Für viele wird in diesen Tagen ein Horrorszenario wahr, das sie ihr ganzes Leben lang versuchten zu verhindern: Mitte 50, arbeitslos, Berufssuche ohne Ausbildung.
Denn während Deutschlands Politik über weitere Corona-Maßnahmen diskutiert, steht eine schon fest: Ab heute gilt die „einrichtungsbezogene Impfpflicht“, also das Berufsverbot für ungeimpfte Ärzte, Pfleger & Co.
Weitere Corona-Maßnahmen wie der „allgemeine Impfpflicht“ genannte gesetzliche Impfzwang werden wie eh und je mit einer angeblich drohenden Überlastung des Gesundheitswesens begründet. Die Überlastung wird so geradewegs erzeugt.
In Rheinland-Pfalz sind nach offiziellen Angaben von insgesamt 175.000 Beschäftigten 13.000 nicht geimpft. In Niedersachsen und Berlin sind es prozentual mehr, genaue Zahlen liegen aber nicht vor. In Sachsen geht man in manchen Branchen von bis zu einem Drittel aus.
Rechnet man lediglich den vergleichsweise geringen Anteil der nicht „Geimpften“ aus Rheinland-Pfalz auf den Bund hoch, käme man auf sage und schreibe 260.000 Beschäftigte im medizinischen Bereich, gegen die die Gesundheitsämter aktiv werden müssten. 260.000 dringend gebrauchte Arbeitskräfte, 260.000 Bürger, die aktuell um ihren Job bangen.
Was mit ihnen jetzt passieren soll: offen. Das Chaos lebt weiter.
Die „Vollzugshinweise“ der Bundesländer
Die Bundesländer haben nun zumindest „Vollzugshinweise“ an die Gesundheitsämter verschickt, wie diese die schwammige Gesetzesregelung zur Impfpflicht umzusetzen hätten. Wirklich aufschlussreich sind diese nicht: Es heißt stets, dass die Gesundheitsämter Betätigungsverbote gegen ungeimpfte Mitarbeiter aussprechen können, nicht aber, dass sie dies müssen. Lediglich am Ton der Formulierung wird es manchmal etwas klarer. In der sächsischen Erklärung wird etwa stets darauf hingewiesen, dass die „Versorgungssicherheit“ oberste Priorität habe. In Bayern wurden die Fristen zur jeweiligen Beantwortung der Fragen des Gesundheitsamtes so weit gesetzt, dass frühestens ab Juni Betätigungsverbote ausgesprochen werden könnten. So sieht Söders Außervollzugsetzung im Ergebnis aus.
Geldstrafen sind fast überall auf dem Plan. Der Prozess wird sich jetzt über mehrere Wochen hinziehen.
Diese Unklarheit führt in ein perfides System. Die Gesundheitsämter werden Gespräche mit den Kliniken führen müssen, welche Mitarbeiter „verzichtbar“ sind. Was solche Debatten für das Arbeitsklima bedeuten, sei mal dahingestellt. Ein verantwortungsvolles Handeln der Arbeitgeber scheint hier kaum möglich – sollen sie langjährige Mitarbeiter ans Messer liefern?
Streng genommen ist eigentlich jeder Arzt und Pfleger in Deutschland kaum verzichtbar, das hören wir durch Corona ja tagein, tagaus: Es herrscht nun mal Fachkräftemangel, seit vielen Jahren.
Studenten und Azubis haben keine Chance
Die Hoffnung, dass der Impfzwang so einfach heimlich ausfalle, wird sich nicht erfüllen, jedenfalls nicht für alle. Schon jetzt sind die Folgen enorm. Im Februar meldeten sich bereits 25.000 Mitarbeiter im Gesundheits- und Sozialwesen mehr arbeitslos als üblich.
Gerade im Bereich der ambulanten Pflege bzw. in Zeitarbeitsfirmen wird jetzt schon entschieden. Eine Pflegerin in einer Zeitarbeitsfirma berichtet uns: „Mein Chef hat in einer Mail nur geschrieben, dass wir ab dem 16. freigestellt werden. Das Krankenhaus, in dem ich gerade arbeite, bucht mich ab dann nicht mehr. Da mein Chef sich aber nicht ganz richtig verhalten hat, müssen wir unser Gehalt wahrscheinlich einklagen. Mehr weiß ich aber noch nicht. Ich baue bis Ende des Monats erst mal Überstunden ab. Ich werde mich jedenfalls nicht erpressen lassen.“
Pfleger und Ärzte in Ausbildung bzw. im Studium haben indes ohnehin keine Chance. Denn während es für „Bestandskräfte“ noch Spielraum im Gesetz gibt, ist das Verbot von nicht geimpften Neuanstellungen im medizinischen Sektor unmittelbar rechtlich gültig. Ein Land, das so dringend Nachwuchs in der Pflege braucht, so dringend, dass die damalige Bundesministerin Giffey vor Kurzem noch Millionenbeträge an Steuergeldern mobilisierte, um Werbefilme für die Pflege zu produzieren – ausgerechnet dieses Land lässt junge Pfleger ihren Beruf nicht mehr antreten. Und zwar egal, wie dringend sie gebraucht werden, egal wie groß die Personalnot ist, und egal wie qualifiziert sie sind – für nicht „Geimpfte“ in Ausbildung platzt der Lebenstraum.
Viele Kliniken werden unter den Personalausfällen leiden. Manchen, gerade in der Altenpflege dürfte die Möglichkeit zu Entlassungen aber auch gut zupasskommen. Mitarbeiter mit teils jahrzehntealten Verträge sind weitaus teurer als Ersatz aus Osteuropa.
Zermürbende Unsicherheit
Nun ist diese Gefährdung der Versorgungssicherheit das eine. Das, was diese Politik mit den Betroffenen anstellt, das andere. Und hier muss man deutlichere Worte wählen.
Und diese Menschen setzt man mit dieser „Impfpflicht“ einer existenziellen Angst aus, quält sie durch Monate der Ungewissheit und entlässt sie anschließend in eine durch jahrelange Unterbezahlung mitverursachte Perspektivlosigkeit.
Bei nicht wenigen manifestiert sich dieser Stress auch körperlich. Eine kerngesunde Pflegerin bricht bei der Arbeit zusammen. Auf einmal ist von Bluthochdruck die Rede. Andere erzählen, dass sie sich Gedanken darüber machen, sich etwas anzutun.
Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten seit 30 Jahren hart in einem körperlichen Beruf, sind stolz auf das, was sie tun, haben viel eingesteckt und viel geopfert – und dann dreht sich in Berlin der Wind und Sie sind raus. Einfach so; weil Sie Opfer eines faulen Kompromisses geworden sind. Sie können mit ihrer Ausbildung auch keinen neuen Beruf annehmen. Was würde das mit Ihnen machen?
Das Gefühl der Unsicherheit, die Zerstörung der gerade in Krankenhäusern so wichtigen Kollegialität – all das wird nicht mehr repariert werden können.
Der heutige Tag offenbart die Rücksichtslosigkeit, mit der in diesem Land Politik gemacht wird. Es geht um Mehrheiten, Macht und die „ganz große Moral“. Wer keine laute Stimme hat, kommt dabei einfach unter die Räder. Ein abgestumpftes Land opfert seine Helden von gestern, deren Schicksal man nach kurzem, selbstgefälligem Geklatsche binnen Tagen wieder vergessen hatte.