Die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP Strack-Zimmermann hat im Vorfeld der Beratungen des Koalitionsausschusses zum Bundeshaushalt 2020 Pläne des Finanzministers Scholz für eine deutlich geringere Erhöhung des Verteidigungsetats scharf kritisiert und davor gewarnt, dass Deutschland sich gegenüber den NATO-Partnern unglaubwürdig und auf internationaler Ebene lächerlich mache. Scholz „verkennt die aktuelle weltpolitische Lage und beweist, dass er keine Ahnung von den aktuellen sicherheitspolitischen Anforderungen hat.“ Und sie fügte an, dass die Planungen des Sozialdemokraten, die offenbar von Kanzlerin Merkel mitgetragen werden, angesichts des Zustandes der Bundeswehr und der aktuellen internationalen Herausforderungen unverantwortlich seien. Denn Scholz wollte dem Verteidigungsministerium im kommenden Jahr lediglich 44,7 Milliarden Euro zugestehen. Das entspräche einem Anteil von nur 1,35 Prozent am BIP. Das Verteidigungsministerium hat dagegen einen Bedarf in Höhe von 47,2 Milliarden Euro errechnet, um mit der dringend erforderlichen Steigerung der Einsatzfähigkeit der Streitkräfte beginnen zu können. Strack-Zimmermann findet dazu deutliche, starke aber sehr zutreffende Worte.
Hoffnung kann man da nur in den Deutschen Bundestag setzen, denn der kontrolliert das politische Handeln der Bundesregierung und teilt jährlich (im November 2019) in einem Gesetz über den Haushaltsplan das Geld für Regierungshandeln zu – und die Abgeordneten haben genaue Kenntnisse über den Zustand der Bundeswehr. Allerdings hat das Parlament dieses sogenannte „Königsrecht“ über den Bundeshaushalt in den letzten Jahren nicht gerade unabhängig und sachorientiert wahrgenommen. Auch in Haushaltsfragen wurden Regierungsvorlagen in den letzten Jahren weitgehend „abgenickt“. Skepsis ist also auch hier angebracht, auch weil Abgeordnete der Linken im Zusammenhang mit dem 1,5 %-Ziel von „Rüstungswahnsinn“ und rot/grüne Volksvertreter von Aufrüstung sprechen.
Und so wird Frau Strack-Zimmermann (FDP) wohl recht behalten. Scholz „verkennt die aktuelle weltpolitische Lage und beweist, dass er keine Ahnung von den aktuellen sicherheitspolitischen Anforderungen hat.“ Aber dabei ist er nicht allein, denn dieser Vorwurf ist wohl auch den Regierungsmitgliedern und den Volksvertretern gleichermaßen zu machen, denn die haben die Bundeswehr seit 1990 zum „Sanierungsfall“ kaputtgespart.
Die Marine hat zahlreiche Schiffe nicht einsatzklar, die Einsatzbereitschaft der Luftwaffe lässt sehr stark zu wünschen übrig, die Digitalisierung muss stark verbessert werden, ein neuer Organisationsbereich für Cyberkriegsführung ist aufzubauen und im Heer sind die Bataillone sehr unzureichend ausgestattet. Das ungeheure Ausmaß der Ausrüstungsdefizite wird auch dadurch deutlich gemacht, dass der Einsatzbereitschaftsbericht der Bundeswehr für den aktuellen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss „geheim“ eingestuft wurde. Deswegen ist es auch schwierig, Zahlen zu veröffentlichen. Ein Beispiel soll den sehr hohen Bedarf des Heeres zur Wiederherstellung der Einsatzbereitschaft in der Landes- und Bündnisverteidigung verdeutlichen. Die Bundeswehr hatte bei der größten NATO-Übung seit Ende des Kalten Krieges im November 2018 in Norwegen mit rund 10.000 Soldaten, 4000 Fahrzeugen, darunter 30 Leopard 2 Panzer, neun Flugzeugen und drei Schiffen die Führungsverantwortung – und sich gut geschlagen. Da der Übungstruppe aber Panzer, gepanzerte Fahrzeuge, Waffen, Splitterschutzwesten etc, Einsatzfahrzeuge, Bewaffnung, Kampfausstattung und anderes einsatzwichtiges Gerät fehlten, musste das Gerät aus der ganzen Bundeswehr zusammengeliehen werden. Die ausgeliehene Ausrüstung steht dann in Deutschland über längere Zeit für wichtige Ausbildung und Übungen nicht zur Verfügung, darunter leidet dann der Ausbildungsbetrieb der restlichen Truppe. Und diese Belastung dauert an, da Deutschland 2019 die Führung der „Very High Readiness Joint Task Force”, VJTF, die im Bündnisfall nach Artikel 5 sehr schnell in Einsatzgebiete verlegt werden muss, übernommen hat und dafür das ausgeliehene Gerät für weitere sechs Monate braucht. Diese das ganze Heer belastende Ausleiherei soll bis 2023 dadurch beendet werden, dass bei der übernächsten deutschen Verantwortungsphase für eine VJTF eine vollausgestattete Brigade verfügbar ist, die dann nichts mehr zusammenleihen muss. Das ist ein Anfang aber vergleichsweise sehr, sehr bescheiden – und kostet trotzdem viel Geld. Und es wird nach Aussagen des Ministeriums sogar bis zum Jahr 2031 dauern, bis alle Soldaten und Soldatinnen mit moderner Kampfbekleidung und modernen Schutzwesten ausgestattet sind. Also erst in 13 Jahren soll eine sogenannte Bekleidungs-Vollausstattung erreicht sein. Da kann man sich kaum vorstellen, dass das Heer bis Ende 2031 tatsächlich über drei voll einsatzbereite Divisionen verfügen kann.
Wenn der bisherige Entwurf des Bundeshaushalts 2020, einschließlich der Eckwerteplanung nicht deutlich und in Anlehnung an die NATO-Vereinbarungen nach oben korrigiert wird, bleibt „Trittbrettfahrer“ Deutschland in den Augen der NATO-Partner unglaubwürdig sowie vertrauensunwürdig und macht sich auf internationaler Ebene lächerlich.
Und wenn die CDU-Vorsitzende vor diesem Hintergrund Überlegungen zu einem deutsch-französischen Flugzeugträger ins Gespräch bringt, und Merkel an einer solchen Idee öffentlich Gefallen findet, dann wird diese Lächerlichkeit beschämend und peinlich.
Hans-Heinrich Dieter, Generalleutnant a. D., zuletzt Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr und Inspekteur der Streitkräftebasis im BMVg, Bonn