Tichys Einblick
Klimapolitik seit Greta

Das Ende der Massenproduktion im Dienste der CO2-Reduktion

Die Verteuerung C02-erzeugender Konsumpraktiken führt dazu, dass diese wieder zum Luxus der oberen Schichten werden - mit schweren sozialen Verwerfungen und Konflikten als Folge, die das Land bislang noch nicht erlebt hat. Darum sollten die Industrien mehr Zeit zur Umstellung erhalten.

Scott Olson/Getty Images

Im Jahr 1985 machte eine Studie des amerikanischen Ökonomen Michael J. Piore und des Sozialwissenschaftlers Charles Sabel in der Fachwelt Furore. Unter dem deutschen Titel „Das Ende der Massenproduktion“ prognostizierten sie für die entwickelten Industrieländer die Ersetzung der von Henry Ford vor über einhundert Jahren in Gang gesetzten Herstellung standardisierter Massenprodukte durch eine „diversifizierte Qualitätsproduktion“ nach Kundenwunsch. Ermöglicht und vorangetrieben werden sollte diese radikale Wende in der industriellen Produktion durch die schon in den späten 1970er Jahren einsetzende Digitalisierung und Automatisierung der Produktion in Gestalt des damals so genannten „Computer Integrated Manufacturing“, kurz CIM. Mit seiner Hilfe sollte es möglich werden, nicht nur standardisierte Massenprodukte, sondern auch nach Kundenwunsch gefertigte Qualitätsprodukte in ihrer Herstellung kostenmäßig so zu verbilligen, dass sie für breite Bevölkerungsschichten erschwinglich werden.

Der Titel der Studie war insofern etwas irreführend, als es den Autoren nicht um das Ende der Massenproduktion schlechthin ging, sondern um deren Transformation von der Herstellung standardisierter Produkte hin zu nach individuellen Kundenwünschen gefertigten Produkten. Sie können nicht nur von zahlungskräftigen, sondern auch weniger zahlungskräftigen Kunden erworben werden. Der frühere Gegensatz zwischen einer an individuellen Kundenwünschen orientierten, teuren Herstellung von Einzel- oder Kleinserienprodukten und der weit billigeren Herstellung standardisierter Massenprodukte sollte sich auflösen und einer neuen Form industrieller Qualitätsproduktion Platz machen. Damit einher gehen sollte in den entwickelten Industrieländern eine Ergänzung der dort inzwischen zusehends gesättigten Märkte für standardisierte Massenprodukte durch neue Märkte für individualisierte Qualitätsprodukte. Als Vorreiter dieser Entwicklung galten Piore und Sabel unter anderem Deutschland und Nord-Italien. Dort glaubten sie damals besonders günstige Voraussetzungen für die sich herausbildende neue Kombination aus handwerklichen und industriellen Kompetenzen zu erkennen.

Fünfunddreißig Jahre später können wir festhalten, dass der von den beiden Industrieforschern beschriebene Wandel sich in vielen Branchen der entwickelten Industrienationen wie prognostiziert vollzogen hat, zusätzlich forciert durch Organisationsmethoden wie Lean Production und die erneut beschleunigte Digitalisierung mittels künstlicher Intelligenz (KI). Wer zum Beispiel heute ein preiswertes Auto oder eine Einbauküche kauft, stellt sich sein Wunschprodukt gleichsam à la carte zusammen und ist nicht mehr darauf angewiesen, das einzige Standard-Produkt zu nehmen, was der Hersteller ihm anbietet. Und selbst dort, wo die Produkte noch nicht gemäß Kundenwunsch einzeln hergestellt werden können, sind durch verschiedene Ausführungsvarianten die Auswahlmöglichkeiten für die Kunden inzwischen teilweise kaum mehr überschaubar. Der Massenkonsum beschränkt sich daher heute keineswegs mehr nur auf standardisierte Massenprodukte, sondern hat auch den Bereich komplexer Qualitätsprodukte miterfasst. Längst gilt nicht mehr die berühmte Devise Henry Fords, der nach der Entwicklung seines ersten Massen-Automobils (Tin Lizzy) sagte: „Ihr könnt jedes Auto von mir haben, es muss nur schwarz sein.“

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Mittlerweile hat sich das erstmals von dem Erfinder der automobilen Massenproduktion gezielt an die ärmeren Bevölkerungsschichten gerichtete Versprechen des industriellen Kapitalismus, ihnen einen Zugang zu Produkten zu verschaffen, deren Konsum zunächst allein den vermögenden Bevölkerungsschichten vorbehalten war, weit über das Automobil ausgeweitet und über die Jahrzehnte so gut wie fast alle Konsumbereiche erfasst. Zuletzt hinzugekommen sind in den letzten Jahren unter anderem Urlaubsreisen in weit entfernte Länder mit Flugzeugen und Kreuzfahrtschiffen oder auch die Ausstattung mit Laptops und Smartphones. Unser Wirtschaftssystem beruht insofern nicht nur auf der Fähigkeit, komplexe Produkte und Dienstleistungen kostengünstig herzustellen, sondern auch auf dem Versprechen, dass alle Bürger nicht nur zu einfachen, sondern auch zu solchen Produkten und Dienstleistungen Zugang erhalten, die sich aufgrund ihrer Herstellungskosten und Qualität zunächst nur die vermögenderen Bevölkerungsschichten leisten können. Seine Legitimation und Akzeptanz in den unteren und mittleren Gesellschaftsschichten zieht es deswegen in nicht unerheblichem Maße aus einer Art permanenter Demokratisierung des Luxus-Konsums durch Massenproduktion.

Im Widerspruch dazu stehen die inzwischen immer lauter werdenden Forderungen, aus Umwelt- und/oder Klimaschutzgründen freiwillig Konsumverzicht zu üben oder diesen gesetzlich zu erzwingen. Wer zum Beispiel den C02-Ausstoß des massenhaft betriebenen Auto-, Flug- und Schiffverkehrs drastisch reduzieren möchte, muss entweder in der Lage sein, diese Verkehrsmittel zeitnah mit komplett CO2-armen bzw. -neutralen Antrieben auszustatten oder dafür sorgen, dass diese Verkehrsmittel immer weniger genutzt werden. Genutzt werden sie heute jedoch nicht nur von einer gesellschaftlichen Minderheit, sondern von so gut wie allen Bevölkerungsgruppen, allen voran den unteren und mittleren sozialen Schichten. Sie leisten deswegen zum C02-Aufkommen im privaten Verkehr auch einen weit größeren Beitrag als die „oberen Zehntausend“ mit ihren spritfressenden Oberklasse-Fahrzeugen. Deren pro-Kopf -Ausstoß an C02 ist im Zweifel zwar höher als der der „kleinen Leute“. Da deren Anteil an der mobilen Bevölkerung aber wiederum weit höher ist als der Anteil der „oberen Zehntausend“, erzeugen sie mit ihren täglichen Fahrten zur Arbeit, mit ihren Wochenendausflügen und ihren Urlauben mit dem PKW, dem Flugzeug oder dem Schiff in Summe mehr C02 als alle SUV-, S-Klasse-, BMW7er- und AUDI A8-Fahrer zusammen.

Im volks- und betriebswirtschaftlichen Finanzwesen gilt die Devise: Masse macht Kasse. Sie gilt im übertragenen Sinne auch beim Thema C02. Wer hier, wie die Bundesregierung im Einklang mit der EU-Kommission, in möglichst kurzer Zeit drastische Einsparungen realisieren will, muss angesichts der eher schleppenden Umstellung auf alternative Energien die Bürger zwingen, ihre Autos deutlich weniger zu nutzen, sowie auf Flug- und Schiffsreisen zu verzichten. Da ein gesetzliches Verbot der Nutzung dieser Verkehrsmittel den Bürgern schwer zu vermitteln ist, wird seitens der Politik nun versucht, dasselbe Ziel mittels der steuerlichen Verteuerung ihrer Nutzung zu erreichen. Nur wenn es gelingt, die Masse der Bevölkerung auf diese Weise dazu zu bringen, Konsumverzicht im Verkehrsbereich zu praktizieren, wird es dort nennenswerte Effekte bei der C02-Einsparung geben.

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Dies führt im Ergebnis allerdings auch dazu, dass die in den letzten Jahrzehnten vollzogene Demokratisierung des Luxus-Konsums so lange wieder auf ihr gleichsam vorindustrielles Niveau zurückgefahren wird, wie der technisch machbare und bezahlbare Umstieg auf alternative Energien im Verkehrsbereich (und anderswo) weiter auf sich warten lässt. Das Autofahren wird dann tendenziell wieder ebenso ein Privileg für Vermögende wie das Reisen mit Flugzeugen und Schiffen. Eine für diese Bevölkerungsgruppen durchaus attraktive Perspektive, werden die Autobahnen, Straßen und Flughäfen während der Schulferien dann doch endlich wieder leerer, fällt die Parkplatzsuche in den Städten leichter und wird Mallorca wieder zu einer ruhigen Ferieninsel ohne Ballermänner. Dafür sind viele Vermögende sicher gerne bereit, persönlich etwas höhere Kosten für Benzin und andere „Klimakiller“ in Kauf zu nehmen und sich in Davos (und anderswo) zusammen mit Greta Thunberg weiterhin mit oder ohne Learjet an die Spitze der internationalen Klimabewegung zu setzen.

Die schwedische Aktivistin und ihre Jünger legen den derzeitigen Widerspruch zwischen Klimaschutz auf der einen sowie Massenproduktion und Massenkonsum auf der anderen Seite offen und fordern faktisch erneut ein „Ende der Massenproduktion“, da diese bislang (noch) nicht klimaneutral betrieben werden kann. Anders als bei Piore und Sabel geht es dieses Mal aber um deren Ende schlechthin, wenn das C02-Aufkommen unter anderem durch Konsumverzicht breiter Bevölkerungsschichten in möglichst kurzer Zeit drastisch reduziert werden soll, um der mutmaßlich schon begonnenen Klimakatastrophe zu entgehen. Dieser Weg würde, sollte er tatsächlich beschritten werden, unserem Gesellschaftssystem nicht nur die wichtigsten wirtschaftlichen Grundlagen entziehen, sondern auch seine Legitimation und Akzeptanz in all denjenigen sozialen Schichten unterminieren, die bislang darauf vertraut und gesetzt haben, dass auch sie zunehmend Zugang zu Produkten und Dienstleistungen erhalten, die sich zunächst nur Minderheiten leisten konnten. Die Erschwerung dieses Zugangs ficht die jungen Klima-Aktivisten nicht sonderlich an, stammen ihre Eltern mehrheitlich doch eher aus den gehobeneren sozialen Schichten, die nicht befürchten müssen, von derlei Einschränkungen in ihrem Konsum betroffen zu werden.

Sollte die Politik, wie von den selbsternannten und nicht nur medial hofierten Klima-Rettern um Greta Thunberg gefordert, zur Verringerung des anthropogenen C02-Aufkommens den Weg eines forcierten Konsumverbots beschreiten, wird mit wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen und Konflikten zu rechnen sein, die das Land bislang noch nicht erlebt hat. Einen gewissen Vorgeschmack davon erleben wir seit rund zwei Jahren in Frankreich, wo inzwischen nicht nur die „Gilets Jaunes“, sondern auch die Gewerkschaften gegen eine Politik mobilisieren, die den unteren und mittleren Gesellschaftsschichten Verzichte abfordern will, die diese im Vergleich zu den gesellschaftlichen „Eliten“, ob zurecht oder zuunrecht, als höchst ungerecht empfinden.

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Der Aufstieg des im Krieg zerstörten Deutschlands zunächst zum Wirtschaftswunderland und dann zu einer der führenden Wirtschaftsnationen und Demokratien dieser Welt beruht bis heute ebenso maßgeblich auf den Prinzipien der Massenproduktion und des Massenkonsums wie der Wohlstand breiter Bevölkerungsschichten bis hin zum Wohlfahrtsstaat. Diese Prinzipien im Namen der Klimarettung einfach zu schleifen, mag eine Forderung sein, die man klimabewegten Kindern und Jugendlichen vielleicht nachsehen kann; wenn erwachsene Politiker oder gar Unternehmer und Manager sie sich zu eigen machen, müssen hingegen alle Alarmglocken angehen. Ihre Aufgabe besteht unter anderem darin, den wirtschaftlichen Wandel mittels neuer Technologien voranzutreiben, aber nicht darin, den Konsum ärmerer Bevölkerungsschichten per Ordre de Mufti wieder einzuschränken. Das war wohl unter anderem das, was Donald Trump mit seiner uneuropäischen, dafür aber höchst wirksamen Wahlkampfrede in Davos seinen Zuhörern im Saal und vor den Fernsehern in den USA mitteilen wollte.

Am Beispiel des Automobils lässt sich dies gut exemplifizieren. Die Innovationspolitik der Automobilhersteller mittels C02-Vorgaben gesetzlich unter Druck zu setzen, ist zwar ein massiver Eingriff in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit, die in der über einhundertjährigen Geschichte des Automobilbaus ihresgleichen sucht. Angesichts der Treibhausgas-Wirkung des C02 und dessen beschworener Risiken für das Klima kann sie als staatliche Lenkungsmaßnahme aber durchaus als angebracht präsentiert werden. Wenn nun aber die Hersteller technologisch nicht in der Lage sind, in der vorgegebenen Zeit alternative Antriebe zu entwickeln, die ihre Kunden auch kaufen wollen/können, dann kann die wirtschafts- und sozialverträgliche Antwort nicht lauten, den Herstellern die Produktion klimaschädlicher Autos zu verbieten oder ihren Kunden die Nutzung von Verbrennungsmotoren zu verteuern. Das eine würde umgehend die Hersteller ruinieren und die Arbeitsplätze ihrer Mitarbeiter vernichten, das andere breite Bevölkerungsschichten zum Verzicht auf ihre bisherige Nutzung von PKWs zwingen – unter Inkaufnahme der schon geschilderten Nachteile gegenüber den Nutzungsoptionen von reicheren Bevölkerungsgruppen.

Im Kern geht es im derzeitigen Streit um die Klimapolitik um zwei Fragen. Zum einen um die Frage, welche alternativen Technologien am besten dazu geeignet sind, das anthropogene C02-Aufkommen drastisch zu reduzieren, ohne selbst neue, schwer beherrschbare Umwelt- und/oder Klimaprobleme zu generieren. Und zum zweiten um die Frage, wie schnell diese Technologien entwickelt und wirtschaftlich zum Einsatz kommen können. Dort, wo die Unternehmen, wie etwa in der Automolindustrie, noch Zeit brauchen, sollte man sie ihnen auch geben, ohne die Bürger deswegen alarmistisch per Gesetz zum Konsumverzicht zu nötigen. Auf den weltweiten C02-Ausstoß hat die deutsche Klimapolitik ohnehin keine nennenswerte direkte Auswirkung. Ihre Protagonisten argumentieren deswegen auch nicht mit messbaren Effekten bei der C02-Einsparung oder dem Zwei-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens. Sie setzen wohlweislich allein auf die Leistungsfähigkeit und preisliche Attraktivität alternativer Umwelt- und Klima-Technologien, die deutsche Unternehmen in Zukunft nicht nur für deutsche Kunden, sondern für Kunden in der ganzen Welt erzeugen wollen. „Gut Ding will Weile haben“ ist daher ein altbewährter Leitspruch, den sich vielleicht auch unsere jungen, panisch agierenden Klima-Aktivisten einprägen sollten.

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