Stellen Sie sich vor, Sie lebten im Mittelalter und jemand würde zu sagen wagen: »Krankheiten werden von unsichtbar kleinen Tierchen ausgelöst, nicht von Dämonen! Weiter: Nicht Gott und nicht die Priester sollten bestimmen, wer über uns herrscht, sondern wir selbst sollten einen aus unserer Mitte zum Herrscher wählen, und der müsste sich an dieselben Gesetze halten wie alle anderen, und dann, nach ein paar Jahren, sollte er sich ganz von selbst absetzen, und wir würden jemand anderen zu unserem Häuptling-auf-Zeit wählen. Außerdem: Alle Dinge bestünden aus kleinsten, unteilbaren Teilchen, und diese enthalten, wenn man sie teilt, wieder kleinere Teilchen, die sind kleiner als die kleinsten Teilchen, und wenn die sich bewegen, können wir damit Licht und Maschinen betreiben!«
Wenn wir noch im Mittelalter lebten – oder heute in einem jener Länder, die noch in der Zeit von Aberglauben und Unwissen feststecken – dann könnten allzu moderne Aussagen nicht nur ausgelacht und verworfen werden, sondern geradezu eine Gefahr für Leib und Leben des derart Denkenden darstellen.
Wir schauen heute auf die Vergangenheit zurück, und wir lächeln, und wir wundern uns über die – um es höflich zu sagen – Unbedarftheit der Menschen von damals. Wenn wir Kinder haben und die wieder Kinder und die wieder, dann werden unsere Urenkel einst auf uns zurückblicken, und sie werden sich über unsere heutige Beschränktheit wundern.
Den »Wohnungsmarkt entspannen«
Stellen wir uns vor, jemand hätte die letzten zehn bis zwanzig Jahre deutscher Debatte verpasst, und er würde die heutige deutsche Nachrichtenlage neu erleben – was würde er denken?
In Berlin diskutiert die Politik, schon wieder, die Enteignung von Bürgern zugunsten des Gemeinwohls. Demonstranten protestieren gegen »Miethaie« (siehe u.a. welt.de, 7.4.2019 [1], [2]) und fordern eine »Bodenreform, Schaffung eines Gesetzes zur unentgeltlichen Enteignung von Boden für gemeinnützige Zwecke. Abschaffung des Bodenzinses und Verhinderung jeder Bodenspekulation« – ach nee, Moment, das war Punkt 17 im 25-Punkte-Programm, dem Parteiprogramm der NSDAP, verkündet durch Adolf Hitler am 24. Februar 1920 im Münchener Hofbräukeller (Quelle: dokumentarchiv.de) – überhaupt liest sich einiges davon wie der aktuelle linksgrüne Feuchttraum, sei es die »Gewinnbeteiligung an Großbetrieben« (Punkt 12), die »Kommunalisierung der Groß-Warenhäuser« (Punkt 16) oder der Kampf gegen das angeblich der »materialistischen Weltordnung« dienende römische Recht (Punkt 19, die Tradition des römischen Rechts betont Eigentum und Besitz, ist also folglich Grün- wie Nationalsozialisten eher lästig).
Fast genau hundert Jahre später fragt der deutsche Staatsfunk:
Wie sollen die Enteignungen praktisch umgesetzt werden? (…) Können Enteignungen den Wohnungsmarkt entspannen? (tagesschau.de, 5.4.2019)
Der vom Staatsfunk seit Monaten aggressiv nach vorne gestellte Grüne Habeck sinniert derweil ganz offen über Enteignung, wenn die anderen politischen Mittel versagen (bild.de, 7.4.2019) – die Rede ist wohlgemerkt vom rot-rot-grünen Berlin, wo so einiges versagt. (Vorschlag: Die rot-rot-grünen Enteignungen sollten beginnen, sobald der Flughafen BER fertiggestellt und flugbereit ist – also in nochmal hundert Jahren.)
Noch sind Parteien wie CDU und CSU offiziell dagegen, doch wir haben oft genug erlebt, dass der irrwitzige Vorschlag von heute die Merkelräson von morgen ist – Merkel ist noch immer Kanzlerin, und wenn sich laut Umfragen eine Mehrheit dafür fände, ganz Deutschland lila zu streichen und Clownsmützen zu verteilen, würde Merkel es anordnen und der Staatsfunk würde es als moralisch zwingend verkaufen, warum also nicht wieder Enteignungen?
»Diese Welt gehört uns«
Du bekommst die Deutschen aus der Diktatur, mit Einsatz von Waffen und amerikanischem Menschenleben, doch das Totalitäre, die aggressiv gebückte Haltung und den manischen Glauben an die Überlegenheit der eigenen Ideologie, die bekommst du nicht so einfach aus den Köpfen der Sozialisten deutscher Nation heraus.
Meine Maßnahmen werden nicht angekränkelt sein durch irgendwelche juristischen Bedenken.« (Hermann Göring, 3.3.1933, zitiert nach bpb.de, 24.5.2012)
»Wenn wir mutig sind und auch mal die Regeln brechen, dann können wir zeigen: Diese Welt gehört uns und nicht denen die Sitzen- und stehen bleiben!«
Katrin @GoeringEckardt heizt uns auf dem #gjbuko ordentlich ein, denn: #JugendändertEuropa (Grüne Jugend, Twitter, 05.04.2019)
Man stelle sich den Aufschrei der Haltungsjournalisten und Postdemokraten vor, wenn es die AfD gewesen wäre, die vom »Regeln brechen« geschwärmt hätte, und davon, dass ihnen »diese Welt gehört«. Der Verfassungsschutz wäre über Nacht vom Prüfen zum Beobachten übergegangen (samt Pressekonferenz bei Markus Lanz), die Antifa hätte ihre Truppenstärke verdoppelt und in Berlin hätte man sich noch am Abend auf ein Parteienverbot geeinigt, gültig mindestens bis zum Ende des Wahljahres. – Das Lied mit der bekannten Formulierung »Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt« heißt übrigens »Es zittern die morschen Knochen« und wurde 1932 von Gerd Baumann während einer Wallfahrt geschrieben (so seine Gattin); das Propagandalied ist in Deutschland nach StGB §§ 86 f. verboten.
Vergleiche ich nun den mörderischen Terror der Nationalsozialisten mit dem gottlosen Gottesstaat der Grünsozialisten? Immerhin woll(t)en ja beide »Europa ändern«, gegen die von ihnen verachteten Regeln, weil ihnen aufgrund moralischer Überlegenheit ja die »Welt gehört«! – Nein. (Man könnte gegen mein »Nein« einwenden, dass die Gewalt der Antifa, die ja den Grünen nahesteht, durchaus an eine »Rote SA« erinnert.) – Was ich durchaus vergleiche und für ähnlich befinde, ist der Ungeist, der beide antreibt, diese Lust an Unterordnung und Unterwerfung, der Angstkult, die Begründung des eigenen Machtanspruchs durch eine ausgedachte oder weit übertriebene Gefahr, der Zorn und Hass auf Andersdenkende – in diesem unguten Geist sind Grün- und Nationalsozialisten durchaus Brüder und Schwestern.
Während nun Grüne »nur« totalitär und anti-freiheitlich denken, werden einzelne Haltungsjournalisten bereits deutlicher. Als Beispiel: Ein bekannter Staatsfunkler fragte gestern öffentlich, ob eine autoritär geführte Öko-Diktatur nicht der Demokratie moralisch überlegen sei; siehe archivierte Version. Der geistige Schritt von Propaganda-Zwangsgebühr zur moralisch begründeten Diktatur scheint nicht weit zu sein.
Aus dem Mittelalter heraus
Das Gros der Deutschen gleicht jenem Metaphernfrosch, dem das Wasser unterm Hintern langsam aufgeheizt wurde. Sicher, einige von uns haben so reagiert, wie Frösche in echt reagieren würden, wir sind aus der Ideologie hinausgesprungen, doch viel zu viele Deutsche haben das totalitär angehauchte Gedankengut von Grünen und Haltungsjournalisten als neue Normalität akzeptiert.
Der linksgrüne Irrsinn – wie der Irrsinn im letzten Jahrhundert auch – ist nur möglich durch eine unausgesprochene Prämisse, die den Menschen dereinst so mittelalterlich vorkommen wird, wie uns heute der Dämonenglaube vorkommt: Der linksgrüne Irrsinn (und mit ihm das Gutmenschentum) setzen voraus, dass zur Bewertung einer Handlung als ethisch gut es genügt, wenn diese sich im Bauch gut anfühlt – es sind radikalisierte Gesinnungsethiker. – Offene Grenzen? Wälder mit Vogelhäckslern zustellen? Bürger enteignen? Es fühlt sich gut an, das zu fordern, also ist es gut, so deren ethische Logik.
Das Mittelalter ging vorüber, diese Zeit wird vorübergehen – heute wie damals bleibt die Frage, wie sich der nüchterne Denker vorm Aberglauben der Berauschten und den Folgen schützen kann.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.
Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.