Deutschland spricht vom Entlastungspaket. Von gestern Abend an hatten die Koalitionsparteien um einen Kompromiss gerungen. Dass die Idee des „Tankrabatts“ in dieser Form nicht kommen würde, zeichnete sich schon vorher ab. Dessen Erfinder, Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner, hatte sich in den letzten Tagen ungewöhnlich still gezeigt. Damit kündigte sich an, dass das Projekt nur mit einer blassgelben Unterschrift durch die Verhandlung kam. Die Ampel zeigt mal wieder, dass die Gelbphase die kürzeste Schaltung hat.
Bereits die öffentliche Debatte, geprägt vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk, hatte das passende Klima geschürt. Nach dem Motto, warum Autofahrer mit mittlerem Einkommen überhaupt eine Entlastung brauchen – die fahren schließlich zum Spaß und zerstören Umwelt und Klima –, verfiel der Tankstellenfrust zu einem Luxusproblem.
Entlastungspaket als Deckmantel für „Energiediversifikation“ und „Energieeffizienz“
Die Koalition habe sich auf „umfangreiche und entschlossene Maßnahmen zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger und zur Stärkung der energiepolitischen Unabhängigkeit“ geeinigt, hieß es im Vorfeld der Pressekonferenz. Eigentlich sollte SPD-Vizefraktionschef Matthias Miersch über die Ergebnisse berichten. Vor die Kameras trat dann aber überraschenderweise Lindner selbst, zusammen mit dem Co-Vorsitzenden der SPD, Lars Klingbeil, und Grünen-Chefin Ricarda Lang.
Lindner führte als Grund für die Maßnahmen den Ukraine-Krieg an. Obwohl die Inflation bereits seit September galoppiert, und die Energiekrise sich in China und Indien schon in derselben Zeit andeutete, darf Putins Expansionspolitik nun als Ausrede längerfristiger Fehlentscheidungen dienen. Lindner stimmte ein Loblied auf die Bundesregierung an, die in den vergangenen vier Wochen ein erstes Entlastungspaket geschnürt und 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr zur Verfügung stellen werde. Man müsse das Land vor den „negativen Auswirkungen des Krieges“ schützen.
Der FDP-Chef sprach von „Maßnahmen der Energiediversifikation, der Energieeffizienz und der Entlastungen der Bürgerinnen und Bürger“. Man setze auf den ÖPNV, den technischen Fortschritt und steuerliche Maßnahmen. Von der FDP sei ein „Steuerzuschlag für alle Steuerpflichtigen“ durchgesetzt worden. Dabei handele es sich um eine „Energiepauschale“ von 300 Euro für alle. Zudem wolle man Pendler, Familien und Geschäftsbetreiber „nicht im Stich lassen“ bei den Spritpreisen. Man werde den Spritpreis um 30 Cent pro Liter bei Benzin und um 14 Cent pro Liter bei Diesel reduzieren. „Wir gehen damit auf das Minimum der europäischen Energiebesteuerung zurück“, die Maßnahme gelte für 3 Monate.
Putin als Sündenbock jahrelanger deutscher Traumtänzerei
„Es geht bei diesem Paket um soziale Entlastung, es geht aber auch um Souveränität, um Selbstbestimmung in Europa und um Freiheit“, fügte Lang hinzu. Das ist erstaunlich. Denn ganz abgesehen davon, dass die wirtschaftlichen Weichen schon lange vor dem russischen Angriff gestellt waren, gab es Themenfelder, die Lang umschiffte: beispielsweise den Dünger-Import und die möglichen Engpässe bei Agrarprodukten. Vermutlich, weil auch die landwirtschaftliche Frage unangenehme Antworten für die Grünen bereitgehalten hätten. Dass überdies der Wert der „Freiheit“ in den letzten zwei Jahren eine Nebenrolle bei den Grünen gespielt hatte, mag es bei Landesregierungen oder bei Maßnahmenforderungen im Bundestag gewesen sein, stellt weiterhin kein Paradoxon für die Parteispitze dar.
Lang betonte, man gehe „in die Breite“, das zeige insbesondere das Thema Mobilität, indem man „massiv“ in den ÖPNV investieren werde. Bus- und Bahnfahrten sollten so günstig wie nie werden. Für drei Monate solle es Monatstickets für nur 9 Euro geben. „Damit schaffen wir eine soziale Teilhabe an der Mobilität“, so nennt es Lang. Da freut sich der Eifelbauer, er könnte ja statt mit teurem Diesel einfach mit der Straßenbahn über den Acker fahren. Und Tante Gertrud in Koblenz zu besuchen – dauert ja auch nur drei Stunden. Wie gesagt: Würde man in Freiburg oder Münster leben, dann könnte man auch etwas von dieser „sozialen Teilhabe an der Mobilität“ haben.
Nach Energie- und Verkehrswende wollen die Grünen jetzt die Wärmewende
Danach trällerte man wieder das Lied von der „Freiheitsenergie“. Um vom Kriegsverbrecher Wladimir Putin loszukommen, braucht es „erneuerbare Energien“. Dass der Gasimport Deutschlands mit der Abschaffung der Atomkraft, dem Ausstieg aus der Kohle und der „Energiewende“ auf mysteriöse Art und Weise korreliert, muss hier nicht ausgeführt werden. Für welche Ausreden Putin mittlerweile alles herhalten darf, ist abenteuerlich; vielleicht wird er auch noch beim Corona-Ausstieg als Sündenbock in Stellung gebracht.
Lars Klingbeil stimmte in denselben „Zeitenwende“-Sound ein. Der SPD-Politiker verwies noch einmal auf das erste Entlastungspaket von 13 Milliarden Euro: Erhöhung des Mindestlohns und der Pendlerpauschale, frühzeitige Abschaffung der EEG-Umlage. „Kernstück“ für die Sozialdemokraten sei die Energiepauschale von 300 Euro für jeden Erwerbstätigen. Zusätzlich erhalte eine Familie für jedes Kind 100 Euro. Auch Transferleistungsempfänger erhielten noch einmal 100 Euro, ähnlich wie im ersten Entlastungspaket.
FDP-Politik 2022: 26 Milliarden für den Bürger, 200 Milliarden für den Klimaschutz
Auf Nachfrage antwortete Lindner, dass die Größe des zweiten Entlastungspakets „in etwa“ der Größenordnung des ersten Pakets entspreche. Klar sei das aber noch nicht, auch, weil aufgrund des bisher nicht quantifizierbaren Spritverbrauchs der Steuerrabatt nicht genau berechnet werden könnte. Beraten müsse man auch noch über Wirtschaftshilfen für Betriebe, die in Schwierigkeiten seien. 200 Milliarden für den Klimaschutz, 100 Millionen für die Bundeswehr, rund 26 Milliarden Euro Entlastungen für den Bürger – das ist FDP-Politik im Jahr 2022.
Heftig wehrte sich Lang beim Thema „Energiepartnerschaft“ Katar. Sie argumentierte: Wenn ein Land einen Angriffskrieg führt, dann muss es „oberste Priorität“ sein, sich von diesem Land unabhängig zu machen. Alles vergeben und vergessen, wofür man früher das romantische kleine Land an der Piratenküste verantwortlich machte. Um das Gedächtnis aufzufrischen: In der Katar-Krise von 2017 bis 2021 hatte ein nicht unbedeutender Teil der Nachbarländer jeden diplomatischen Kontakt mit der Halbinsel eingestellt, weil diese Terrorismus unterstützte. Darunter zählte auch der IS.
Die Ampel entlastet nicht sozial gerecht, sondern nach Lebensstil
Auch die Energiepauschale in Verbindung mit der Kinderpauschale ist weniger familienfreundlich, als man denkt. Familien, in denen ein Elternteil Vollzeit arbeitet und ein anderes die Kinder betreut, sind schlechter gestellt als eine Familie, in der beide Partner arbeiten. Doppelverdiener mit einem Kind bekommen damit mehr Pauschalen als eine Familie mit Alleinverdiener und drei Kindern. Dieselbe soziale Ungerechtigkeit widerfährt allen, die in strukturschwachen Regionen leben, auf das Auto angewiesen sind und damit weniger Entlastungen erhalten als Städter. Es wird deutlich, welcher Lebensentwurf von der Ampel goutiert wird, welcher nicht.
Zuletzt: Wie viel von diesen ganzen Sonderbeilagen auch tatsächlich beim Steuerzahler ankommt, ist nicht ausgemacht. Denn die 300 Euro sollen mit der Lohnabrechnung vom Arbeitgeber ausgezahlt werden, unterliegen also der Einkommensteuer. Vom Kuchen bleiben also nur Brösel übrig. Und dass die 100 Euro Taschengeld pro Kind auf den Kinderfreibetrag angerechnet werden, versteht sich von selbst.
Offensichtlich ist auch die etatistische Gesinnung des Projekts. Es hätte sehr einfache Möglichkeiten gegeben: beispielsweise die Streichung oder wenigstens Aussetzung der CO2-Steuer, die sich in dieser Form nur wenige EU-Länder antun. Eine „Entlastung“ ist der Plan nämlich per definitionem nur im Bereich der Senkung der Energiesteuer. Alle anderen Maßnahmen sind Bons, Gutscheine und andere von Staates Gnaden erlassene Sondergenehmigungen. Dem Bürger wird erst das Geld aus der Tasche gezogen und dann „gerecht“ aufgeteilt. Ganz nach Façon der Regierung. Und der Almosenempfänger dankt auch noch freundlich für die paar Peseten, die er zurückerstattet bekommt. Dahinter steckt ein gefährliches Anspruchsdenken der Eliten.
Krankenkassenbeiträge müssen steigen, es fehlen 17 Milliarden Euro
Von der einen Hosentasche in die andere umzuverteilen, bleibt das Signet des sozialdemokratischen Staates. Dazu passt, dass just heute Morgen Gesundheitsminister Karl Lauterbach in der Neuen Osnabrücker Zeitung angekündigt hat, dass die Krankenkassenbeiträge bald steigen dürften. 17 Milliarden Euro fehlten für das Jahr 2023. „Wir müssen an vier Stellschrauben drehen: Effizienzreserven im Gesundheitssystem heben, Reserven bei den Krankenkassen nutzen, zusätzliche Bundeszuschüsse gewähren, und die Beiträge anheben“, erklärte der SPD-Politiker.
Während sich Lauterbach sonst mit Spekulationen und Prognosen zurückhält, fügte er jedoch hinzu: „Es wäre unprofessionell, würde ich Ihnen hier aus den laufenden Gesprächen berichten.“ Er werde aber „rechtzeitig einen wohl überlegten Gesetzentwurf vorlegen“.
Passend zum „Entlastungspaket“ steht also ein ungenanntes „Belastungspaket“ schon in der Hintertüre. Während die Entlastungen nur befristet sind, werden die Milliardenausgaben für Klima, Energiewende und Krankenkassen bleiben. Das weiß auch der Fiskus. Es ist einfach, mit fremden Brotstücken die Armen zu speisen. Besonders, wenn der Empfänger der milden Gabe das Brot gebacken hat.