„Unsolidarisch“ ist ein neues Modewort in der Politik. Besonders gerne wird es verwendet, wenn einem Bürger etwas zugemutet wird – meist von dem Politiker, der selbst für die Zumutung verantwortlich ist. Zum Beispiel Klaus Müller (Grüne). Er ist Volkswirt, war Bundestagsabgeordneter und wurde mit dem Wahlsieg Präsident der Bundesnetzagentur. Damit ist er verantwortlich dafür, dass es in Deutschland genug Energie gibt. Wäre er. Eigentlich.
Nun sagen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und seine Parteivorsitzende Ricarda Lang in Interviews, Deutschland habe gar kein Stromproblem. Und außerdem gibt es einen Volkswirt – mit bei der Verbraucherzentrale gesammelter Berufserfahrung –, dessen Aufgabe es ist, dafür zu sorgen, dass das stimmt. Nur scheint Müller beidem nicht zu trauen: „Eine Gasmangellage hätte dramatische Folgen für Arbeitsplätze, Betriebe und Produktion“, warnt er in der Neuen Osnabrücker Zeitung: Die Dramatik sei halt noch nicht bei allen angekommen. Strom und Gas hängen indes zusammen. 4000 Gigawattstunden Strom produzierte Deutschland aus Erdgas. Allein in diesem Mai. Drei Monate nach Beginn des Krieges in der Ukraine.
Nun ist ab diesem Donnerstag das Energiesparen ohnehin Gesetz. Privatleuten ist es verboten, ihre Pools zu heizen, öffentliche Gebäude werden nicht mehr angeleuchtet, Händler müssen ihre Leuchtreklame abschalten und dürfen ihre Tür nicht zu lange geöffnet halten. Habeck verspricht sich davon eine Einsparung von etwas mehr als 2 Prozent des Gasverbrauchs. Außerdem sind er und seine Parteifreunde in Politik und Medien fleißig dabei, Vorschläge zu machen, wie die Bürger weiter Strom einsparen können. So ließ Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Welt dran teilhaben, dass er seiner Körperhygiene im Wesentlichen mit dem Waschlappen nachgeht.
„Das sind Bilder, die will man sich gar nicht vorstellen. Das sind Infos, auf die man gerne verzichtet hätte“, sagt Antje Hermenau. Vorschläge dieser Art seien nicht nur übergriffig. Sie seien auch ein Zeichen der Hilflosigkeit. Hermenau war für die Grünen unter anderem Fraktionsvorsitzende im sächsischen Landtag und trat 2014 aus der Partei aus, weil sich diese aus ihrer Sicht zu weit links positioniert hatte. Ein Schritt, in dem sich die Autorin nun bestätigt sieht: „Die Naivität ist ja viel schlimmer, als ich es bei meinem Austritt schon befürchtet habe.“
Vor allem Deutschland stehe mit leeren Händen dar. Wie sehr, das habe der Besuch von Habeck und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Kanada gezeigt. Erdgas haben sie nicht bekommen, dafür das Versprechen auf Wasserstoff: „Das ist nichts“, sagt Hermenau: „Ein Versprechen auf Wasserstoff im Jahr 2030 – aus Windrädern, die erst noch gebaut werden müssen. Das ist gar nichts.“ Bis dahin seien sieben oder acht Winter zu überbrücken, in denen der Gesetzgeber den Bürgern zumute, ihre Existenz zu vernichten. „Die Lage ist ernst“, warnt Hermenau. Nun gelte es, alles hochzufahren, was an Energieträgern irgendwie zur Verfügung stehe, um die Situation zu überbrücken. Das Land könne nicht aus Speichern heraus versorgt werden, im laufenden Betrieb müsse genug Energie da sein.
Scheitert Deutschland an der Energieversorgung, dann ist sich Hermenau sicher, dann scheitern auch die Grünen. „Das wäre sehr schade, weil dann auch viele wirklich gute Ideen den Bach runtergehen würden.“ Zwar stünden die Grünen in den Umfragen noch gut da. Doch das sei vor allem der Schwäche der anderen zu verdanken. Und schon die Wahl in Niedersachsen werde Hinweise darauf geben, wie gut das trägt.