Politik mit anderen Mitteln, was ist das eigentlich, wenn es nicht gleich Krieg ist? Schon beim Marsch durch die Institutionen ging es im Wesentlichen um eine Zerstörung selbiger von innen heraus. Wie ist das aber nun, wenn man sich noch 2017 den politischen Systemen Europas gegenüber unversöhnlich zeigt? Bleibt dann nur der Untergrund, die Kriminalität? Martin Sellner ist das Gesicht der Identitären Bewegung. Die „Mainstreammedien“ sind für ihn „Lügenpresse“ und er glaubt an einen Plan eines großen Austausches der Bevölkerung. Noch sieht er die Identitäre Bewegung „in der Rolle des metapolitischen Belagerers und Partisanen“. Belagert würde die „Festung „Political Correctness“ mit einem Ziel: die Neue Rechte durch die „Firewall der Political Correctness“ zu bringen. Aber was will man, das anschließend passieren soll?
Das interessiert auch den Verfassungsschutz (VS). Das Bundesamt begründet sein Interesse so: „Wir sehen bei der ‚Identitären Bewegung‘ Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. (…) So werden Zuwanderer islamischen Glaubens oder aus dem Nahen Osten in extremistischer Weise diffamiert. Deshalb beobachten wir die Bewegung nun auch.“
1968 wurden linksradikale Studenten mit folgender Begründung vom VS überwacht: „In einem Flugblatt hatten sie das Parlament als „eine vom Monopol-Kapital lizenzierte Schwatzbude“ bezeichnet.“ Einige der damals Überwachten sind heute in diesen Schwatzbuden, in führenden politischen Ämtern der Bundesrepublik angekommen, wie der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann.
Wir sprechen mit Martin Sellner über seine persönlichen Einbahnstraßen, über ein Schiff nach Nirgendwo und auch über seine „braune Vergangenheit“.
Alexander Wallasch (AW): Herr Sellner, Sie sind führender Kopf der Identitären. Was, bitte schön, haben Sie Matthias Matussek in Wien in den Kapuziner gekippt, dass er Ihre Bewegung als eine Art legitimen Nachfolger der APO betrachtet? Gar als Wiedergänger Joschka Fischers, wenn er über die Identitären von einer „Sponti-Truppe“ spricht, wo man ihre Truppe mit bösem Blick auch als maritime Wehrsportgruppe Hoffmann sehen könnte, angesichts Ihres Vorhabens, Europa nun mit einer deutschen Freischärlerflotte auf dem Mittelmeer zu verteidigen, wenn auch zunächst mit nur einem Flugzeugträger – äh … Fischkutter.
Martin Sellner (MS): Ich weiß nicht genau, woran es liegt, dass manche in uns eine Art neurechte Rache an 68 sehen. Vielleicht daran, dass wir neben Demos und Aktionen zum Hochtheoretischen neigen und gern mal Heidegger-Zitate posten. Wahrscheinlich aber eher, weil wir den Apo-Opas das Leben mit Aktionen zur Hölle machen, die wir von ihnen gekapert haben … Apropos gekapert: wir sind keine „Freischärler“, sondern eher so etwas wie ein freiwilliges Frontex ohne EU-Gelder. Wenn es keine Grenze gibt, müssen wir eben selbst Grenze setzen. Was mein Treffen mit Matussek betrifft, sind Sie völlig falsch informiert: Wir haben natürlich eine Wiener Mélange konsumiert und uns dabei blendend verstanden.
AW: Bevor wir uns mit Zielen, Strategien, Herkunft und Förderern Ihrer Identitären Bewegung befassen wollen, kurz etwas zu ihrem aktuellen Projekt. „Defend europe“ steht bei Ihnen dafür, einen Kutter ins Mittelmeer zu überführen um sich den Refugee-Schleppern vor der libyschen Küste in den Weg zu stellen. Dafür sammeln Sie aktuell Geld via Crowdfunding. Selbst, wenn die Segel gesetzt werden, am Ende wohl allenfalls eine medienwirksame Aktion. Wird es Ihnen schlussendlich so ergehen, wie Jan Böhmermann, der immer noch eine Schippe Verrücktheit auflegen muss, um den Level zu halten? Allerdings: Offensichtlich springt Ihnen jetzt auch noch Bill Gates zur Seite, der eine deutliche Warnung an Europa gesandt hat, die Willkommenskultur einzustellen, sonst mache sich Afrika und der böse schwarze Mann endgültig auf den Weg. Warum haben Sie Angst vor dem schwarzen Mann?
MS: Der „Kutter“ ist eigentlich ein ehemaliges Marineschiff, namens C-Star: 40 Meter lang, kann 30 Tage auf See bleiben und hat sogar einen Kran für ein kleines Beiboot. Die Linken, die schon darüber witzelten, dass wir mit einem Schlauchboot herumschippern werden, ist das Lachen vergangen, als wir die Bilder präsentiert haben. Die NGOs wollen uns weismachen, dass Retten und Schleppen untrennbar miteinander verbunden wäre. Das Gegenteil ist der Fall! Würden alle Schiffe die Geretteten zurück an die nahe Küste bringen, würden sie viel weniger Zeit beim Schleppen nach Europa verschwenden und viel weniger würden ertrinken! Wir werden das Treiben der NGOs dokumentieren und mit der libyschen Küstenwache kooperieren. Vor allem werden wir aber die Schlepperschiffe versenken, nachdem die Migranten sie verlassen haben. Die holen die Kriminellen sonst in der Nacht wieder an die Küste, um sie erneut mit diesen armen Teufeln zu überladen.
Und ja – so sehe ich die Einwanderer primär. Sie sind Opfer einer falsch entwickelten Globalisierung, deren Zugluft sie über den Planeten jagt. Ihr Exodus hilft ihren Herkunftsländern nicht. Für Europa ist diese Masse an niedrig qualifizierten und hoch gewaltbereiten fremden jungen Männern demographisches Dynamit. Die „Kassandras“, von Sarrazin, über Heinsohn bis zu Murray wissen es schon lange: Die soziokulturelle Bombe, die unsere Politiker gerade basteln, wird irgendwann hochgehen. Das ist eine berechtigte Sorge. Irrationale Angst haben eher die Multikultis vorm „braunen Mann“, den sie hinter jedem Einwanderungskritiker vermuten.
AW: Wünschen Sie sich manchmal, Ihre braune Vergangenheit wäre Ihnen nie passiert, damit man Sie Ihnen nicht immer wieder aufs Butterbrot schmiert?
MS: Naja „passiert“ ist schon etwas zu höflich ausgedrückt. Ich will das nicht verniedlichen, das bin ich auch meinem Gewissen schuldig. Ich war damals überzeugt und idealistisch – aber von einer falschen Sache. Manchmal nervt es schon, darauf reduziert zu werden. Und ehrlich gesagt: Ich hatte lange gezögert, ob ich für die IB mein Gesicht hinhalten soll. Erstens war ich damals in der linken Szene recht unbekannt und hätte mich zurück in ein bürgerliches Leben schleichen können, andererseits ist diese Biographie für eine neurechte Bewegung kein besonderes Gütesiegel. Auf dem zweiten Blick finde ich aber meine jetzige Haltung dadurch sogar authentischer und echter. Der „patriotische Streetworker“, den ich manchmal raushängen lasse, ist keine reine Pose. Diese linke Meinungsdiktatur züchtet sich ihre rechten Extremisten selbst und benutzt sie als Schreckgespenster für alle Konservativen. Weil ich das alles hinter mir habe, weiß ich, wie es funktioniert und kann jungen Patrioten eine echte und authentische Alternative zu „Nazi vs. Multikulti“ bieten.
AW: Ja, aber Hass ist bei Ihnen schon noch eine Hausnummer, wenn Sie vor wenigen Stunden twitterten: „Ich hasse diese ganze miese Heuchelei um das „Flucht“-Thema. Warum sagen die Linken nicht einfach, dass sie jeden einreisen lassen wollen?“ Nun twittere ich Ihnen mal was: Ich wundere mich über diese ganze Heuchelei rund um diese verschwurbelte ethnokulturelle, soziokulturelle – was immer – deutsch-österreichische Identitätssuche. Warum sagen Sie nicht einfach, dass es Ihnen ums Völkische geht? Um Familie, um Ahnenreihen, um irgendein gemeinsames Tun über den Tod hinaus und miteinander verwandt. Miteinander verwandte Deutsche. Warum fällt Ihnen das so schwer? Ihnen ginge es nur um die Kultur? Um das, was Dorn und Wagner in die „deutsche Seele“ so putzig romantisierend aufgeschrieben haben? Wen aber interessiert heute noch „Abendbrot“ und „Pfarrhaus“? Wie wäre es so: 50 Tsd. Heidegger zitierende Ex-Libyer mit österreichischem Pass angesiedelt im wunderschönen Wien, Sonntag bei Wiener Mélange auf der Ringstraße oder wo immer man hingeht? Schöner Gedanke für sie? Oder dann doch eher die Biergartenszene aus Cabaret, „Der morgige Tag ist mein!“?
MS: Ein absurder Gedanke. Der Traum, man könne Menschen wie amorphe Füllmasse literweise in eine neue Kulturform gießen, bleibt ein Traum – und nicht einmal ein schöner. Einzelne können sich assimilieren aber niemals ganze Völker. Ich finde die ethnokulturelle Identität übrigens gar nicht „verschwurbelt“. Sie ist die formale Anzeige für das, was es nur in konkreten Gestalten gibt: ein baskisches Sprichwort, ein ukrainisches Bauerngesicht, eine Figur wie Cesare Borgia, oder eben eine Wiener Melange.
Und Herkunft ist und war immer ein selbstverständlicher Teil dieser europäischen Identitäten. Worum es uns geht, ist schlicht das „generationenübergreifende Wir“, das mich mit den Verteidigern Wiens, uns beide mit Otto und die Europäer mit Karl dem Großen verbindet. Dieses „Wir“ verträgt auch neue ethnische und kulturelle Einflüsse, wenn es stark ist. Es verträgt aber keinen Bevölkerungsaustausch und dagegen kämpfen wir. Ist das „völkisch“? Wenn dann ist es genauso „kulturalistisch“. Es ist für uns einfach „normal“, also identitär. Das bewegt sich genau zwischen besagten Scheinalternativen: knallbunten Hippiefantasien versus Lebensbornidyll vom Broadway. Beides ist eigentlich modern nicht europäisch. Ein mir bekannter, heideggerkundiger Iraner ist übrigens auch gegen die Masseneinwanderung.
AW: Ah, Ihr Alibi-Iraner mit Heidegger unterm Arm? Na, da kann ich ja fast froh sein, dass Sie mir nicht gleich mit Akif Pirincci gekommen sind. Und also ja, ist es. Also doch Verwandtschaft als wichtigstes Identitätsmerkmal. Denn das baskische Sprichwort kann man lernen wie den Heidegger, aber das Bauerngesicht das Ihnen offensichtlich aus irgendeinem Landserheftchen rübergeweht ist, ist vererbt.
Eine kurze Zwischenfrage: Sprechen Sie eigentlich final mit Götz Kubitschek ab, was ich bei TE von unserem Gespräch abbilden darf? Oder dürfen sie ganz eigenständig? Wie ist das mit Ihnen und Kubitschek und Höcke und der AfD und Pegida? Apropos: Gibt’s in Österreich nicht genug zu tun?
MS: Das „Wichtigste“ war jetzt Ihr Schluss, was wiederum aufschlussreich ist, da ich es ja nur als Teil bezeichnet habe. Ebenso selbstverständlich gab es im Lauf der Geschichte auch Assimilation und Integration von Fremden, aber die fügten sich eben in das Bestehende ein, gerade weil sie es liebten und erhalten wollten. Ich hätte auch ein georgisches Hirtengesicht oder das eines sizilianischen Fischers wählen können. Der Reflex bei jeder Thematisierung von Herkunft und Tradition „den Hitler“ zu machen, macht sich weder auf der Bühne des deutschen Kabaretts, noch im Feuilleton wirklich gut. Tradition ist nun einmal weder biologistisch noch kulturalistisch zu verengen. Diese „Herkunftsneurose“ der Deutschen, für die sie die ganze Welt belächelt, ist meiner Ansicht nach die unverdaute Herkunftshypertrophie des NS. Die Angst davor, dass das wieder „hochkommt“, führt zu absurdesten Verleugnungen der Realität. Die ökonomische bedingte Massenmigration und der Bevölkerungsaustausch sind vollkommen andere Voraussetzungen als die 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Anders gesagt: Würden tatsächlich nur die Leute einwandern, die eine Liebe zu Heidegger oder zum französischen Chanson entdeckt haben, würde sich das ethnokulturelle Gesicht Europas nicht ändern.
Nein eigentlich spreche ich da nichts ab. Ich hätte es eventuell ganz vergessen, aber da Sie es erwähnen, werde ich Götz noch kurz berichten, dass wir ein Gespräch geführt haben. Das ist alles eher locker und lose im Verfahren, aber schon vereint in den Ideen. Und ja in Österreich gibt es viel zu tun, gottseidank helfen ja schon Kurz und Kern mit.
AW: Gut, die Reflexe, die Sie mir hier zuschreiben, zeigen Sie jetzt überdeutlich. Und die Vorlage kam von Ihnen. Haben wir ein Patt? Möglicherweise aber ist ihr Auftreten dafür auch besonders prädestiniert. Aber was anderes: Herr Sellner, nun wissen wir beide, dass, was Sie uns da mit Ihrer Identitären Bewegung anbieten, Moderne am Ende nur verlangsamen kann, niemals umkehren. Und wir wissen noch viel besser, dass in etwas mehr als hundert Jahren unweigerlich alle heute auf der Erde lebenden sieben Milliarden Identitäten tot sein werden, uns beide eingeschlossen. Was wird dann sein? Was träumen Sie sich, das wäre, was fürchten Sie, wird sein? Und warum beschäftigen Sie sich überhaupt damit?
MS: Vielleicht bin ich hier selbst schuld. Ich hätte lieber von sizilianischen Fischergesichtern sprechen sollen, das wäre vielleicht annehmbarer, aber mir fielen eben gerade die Ukrainer ein, keine Ahnung warum. Am Ende aller Tage, das stimmt, ereilt sie dasselbe Schicksal.
Man muss nicht einmal 7 Milliarden Jahre vorspulen. Völker und Kulturen gehen und vergehen. Aber das ist kein Einwand dagegen, das Eigene zu erhalten, wie die Sterblichkeit des Menschen nicht zur individuellen Todessehnsucht führen muss. An sich bin ich aber gar nicht so pessimistisch. Vielleicht weil ich nicht unbedingt „zurück“ will. Die Moderne muss womöglich gar nicht abgebremst, sondern nur über sich hinausgetrieben werden. Es schlummert ein zerstreutes „revolutionäres Potential“ in diesem digitalen Biedermeier, diesem Volk und dieser Zeit und das wollen wir ausschöpfen, bevor die Demographie unsere Demokratie vertilgt.
AW: In einigen Punkten sind Sie ja sogar denkungsgleich mit verschiedenen konservativen kritischen Stimmen. Der Kampf gegen Rechts und was viele dafür halten wollen, nimmt in den Augen seiner Kritiker tatsächlich in Deutschland obszöne Züge an. Aber ich glaube nun nach diesem Gespräch, was Sie und die Ihren fundamental unterscheidet: Sie sind im Kern noch viel pessimistischer, als alle anderen zusammengenommen. Sie kämpfen für die Erhaltung einer Idee von Identität, die sie allerdings im Herzen schon still und heimlich beerdigt haben. So fühlen tatsächlich sonst nur Märtyrer. Wie soll man nun mit Ihnen und Ihrem identitären Beerdigungsinstitut umgehen? Was wünschen Sie sich zum Abschluss dieses interessanten Gesprächs von den Menschen in ihrem Land und in Deutschland, wenn Sie nicht nur für ein paar Zeilen Geschichtsliteratur kämpfen wollen.
MS: Am Ende also doch die obligatorische „fundamentale“ Grenzziehung. Meine „Idee von Identität“ erfreut sich global betrachtet bester Gesundheit. Nirgends auf der Welt verschwindet das Politische, die Religion, oder die ethnokulturellen Gemeinschaften – außer in Europa, wo sie von anderen ersetzt werden. Die Völker und Kulturen Afrikas und des nahen Ostens denken nicht daran uns in ein postnationales, multikulturelles Zeitalter zu „folgen“. Dieses existiert nämlich nur in Utopien unsere kosmopolitischen Systemelite, den wahren „Totengräbern“ unserer Identität.
Es sind diejenigen, die identitäre Kritik an Masseneinwanderung und Islamisierung mit gelassener Geste als „zu pessimistisch“ wegwischen und heitere Zuversicht versprühen, jedoch bei jeder Erwähnung von Herkunft, Volk oder Kultur in eine schrillen Alarmismus verfallen. Die beginnende Kolonialisierung Europas durch den Islam lässt sie kalt. Ein identitäres Banner auf einer Autobahnbrücke führt dagegen zur totalen Mobilmachung gegen Rechts.
Ich wünsche mir von der linken Meinungselite mehr Selbstvertrauen, Mut und „Offenheit“ für politische Veränderungen wie z.B. die IB sie darstellt, und weniger Naivität gegenüber kulturellen und demographischen Transformationen. Ich wünsche mir, dass die Vertreter der religiösen, ethnischen, geschlechtlichen und kulturellen Vielfalt, endlich auch die Meinungsvielfalt als Wert entdecken.
AW: Danke Ihnen für dieses Gespräch.