In dieser Krise muss ein Ruck durch die deutsche Politik gegangen sein. Soviel gefasste Ruhe, stoische Pflichterfüllung und aufrichtiges Engagement hat man selten gesehen. Corona ist mutiert von „das ist weit weg” über „vielleicht zieht es vorbei” hin zu „wir hamms ja geahnt”. Glücklicherweise hat die Pandemie – entgegen vielfacher Überzeichnungen – nicht im Ansatz so dramatische Auswirkungen wie die Weltkriege des letzten Jahrhunderts, schon gar nicht kann sie mit den eingängigen Pandemie- und Weltuntergangsszenarien aus den grossen Filmstudios mithalten, in denen die, die einer Erkrankung entgehen konnten, nicht selten auch noch von zähnefletschenden Infizierten gejagt werden.
Die Regierenden wollen wieder mal nur unser Bestes – und es sieht so aus, als bekämen sie es auch.
Verständnis
Bis auf einige Wenige, das zeigen alle Umfragen, hat es nun jeder verstanden: Ruhe bewahren, Abstand halten, Regeln befolgen, dann passiert den Liebsten und auch den weniger geschätzten Mitmenschen nichts, wiederholte Verweise auf die Zustände in den sattsam bekannten Nachbarländern erübrigen sich. Geldbußen bewährte Verbote tun ein Übriges, um die letzten Widerborstigen zu „überzeugen“. Kein Zweifel, die Lage ist ernst. Kein Lokalsender ohne ein aufmunterndes „Wir schaffen das“, vom Norden bis zum Süden bleiben alle zu Hause, so ziemlich jeder möchte Vorbild sein, die Radiosendungen sind voller Wortmeldungen von Mühldorf bis Neukölln, wie stolz man aufeinander sein könne, mit wieviel Eifer man die Anordnungen zum Wohle aller befolge und auch andere nun dazu anhalte, es gleichzutun. Soziale Distanz, erkämpft mit den Mitteln eines zu anderen Zeiten geächteten und verhöhnten, angeblich typisch spiessigen Anpassungsdrucks. Heute fühlt man sich dadurch erfrischend motiviert, reiht sich in das Katz-und-Maus-Spiel mit dem Virus ein, will nicht im Abseits stehen (oder dahin gestellt werden). Es läuft für das Corona-Kabinett.
Vertrauen
Zugegeben: Anfangs war die Verwirrung groß. Niemand konnte sich vorstellen, wie das deutsche System sich dieser Bedrohung würde erwehren können, das chinesische Vorbild jedenfalls fand niemand nachahmenswert. Kann das gut ausgehen? Und so kam, was kommen musste, der verängstigte Konsument hortete schnell dass, was ihm in schwierigen Zeiten auf kleinstem Raume am wichtigsten deuchte: haltbare Lebensmittel und Hygieneartikel. Auf der nach oben offenen Toilettenpapier-Skala erreichte eine gewisse Hysterie ihren Höhepunkt und führte zu den Szenen, die in den eingangs erwähnten Filmen als böse Vorboten die kommenden Massaker einläuten. Jedoch: Es blieb bei punktuell leeren Regalen, die Selbstversorger, Doomsday-Propheten und Prepper, die sich schon heimlich gefreut hatten, nun endlich Recht behalten zu haben, wurden enttäuscht. Die Lieferketten haben trotz großer Herausforderungen gehalten und die Wunder der modernen Lebensmittel-Technologie haben dem Ansturm getrotzt und den Leuten ein eindrucksvolles und bleibendes Exempel ihrer Leistungsfähigkeit gegeben. Dem potentiell nächsten – im Bereich des Möglichen liegenden – Shutdown, werden viele Hamsterer darum wohl auch etwas gelassener entgegensehen können. So geht Vertrauensbildung.
Respekt
Bis auf wenige Totalausfälle hat sich die Politikerriege recht passabel geschlagen, sogar Kanzlerin Merkel hat – spät aber doch – ihre Rolle in dem Schauspiel übernommen und man schiebt sich, mit den Länderkollegen, den Forschern und dem Gesundheitsminister, zwar wenig spektakulär, aber doch in ruhigem Rhythmus die Bälle zu. Fast jeder hätte dieser Groko noch vor 6 Wochen attestiert, sich aufrecht stehend im Knock-Out zu befinden. Die Krise hat sich, nicht nur für sie, als Riechfläschchen erwiesen: Wer davon eine Nase voll nimmt und seine Karten richtig ausspielt, kann kaum verlieren. Ewig Misstrauische wittern schon hinter der unglaublich abgeklärten Rhetorik der Politik, hinter dem täglich wie geschmiert abgespulten Reigen der Berichte, Statistiken und Schulmeistereien ein perfides und abgekartetes System.
Mitgefühl
Albert Camus, dessen Roma „La Peste” aus dem Jahre 1947 sich derzeit (wen wundert es) wieder einer sprunghaft gestiegenen Beliebtheit erfreut, (wie der Guardian berichtet, war das Buch bei Amazon GB Ende März zeitweise vergriffen) hat es so zusammengefasst : „In Zeiten der Plage überwiegen bei den Menschen die bewundernswerten Wesenszüge die Verachtenswerten.”
Virtuos spielt man derzeit auf der Klaviatur des Mitleidens, in dem ehrlichen Bemühen, genau die guten Wesenszüge hervortreten zu lassen, unter deren Einfluss weitere ggf. nötige hygienische Massnahmen ohne allzu grosse Reibungen umzusetzen wären. Die offene Zuschaustellung der Verwundbarkeit der Anderen soll bei Allen das Bewusstsein für die eigene schärfen und damit empfindlich für die Anliegen der Epidemiologen machen. Ein für weniger empfängliche Geister schwer zu ertragendes Harmonie-Nudging, mit dem sich das Krisenkabinett gefährlich dem Pandemie-Kitsch nähert. Ein Sirenkonzert des Mitgefühls, gegen dessen einschläfernden Singsang man sich kaum wehren kann. Ganz wie die bettlägerige Erbtante, die der ständigen Besuche des Neffen überdrüssig wird, ist man hin- und hergerissen zwischen Unwillen und wohliger Schläfrigkeit. Bei vielen Bürgern beginnt sich schon der Widerspruchsgeist zu melden. Die langen Reihen der Mitfühlenden, die ständigen Schwüre, wie sehr man sich um den Bürger sorge, wie unsäglich dramatisch und kritisch die Lage sei, nutzen sich ab wie Schuhsohlen.
Arbeitskraft
Ganze Branchen und Belegschaften sitzen zu Hause und drehen Däumchen, hängen allabendlich an den Lippen der Auguren und Entscheider, ob es nicht demnächst wieder was zu tun gäbe. Lange Warteschlangen vor den Baumärkten, selten waren die Fenster im Frühling so früh schon so blank geputzt. Wer sich partout beschäftigen möchte, dem kann geholfen werden: Brettspiele und der Unterricht zu Hause erleben eine Renaissance, Handarbeiten und Heimchen am Herd sind wieder in Mode, Nähnadeln für die alte Singer-Nähmaschine werden schon knapp. Selbst Computer-Zeitschriften bieten schon Schnittmuster für selbstgenähte Atemschutzmasken an. (hier bei Chip.de)
Wählerstimmen
Wie ein Elefant im Raum steht die Frage vielen Akteuren klar und deutlich ins Gesicht geschrieben: Wird man mir meinen Einsatz hier je vergessen können? Hat der Wähler mir nun vergangene Lapsus verziehen und meine wahren Qualitäten erkannt?
Albert Camus mit einer wenig schmeichelhaften Meinung (aus dem “Parisien”): „Man kann feststellen, dass Regierungen kein Gewissen haben. Manchmal verfolgen sie eine politische Strategie, aber nicht mehr.”