz gut.
Jüngst hat Trump eine Gruppe extrem linker, oft irrational und/oder antisemitisch agierender US-Politikerinnen angegriffen, sie mögen doch in ihre Ursprungsländer zurückgehen, welche oft in schweren Krisen stecken, und nachdem sie diese repariert haben, sollten sie in die USA zurückkehren und dann zeigen, wie sie es gemacht haben (siehe etwa time.com, 21.7.2019). Wie von Trump berechnet, tappten die US-Demokraten in die ausgelegte Falle und begannen, die anti-semitischen und schmerzhaft peinlich auftretenden Damen zu verteidigen und sich hinter ihnen zu scharen (sogar die fanatischen Trump-Hasser von CNN verstehen, dass und wie die US-Demokraten in Trumps Falle liefen, siehe etwa cnn.com, 28.7.2019).
»Die Antifa« könnte man heute nicht ganz falsch als auch/zuerst eine Geisteshaltung verstehen, welche den »erlebnisorientierten« (und mit Alkohol, Social Media und anderen Suchtmitteln abgestumpften) Jugendlichen eine gesellschaftlich akzeptable Möglichkeit gibt, etwas »zu erleben«, indem sie Gewalt gegen einen von oben vorgegebenen Feind ausüben, was sich eher »demokratiemüde« Politiker, Journalisten und NGOs zu Nutze machen könnten, um demokratische Prozesse »abzukürzen«.
Trump-Versteher sagen gelegentlich, Trump spiele 4-D-Schach, also ein undurchschaubares, aber logisches politisches Spiel, bei dem seine Gegner mitspielen ob sie wollen oder nicht – und: ob sie es merken oder nicht – und, um das metaphorische Spiel zu wechseln, aber bei der Aussage zu bleiben, ihm nolens volens in die Karten spielen.
Ich will einen weiteren Vergleich für Trumps Taktik vorschlagen – die Kunst!
Es ist eine wesensnotwendige Eigenschaft der Kunst, stets eine Leerstelle zu schaffen, welche der Betrachter selbst ausfüllt (und Kitsch ist auch dadurch Kitsch, dass er keine Leerstelle lässt, sondern die Deutung vorgibt). Trumps politisches Handeln (und manche seiner Geschäftstätigkeit zuvor) betreibt die Kunst der verführerischen Leerstelle. Trump kontrolliert den Debattenverlauf, indem er, wie ein Künstler, Leerstellen aufreißt, die seine Gegner ungeschickterweise füllen – er schlägt sie im 4-D-Schach, während sie denken, es würde Dame gespielt – sie meinen, immer wieder, endlich »nun aber wirklich« das gewinnende Blatt in der Hand zu halten, dabei war er es, der ihnen die Karten zuteilte (und wenn er es nicht war, so müssen sie doch fürchten, dass er es war).
Indem Trump andeutete, dass er die Antifa verbieten will, weil sie Gewalt gegen Andersdenkende anwendet, stellt er seinen Gegnern eine Falle – und ausgerechnet in Deutschland fallen Tausende darauf herein und bekennen sich stolz und selbstbewusst zur politischen Gewalt, solange sie nur ein modisches Etikett trägt.
Die Regeln der Gewalt
Der Mensch ist ein zerrissenes Wesen, ein Dazwischenwesen, teils wilde Bestie, teils sanfte Taube, und es ist eine der wichtigsten Aufgaben der Zivilisation – und damit des ordnenden Staates – sicherzustellen, dass die Bestie in jedem von uns zahm genug bleibt, damit die Gesellschaft funktionieren kann.
Die Befriedung einer Gesellschaft ist ohne Gewalt nicht möglich. (Zyniker sagen, die »Befriedigung« auch nicht.) Es ist der große Fortschritt der Demokratie, der Gewalt eine Ordnung gegeben zu haben, die sich weit weniger ungerecht als jede andere Ordnung der Gewalt anfühlt. Im demokratischen Rechtsstaat darf ausschließlich der Staat regelmäßig Gewalt gegen Bürger ausüben (Ausnahmen sind eben solche), nach sehr eindeutigen, sehr wohl abgewägten und immer wieder überprüften Regeln.
Nicht jede Gewalt des Staates ist gerecht nach demokratischen Maßstäben – es gibt ja auch Gewalt in der Diktatur, in der Monarchie oder im Gottesstaat – aber systematische Gewalt ohne staatliche Aufsicht ist immer ungerecht. (Weh dem Staat, der ein Vakuum an gerechter Gewalt entstehen lässt, so dass sich die Bürger nach Bürgerwehren, den Taliban oder der ordnenden Mafia sehnen!)
Es ist eine geradezu lächerliche Legende, dass »Antifa« wirklich »gegen Faschismus« kämpft – die Antifa ist »den Faschisten« ähnlicher als irgendeine andere Geisteshaltung in der demokratischen Moderne. »Terrorismus« wird allgemein definiert als der Versuch, politische Ziele durch Angst und Einschüchterung zu erreichen, insofern ist die Antifa definitiv als terroristisch deutbar.
Die »Antifa« nannte sich »-fa«, weil der Faschismus damals die Kommunisten bedrohte. Antifa richtet sich zuerst gegen den jeweiligen politischen Gegner, selbst wenn der weit, weit demokratischer ist als man selbst – siehe »antifaschistischer Schutzwall«.
Deutschland ist – trotz aller Angriffe im Namen der »Haltung« und des »Kampfes gegen Rechts« – noch immer eine Demokratie, genauso wie die USA. In einer Demokratie darf Gewalt nur von Stellvertretern des Staates ausgeübt werden, nach festen und überwachten Regeln. Es ist logisch, dass Antifa-Terroristen immer wieder mit Slogans wie »All Cops Are Bastards« auffallen, sprich: dass sie demokratisch überwachte Gewalt ablehnen – Antifa ist heute eine anti-demokratische Idee.
Die mindestens ideelle Unterstützung der Antifa durch einige Politiker und Haltungsjournalisten passt in ein Deutschland, das erschreckend offen mit der Demokratie fremdelt.
Trump stellt seinen Gegnern gerne Fallen, und sie tappen immer wieder hinein. Dass Trump so viele Deutsche dazu bewegen würde, sich offen zur undemokratischen Gewalt gegen den politischen Gegner zu bekennen, das hat mich dann aber doch erschreckt.
Keine Demokratie im Kofferraum
Um einen alten Spruch neu zu paraphrasieren: Die Deutschen Politiker und ihre Meinungsmacher gehen mit der Demokratie um, als hätten sie eine zweite im Kofferraum.
Nein, wir haben keine »zweite Demokratie im Kofferraum«. Ich habe das ungute Gefühl, dass wenn Deutschland sich erneut selbst auffräße, die Amerikaner nicht wieder ihre Söhne riskieren würden, um Deutschland vor sich selbst zu retten – vielleicht nicht einmal, um den deutschen »Willen zur Macht« von Europa abzuschütteln.
Zu Beginn meines (bislang einzigen) Romans »Warteraum 254« zitiere ich Leonard Cohen:
Wenn sie Informationen von dir fordern, genau dann stell dich dumm! Sag ihnen, dass du auf das Wunder wartest – das Wunder, das noch kommen wird.
(Leonard Cohen, Waiting For The Miracle)
Tausende Deutsche bekennen sich wieder zur politischen Mob-Gewalt. Ich hätte es, das gestehe ich gern, nicht für möglich gehalten, nicht als Schüler, noch vor wenigen Jahren, als Erwachsener und junger Vater, auch noch nicht. War ich zu naiv?
Wer das staatliche Gewaltmonopol bestreitet, der greift die Demokratie und die freiheitliche Ordnung selbst an. Ich hoffe an diesem Punkt auf ein Wunder. (Siehe auch: »Haben wir ein Wunder verdient?«)
Ich hoffe, dass die Deutschen bald begreifen, dass es nicht diese oder jene Logos und Zeichen waren, die zum großen Demokratieverlust führten und führen, sondern zu viel Lust am Gehorsam, zu viel Lust an den vorgegebenen Feindbildern, zu viel Angst vor Widerspruch gegenüber jenen, welche die Prinzipien der Demokratie für ihre Macht verbogen.
Es klingt wie ein Geständnis, doch es ist eine respektvolle Bewunderung: Ich bin überzeugt, dass Demokratie und Rechtsstaat zum Feinsten gehören, das Menschen jemals geschaffen haben. Und ich weiß, dass der primitive, animalische, berauschte und gewalttätige Mob, dass die Antifa zum Übelsten gehört, dessen Menschen fähig sind.
Deutschland wird sich zusammenraufen müssen, und ja, ich hoffe, wieder und noch immer, auf Wunder. Deutschland wird sich zusammenraufen müssen – bald.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.
Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.