Wir sind von Marken umgeben, vom ersten Wachwerden bis zum letzten Schlafengehen – und das nicht erst seit dem Industriezeitalter. Ob wir heute vom BRAUN-Designwecker (siehe braun.de) oder vom Marken-Smartphone geweckt werden, ob wir Müsli oder Toast zu unserem Frühstücks-Obst essen, ob wir Lavazza-Kaffee trinken oder Bellarom von Lidl, ob wir uns zu dieser oder jener »Religionsmarke« bekennen – oder gar keiner.
Manche Marken durchdringen den Alltag ihrer Nutzer so gründlich und besetzen ihre Produktkategorie derart prototypisch, dass das Wort von einer Marke zum Begriff für die gesamte Kategorie wird; man spricht hier von »Deonymen« – siehe Wikipedia, und nicht wenig davon sind markenrechtlich etwas problematisch, ob »Champagner« für Schaumwein, »kärchern« für Hochdruckreinigung oder inzwischen auch »googlen« für digitale Suche (jeder versteht, was der Satz »google die Datei mal auf deiner Festplatte« sagen will). Wenn Sie einen Freund fragen, ob er »mal ein Tempo« für Sie hätte, werden Sie es ja nicht ablehnen, wenn er Ihnen ohne weitere Rückfrage ein Papiertaschentuch von Softis oder Floralys reicht.
Bei manchen Marken wird von den Betreibern ganz bewusst das Produkt hinter der Marke verändert, solange nur das »Versprechen« der Marke ungefähr weitergeführt wird. Das Wort »Coca« in »Coca-Cola« ergab dereinst sehr viel mehr Sinn als heute. Und manchmal prägt eine Marke eine ganze Ära, wird dann aber von neuer Technik weggeweht, und bleibt als leerer Aufkleber. (Sony scheint recht lustlos zu versuchen, »Walkman« auf recht beliebige MP3-Player aufzukleben; siehe sony.com.)
Es kommt sogar vor, dass das Unternehmen hinter einer Marke pleitegeht und aus diesem oder jenem Grund seine Geschäftsgrundlage verliert, und die Marke das einzige ist, was noch irgendeinen Wert hat, und also wird sie weiterverscherbelt. Vielleicht haben Sie es auch schon erlebt, dass Sie im Super- oder Elektromarkt überraschend einen alten, einst klangvollen Markennamen auf einem offensichtlich billigen und beliebigen Produkt aufgeklebt sahen – wahrscheinlich war das so ein Fall.
Alte Marken auf neuen, merkwürdigen Produkten – ja, damit wären wir bei den Nachrichten des Tages!
In der laizistischen Tradition
Vor kaum einer Woche wurde in den Nachrichten gemeldet, dass die Berliner Polizei ausgerechnet im »toleranten« Berlin-Kreuzberg eine Moschee durchsuchte (siehe etwa tagesspiegel.de, 21.10.2020). Man liest vom Verdacht auf Subventionsbetrug. Als in Berlin das Coronahilfen-Buffet eröffnet wurde, füllten sich wohl manche Leute den Teller extra voll, obwohl sie gar nicht am Menü hätten stehen dürfen.
Herr Erdoğan aus der Türkei hat sich weiterer Kommentare zur Durchsuchung der Moschee enthalten, schließlich mischt er sich ja in der laizistischen Tradition Atatürks nicht in religiöse Angelegenheiten ein, und schon gar nicht in die eines anderen Staates – Moment, ich korrigiere: Das Gegenteil ist der Fall.
Via Twitter erklärte Herr Erdoğan:
Ich verurteile nachdrücklich die Polizeieinsätze in der Mevlana-Moschee in Berlin während des Morgengebetes, die offensichtlich von Rassismus und Islamfeindlichkeit genährt waren, welche Europa der Dunkelheit des Mittelalters näher bringen, und die Glaubensfreiheit völlig ignorieren. (@RTErdogan, 23.10.2020, Übersetzung mit Hilfe von Google aus dem Türkischen)
Herr Erdoğan weiß sehr wohl, was er sagt – und es ist, aus seiner Perspektive, klug und geschickt.
»Ich bin mächtiger als du …«
Erdoğan weiß ganz genau, dass Linke die Bedeutung der Worte »Rassismus« und »Islamfeindlichkeit« heute zu verändern suchen (manche sagen, dass sie damit auf typisch linksdoofe Weise eigentlich nur den Willen gewisser ausländischer Mächte umsetzen).
Eine Zeit lang versuchten Linke das Wort »Rassismus« neu zu besetzen, so dass es jedes Verhalten einer stärkeren Gruppe gegenüber einer schwächeren Gruppe meinte. (Ja, auch positives Verhalten konnte »Rassismus« bedeuten – neutrales, »farbenblindes« Denken und Handeln sowieso.) – Dann stellte man fest, dass historisch und aktuell global betrachtet Nicht-Weiße in Machtpositionen weit öfter weit grausamer gegen »Andersartige« waren (siehe aktuell etwa die sogenannten »Farm-Morde« in Südafrika, oder auch der tägliche anti-deutsche Rassismus an deutschen »Brennpunktschulen«, oder der (aus verschiedenen Gründen auch von weißen Linken und globalen Konzernen befeuerte) anti-weiße Hass unterm Kampfruf »Black Lives Matter«… (impliziert: »… and white lives don’t«)).
Die Begriffswandlung des Begriffs »Rassismus« verläuft anders als etwa die Euphemismus-Tretmühle, wo für dasselbe Problem zum Zweck der als »politische Korrektheit« bekannten Realitätsleugnung immer neue Begriffe gewählt werden. Dem Begriff »Rassismus«, so scheint es, wurden weite Teile der Geschäftsgrundlage entzogen (man könnte sagen: er war »erfolgreich«, was ihn obsolet machte), doch im Begriff steckte »Diskursmacht«, weshalb man akademisch konstruierte Ersatzbegriffe wie »struktureller Rassismus« erfand, um weiter gegen »Rassismus« kämpfen zu können. Doch, die künstlichen Ersatzbegriffe verlieren derzeit auch schon ihren Biss, etwa wenn man einmal nachrechnet, wie viele Verbrechen von den jeweiligen Gruppen jeweils wirklich (relativ zu ihrer Zahl) begangen werden.
Der letzte und aktuelle Stand des Rassismus-Begriffs ist nun der weitgehende Verlust aller Referenzkraft und die Reduktion zur »diskursiven Trumpfkarte«. Wer der anderen Seite »Rassismus« vorwirft, will die Oberhand gewinnen ohne weiter zu argumentieren.
Der Satz: »Ich bin mächtiger als du, also brauche ich keine Argumente, um dich zum Schweigen zu bringen, deshalb nimm hin, was meine Seite tut«, und die Kurzformulierung: »Du Rassist«, erfüllen funktional dieselbe Aussage.
Herr Erdoğan nannte einst die Moscheen seine »Kasernen« – die Linke macht sich mit ihrer Verwässerung des »Rassismus«-Begriffs zu Erdoğans »freiwilligen menschlichen Schutzschilden«. Wie soll man Erdoğan den Missbrauch des Wortes »Rassismus« vorwerfen, wenn er ihn exakt so benutzt, wie Linke und NGO-Propagandisten es vormachen?
Die »Verwässerung« der Marke
Im Geschäftsalltag kann es ratsam sein, dass Markeninhaber ihre Marke verteidigen, um sie nicht zu verlieren. Ein Unternehmen, das kleinere Unternehmen wegen Markenverletzung verklagt, ist nicht (dadurch zwingend) »böse« – wenn es seine Marke nicht verteidigte, könnte die »Verwässerung« der Marke drohen.
Natürliche, in der öffentlichen Debatte gewachsene Begriffe, verfügen über keinen (offiziellen) Markenbeauftragten, aber durchaus Marken-/Begriffsskraft – umso heftiger kämpfen Akademia, Staatsfunk, politisch aktivistische Redaktionen und Propaganda-NGOs darum, die Bedeutung der Begriffe in ihrem jeweiligen politischen Sinne zu steuern – und immer häufiger kommt die neue, »linke« Bedeutung und Funktion der Worte, autoritären und diktatorisch gesinnten Akteuren sehr gut gelegen.
Der Rassismus als »Hass und Benachteiligung aufgrund von Hautfarbe, typischerweise von Weißen gegen Schwarze« bezieht sich wohl inzwischen auf so wenige Fälle, dass man die Marke, um ihre Wirkung als Waffe im Kampf um die Diskurshoheit nicht zu verlieren, mit neuen »Produkten« füllen will – doch der neue Rassismus-Begriff hilft immer wieder jenen, denen die Werte der Aufklärung wenig mehr als der Zug sind, auf den sie bei Bedarf aufspringen, bis sie an ihrem wahren Ziel angekommen sind.
Immerhin Klugheit
Nein, man sollte Menschen keinen moralischen oder sonstigen Wert zuschreiben – jedoch durchaus ihrem Verhalten. Selbstverständlich kategorisiere ich jedoch Menschen durchaus nach ihrem Handeln – wozu auch das Handeln in Worten gehört – und meine entscheidende Kategorie ist: Denkt und handelt dieser Mensch weise und gütig? (Mit weise und gütig meine ich hier: Zum Wohl der gesamten Menschheit.) Und wenn er schon nicht weise denkt und handelt, denkt und handelt er zumindest klug? (Mit klug meine ich hier: Im Bewusstsein seiner eigenen »relevanten Strukturen« und stets zu deren Stärkung.)
In Europa sowie auf der Seite von Linken, Globalisten und Islamisten sehe ich wenig Weisheit oder echte Güte.
Im Falle von Erdoğan sehe ich immerhin Klugheit: In der Demokratie dienen politische Begriffe als Waffen, und Erdoğan wendet unsere eigenen Waffen gegen uns – das ist zweifellos klug und geschickt.
Der einzige global agierende Politiker, der dieser Tage weise handelt, ist einer, der diese Weisheit hinter einer Fassade von Chaos und Lärm versteckt – ja, ich meine den Mann, der die schier unmöglich scheinender Aufgabe des Nahost-Friedens angeht – mit echten Erfolgen. (Dass Trump nicht den Friedensnobelpreis erhielt, deklassiert diesen endgültig zum moralisch wertlosen Blech.)
Von unseren eigenen Mächtigen ist wenig Weisheit zu erwarten, und Güte gewiss nicht.
Es liegt an uns selbst, weise zu werden und ein vielleicht auch gütig.
Übt euch in Weisheit!
Übt euch in wohldosierter Güte zu üben!
Vor allem werdet klug!
Man wird euch dumm und ängstlich halten wollen – klug und weise müsst ihr aus eigener Kraft sein!
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com
Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.