Nach den Unruhen und Plündereien einer nicht zu beruhigenden Volksseele erwägen einige Gemeinden in den USA, die Polizei ganz abzuschafffen – womit ein feuchter Traum der Antifa Wirklichkeit würde.
I.
Sie werden “Unruhen” betitelt all diese Bilder von zerschlagenen Schaufenstern und Läden in Flammen; die Talkshoweliten in den USA und die Leitartikler und Nachrichtensendungen bei uns nennen sie “Proteste”. Sie nennen die Plünderer mit den Schuhkartons von Nike und Flachbildfernsehern von Samsung “Protestierer“, und sie kennen den Schuldigen für diese Ausschreitungen, die in ihren Kommentaren eine Art ‚Notwehr‘ darstellen gegen die Brutalitäten eines Systems, beziehungsweise DES SYSTEMS, das von niemand anderem verkörpert wird als von Donald Trump, der Gestaltwerdung des BÖSEN, seit er ins Amt gewählt wurde, und das offenbar von allen Bösen im Lande.
The Donald wird eines ideologischen Krieges gegen die Schwarzen des Landes beschuldigt. Hier einige irritierende Zahlen zu dieser Behauptung:
- Donald Trump bekam mehr schwarze Stimmen als Hillary Clinton.
- Seit seiner Amtsübernahme fiel die schwarze Arbeitslosigkeit auf 6,7 Prozent.
- Die Löhne von Schwarzen stiegen um 9,2 Prozent.
Doch das liberale Establishment scheint an alten Frontkämpfen und Schlachten interessiert zu sein.
Clou des sogenannten “1619”-Projekt der New York Times beispielsweise, das Unterrichtsmaterial zur Geschichte der Sklaverei enthält, ist die Aussage, dass Plündereien als Rache für historisches Unrecht und andauernde Benachteiligung durchaus gerechtfertigt sein können.
Wenn nun Donald Trump nach einer Nacht der Plünderungen, die er teilweise im Bunker des Weißen Hauses zuzubringen hatte, den Weg des vom Mob bedrohlich belagerten Amtssitzes, des Weißen Hauses, zur Straßenseite gegenüber räumen lässt, um dort eine Kirche zu betreten, ist dies ein Akt von höchster symbolischer Bedeutung: Der Staat und sein Schutzversprechen stehen. Er mag wanken, aber er fällt nicht.
Dass die schwarze Bürgermeisterin, eine Demokratin, die Straße zum Weißen Haus in den Slogan “Black lives matter” umbenennen und -pinseln lässt, kann nur als Selbstermahnung verstanden werden, denn sie ist die Verantwortliche. Wie in Washington sind auch andere Hochburgen des Mobs in diesen Tagen (Minneapolis, Los Angeles, New York etc.) fest in demokratischer Hand und damit verantwortlich für Polizeiausbildung, rassistische Verbrechen, die ungehinderte Brutalität in den Straßen.
Es ist nicht “Trumps Krieg”, der dort ausgebrochen ist, wie die FAZ in einer Seite 3 vermutet, Trump ist auch nicht “Der Feuerteufel”, der “sein Land in Brand setzt”, wie der jüngste Spiegel-Titel behauptet, sondern der Mann, auf dem die Hoffnungen seines Volkes ruhen: Die überwiegende Mehrheit der Amerikaner befürworten den Plan ihres Präsidenten, Militär einzusetzen, um Recht und Ordnung wiederherzustellen – darunter auch eine Mehrheit demokratischer Wähler.
Die urbane Intelligenz jenseits und diesseits des Atlantik liegt mit ihren alarmistischen Anti-Trump-Schlagzeilen und Einpeitschergeschichten mal wieder völlig falsch.
II.
Mich persönlich erinnern die Bilder aus Washington und Minneapolis, aus Los Angeles oder New York, diese Bilder vom rauschhaften Raffen, vom Glück der Beute, besonders dieser Dicken im Leopardentop, die jetzt zum zweiten Mal ins Bild taumelt mit Schuhkartons unterm Arm, und die Kerle, die sich um eine Schaufensterpuppe im Trainings-Anzug streiten, all dieser hysterische Aufruhr unter Rotlicht, all die Flammen, die aus den Läden schlagen … all das erinnert mich an meine erste Plünderung.
Also ich selber hab‘ nicht geplündert. Aber ich wurde gejagt, als hätte ich.
Draußen: Aufmarsch der Macht. Innen am Fenster im zweiten Stock: Logenplatz im Straßenkampf.
Draußen: Tausende von Demonstranten, Hin- und Herwogen der Kampflinien bis einer der Protestler, der 18 jährige Jürgen Rattay, von einem Panzerwagen überrollt wurde.
Schock auf beiden Seiten, Pause, Waffenstillstand, Demonstranten setzen sich vor die gepanzerten Wagen, singen Lieder gegen die Gewalt … und plötzlich war es einigen zu friedlich, die sogenannten Autonomen, auch bekannt als Antifa, begannen, Schaufenster einzuwerfen.
Leichtes Ziel die Panorama-Scheiben der Commerzbank an der U-Bahnbrücke. Dann, weiter oben am Baby- und Fixerstrich U-Bahnhof Potsdamer Straße Glas-Bruch bei Foto Henry, der später zu einer Filiale von Photo-Porst wurde, danach und seit Jahren Sex-Shop ….
Der Rausch der Gesetzlosigkeit, Kids stiegen durch die gezackten Schaufensterlöcher und kehrten mit Feldstechern und Photoapparaten zurück, 16-Jährige mit Gesichtern von nervösen Schakalen, Anarchie, Angst, Lust, bloß weg hier … aber dann wiederkommen, und mehr, mehr, mehr …
Ich war auf dem Weg nach Hause. Plötzlich bebt das Pflaster unter Stiefelschritten. Straßenbreit und im Laufschritt, in Kampfmontur, jagen die Uniformierten die Plünderer. Ich fliehe mit den Fliehenden. Wir biegen um eine Ecke, verschwinden in einem Hauseingang. Schweratmend. Im Halbdunkel um mich herum Milchgesichter. Angstvolles Geflüster. “Bullenschweine”, “Faschos”, “Mörder”. Einem blassen sommersprossigen “Franz”, Trebegänger, fallen gelbe Kodakfilme aus der Tasche, “scheiße, noch nicht mal einen Apparat”.
Nach einer halben Stunde, es dämmert, trau’n wir uns raus, einzeln. In der Zeit haben die “Revolutionäre” eine Art Strategie zum Systemsturz erträumt, eine damals populäre Kurzfassung von Bakunin und Lenin von der von Claudia Roth gemanagten Gruppe ‘Ton, Stein, Scherben’ mit dem Refrain “Macht kaputt, was euch kaputt macht”, wobei offenblieb, inwieweit der junge Franz von Foto-Henry kaputtgemacht wurde (kein Photoapparat in Griffnähe?) und natürlich jede Menge Stammheim-Folklore, bis das Schweinesystem endgültig besiegt wäre, und dann: Freibier für alle.
Und Scheiß auf den Fotoapparat, Revolution ist wichtiger, ja, man könnte sagen, die kleinen Revoluzzer waren IDEALISTEN, die ihr Herz nicht an materielle Güter hängten, sondern nur dem Ausbeutersystem in Gestalt von “Foto Henry” den Kampf ansagten. Plündern als Triumph über den Leviathan, als Rausch des Staatsversagens. Typus des Plünderers: Selbstgerechtigkeit gepaart mit politischem Irresein.
III.
Gut zehn Jahre später ein Plünderei, zu der ich fast zu spät komme. Diesmal eine, die tatsächlich den Triumph über ein verhasstes und menschenfeindliches System verkörpert, eines, das sich durchaus mit Theorie-Versatzstücken des halbwüchsigen Kriminellen Franz ausstaffierte: Die Stürmung der Stasi-Zentrale in der Normannenstraße der untergehenden DDR.
Hier bedeutete die Plünderung keinen Raub materieller Werte und damit “eine Korrektor kapitalistischer Eigentumsverhältnisse” (wie die gerade bestallte linksextreme Verfassungsrichterin Barbara Borchardt sagen würde), sondern eine Zurücknahme der gestohlenen Identität, der eigenen Biografien, die sich aus Spitzelberichten und Abhöraktionen des MfS zusammensetzten. Hier war die Plünderung das Mittel, Recht zu bekommen gegen einen Staat, der sich ins Unrecht gesetzt hatte: ein Leviathan, der die ihm Untergebenen nicht schützte, sondern missbrauchte.
Dass gegenwärtig Nutznießer und Stützen dieses Systems erneut aktiv sein dürfen – als Kanzlerin, als FB-Kontrolleurin in Gestalt der einstigen Spionin Kahane, als Verfassungsrichterin wie die bereits erwähnte Barbara Borchardt – mag als Mahnung über die Unkontrollierbarkeit geschichtlicher Verläufe und die Vorläufigkeit von Kategorien wie Recht und Unrecht dienen.
Und ich kam tatsächlich fast zu spät und konnte mir nur noch einen großen querformatigen roten Aktendeckel mit der Goldprägung DDR, MfS unter den Nagel reißen. Der Plünderertypus hier: Bärtig und entzückt und völlig im Recht, und seine Emotion eine Mischung aus Trauer und Rachewünschen.
IV.
Zwei Jahre später unterhalte ich mich wieder mit Plünderern. Ich war für den Spiegel als Korrespondent in die USA geschickt worden, als 1992 in Los Angeles eine Jury zusammengestellt wurde, um einen Prozess zu wiederholen, dessen erster Durchgang die Stadt in Brand gelegt und 52 Todesopfer gekostet hatte. Denn in diesem ersten Prozess, einer juristischen Farce, waren vier weiße Polizeioffiziere von dem Vorwurf freigesprochen worden, während einer Routinekontrolle unziemliche Gewalt gegen den Afroamerikaner Rodney King ausgeübt zu haben.
Kurz: Der Schwarze wurde fast totgeschlagen, ein Video war aufgetaucht, das das bewies. Ein haarsträubendes Video. Auf den bereits am Boden liegenden Schwarzen wurde eingedroschen und eingetreten, als wolle man ihn im Asphalt verschwinden lassen. Das ganze ein überschießender und unglaublicher Hassausbruch.
Und dieser siedende Hass wurde, kaum ging das Video viral, von den Schwarzen, die oft genug Opfer von Polizeibrutaltät waren, erwidert.
Brennpunkt war South Central Los Angeles. Die TV-Stationen übertrugen, zu Lande und aus der Luft, Non-Stop-News von einer Orgie der Verwüstung. Der Brennpunkt South Central war ohnehin Gang-Land im Griff der Crips, “Fridays”-Imbiss-Shops und Koreaner-Läden mit Krimskrams, alle vergeblich mit schweren Gittern gesichert, trotzdem leichtes Spiel für Menschengruppen mit Mordwut im Bauch, sowie für Banden mit gewissem knowhow, das zur Geltung kam, nachdem die Polizeiführung eingesehen hatte, dass jeder Einsatz hier selbstmörderisch wäre und diese Straßenzüge völlig aufgegeben hatte. Lachende, triumphierende Lust.
Sofas wurden aus Kaufhäusern getragen, Fernsehtruhen, Trainingsanzüge, Ventilatoren, meistens an und über die geduckt und verprügelt auf den Straßen sitzenden koreanischen Besitzer vorbei und hinweg.
Die Plünderer schienen völlig schuldfrei. Sie übten Rache am System, das sie nicht schützte. Sie fühlten sich im Recht. Lachend trugen sie die damals noch schweren Fernsehtruhen aus den Läden, auch Kaufhäuser gingen zu Bruch, hier lag buchstäblich diebische Freude in den Gesichtern, Frauen mit Kleiderbündeln, Schuhen, Lockenscheren, Elektrogrills – Paaaaarty!
Ein paar Wochen später, 1992, wird der Prozess wiederholt, die Stadt wird auf 56 Millionen US-Dollar verklagt, für jeden Schlag des weißen Polizeioffiziers Mike Collins eine Million. Ich unterhalte mich mit Deryl auf der Florence Avenue, der mit leuchtenden Augen davon spricht, wie sie die Koreanerläden hier „weggesäubert“ haben. Dann zeigt er mir seine schwarze eingefettete Llama .380 in einem Pappkarton. Er trägt ein schwarzes Malcolm X T-Shirt.
Er erzählt grinsend, wie sie den weißen Lastwagenfahrer Reginald Denny aus der Führerkabine seines Fahrzeugs gezerrt und beinahe totgeprügelt haben, die Bilder gingen um die Welt. „Ich habe mich gefreut. Es war tatsächlich einer der schönsten Tage in meinem Leben. Endlich ging es mal einem Weißen an den Kragen. Sonst schießen wir uns doch immer nur gegenseitig ab.“
Klar hat er mitgeplündert und er ist völlig mit sich im Reinen. Und er sagt „No justice, no peace“ und hat damit einen Großbegriff gekapert: Justice. Gerechtigkeit. Und der gibt ihm Recht.
Es ist ein Großbegriff, der unter seinem Schirm so ziemlich jede Sauerei entschuldigt, und jeden Kummer und jede Empörung abwürgt, auch den der schwarzen Hilfskraft, die in einem Fruchtsaft-Laden schuftet, der gerade eingeäschert worden war. Im Kampf gegen Rassismus gibt es nun mal Kollateralschäden. Deryls Buddy Carl wird hier im innerstädtischen Brachland unter dem wie stets unbewegt strahlenden blauen Himmel, heldenhaft romantisch, wenn er an einen möglichen zweiten Freispruch denkt. “Dann werden wir kämpfen – mir macht es nichts aus, im Kampf zu sterben”. Ihr doppelt so alter Freund Anthony, der sich zu uns gesellt, weiß eines sicher: Er wird sich raushalten. “I’m too old for that shit, man.” Am Tag der Urteilsverkündung wird er seine Schwester in Georgia besuchen.
Mein Eindruck: Die jungen Plünderer hier in South Central leben eine andere Art Rassismus, sozusagen einen Übersprungsrassismus – den gegen eine andere, hellhäutigere Minderheit, gegen die ungleich erfolgreicheren und fleißigeren Minoritäten der Asiaten, der Koreaner, Chinesen, Vietnamesen.
Deryl und Carl, sie sind Verlierer, die sich für die Dauer des Geschehens auf die Siegerseite geschlagen haben.
V.
Der nächste Plünderer, mit dem ich ins Gespräch komme, nennt sich Merky Ace. Ich treffe ihn ihm Januar 2012 in London in seiner Wohnung in einem Council-Haus, und wir sprechen über Tottenham-Riots ein paar Wochen zuvor, und wie er aus diesem, auf einem Hügel gelegenen, Sozialwohnungs-Silo trat und unten im Tal den Tumult sah.
„Ich stand vorm Haus, schaute runter zur U-Bahn-Station, atmete tief und dachte: ‚Mann, guten Morgen, Freiheit, willkommen, Anarchie.‘“ Der erste Tag, sagt Merky, sei an Tottenham gegangen. „Aber der nächste Tag gehörte uns, hier in Lewisham.“ Er holte Luft und platzte vor Freude und Stärke und Mut und rannte mit Luftsprüngen da runter. Auch hier lieferte die Ordnungsmacht den Anlass: Der vermutliche Drogendealer Mark Duggan war in Polizeigewahrsam umgekommen. Erregte Menschenmenge, Steine flogen in Schaufenster, auch in anderen Städten der Insel, um Politik ging es hier nicht , sondern um Randale und die Lust an ungestrafter Bereichererung.
“No justice, no peace”? Fuck, obwohl Merky dunkelhäutig ist, das interessierte ihn nicht, er hatte einfach Bock auf neue Nikes. Daneben träumte er von einer Karriere als Rapper, sein Ding war Grime, die Amphetamin-Variante mit doppelt schnellen Beats, Musik wie auslaufende Säure in einer stillgelegten Fabrikhalle. Ich hatte ihn aufgestöbert, weil ich für eine Reportage zu Charles Dickens’ 200. Geburtstag die zeitgenösissche Entsprechung zu Oliver Twists Straßengang suchte.
Die Geschichte über den Jungen Dieb Oliver Twist, der in die Fänge des düsteren Fagin und seiner Straßengang geriet, war Dickens erster Bestseller – er, der mit Journalismus und Gerichtsreportagen begann, landete mit dem in Groschenheften erschienenen Roman seinen ersten weltweiten Erfolg.
Auch Dickens hätte in den Mob-Rasereien vom August zuvor keine Hungeraufstände gesehen. Eher wohl eine aus dem Ruder gelaufene Schnäppchenjagd mit Brandstiftung und Gesamtschaden von umgerechnet mindestens 120 Millionen Euro. Da hat sich ein anderer Mangel ausgetobt.
Merkys Kumpel Stranded in seinem Lakers-Shirt baut sich und den anderen drei, die hier auf einer Riesenmatratze lagern, den Joint, und später kommt der kleine Alan in die Bude, saubere Schuluniform, seine Schwester sorgt dafür, er trägt seine Schulbücher in einem Riemen und hat einen Tischtennisschläger, und obwohl er in der Klasse einer der besten ist und herzerweichend strahlen kann wie wahrscheinlich nur Oliver Twist in dieser Räuberhöhle, warten auf ihn keine zwei älteren Philanthropen und ein Riesenerbe, sondern wahrscheinlich Niederlagen am Fließband. Das unterscheidet London 2012 von einem Dickens-Roman.
VI.
Nun also die Toten und die Geplünderten und die Geschlagenen von Minneapolis, in Trumps Amerika, die auch in Obamas acht Jahren zuvor bereits Geschlagene waren, ein “ basket of deplorables”, ein Korb voller Bedauernswerter, wie sie die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton naserümpfend nannte, eine Unterklasse, um die die Eliten offenbar einen großen Bogen machten. Und die mit der überraschenden Sekunde von Trumps Wahlsieg in ihr die Verachtung für ihn und seine Wähler exponentiell wachsen ließen.
In dieses Amerika hinein wirkt der Ruf des Bruders von Georg Floyd wie ein Echo aus jenen unseligen Tagen, als ein Präsident Bush die Ordung in Los Angeles nur durch den Aufmarsch der Nationalgarde aufrechterhalten konnte.
Damals, 1992, rief Rodney King in die brennende Stadt LA hinein “Can’t we all get along please” – können wir nicht einfach miteinander auskommen, bitte!?
Nun, knapp 30 Jahre später, rief der Bruder von George Floyd, dass George die Schüsse auf die Polizisten und die Plünderungen der Innenstädte nicht gewollt hätte. “Hört auf damit!”
Kann man das Elend der ohnehin Geschlagenen widerwärtiger ausnutzen, als ein nahezu dementer weißer demokratischer Establishment-Wahlkämpfer und Frauenfummler und Korruptionverdächtiger wie Joe Biden, der aus einem kostenlosen Bekenntnis zum “systemischen Rassismus der Nation” politisches Kapital schlägt? Oder ein von Trump gefeuerter Verteidigungsminister John Mattis, der seinem einstigen Arbeitgeber nun vorwirft, das Land “kaltblütig zu spalten”?
Ganz sicher aber würde George Floyd lieber leben, als in einem von Rapper Kanye West gestifteten goldenen Sarg zu Grabe getragen werden und der politischen Kitschindustrie des Hollywood-Chic und ihrem zu erwartenden Merchandising Umsätze zu verschafffen.
Er würde auch kaum der Abschaffung der Polizei in Minneapolis zustimmen, das zunehmend aussieht wie Beirut. Er würde statt dessen anregen, sich dem tatsächlich ernsthaften Problem einer minderqualifizierten und in Teilen durchaus rassistischen Polizei zu widmen.
VII.
Unter dem schwarzen demokratischen Bürgermeister Dinkins in New York schossen Anfang der 90er Jahre die Kriminalitätsstatistiken in allen Bereichen hoch: Morde, Überfälle, Korruption, Drogendelikte. Bis der neue Bürgermeister Rudolph Giuliani – Spitzname des Jesuitenschülers “Der heilige Terror” – gemeinsam mit seinem Polizeichef Bratton die Stadt übernahm.
Gestützt von Giuliani griff Bratton in den eigenen Reihen durch. Ein unausgesprochener Nichtangriffspakt mit Gesetzesbrechern hatte die Laxheit im Department gefördert – die Polizei von New York galt als eine der korruptesten Institutionen der Nation.
Bratton führte sich mit einem Paukenschlag ein. Als 1994 das „dirty thirty“, das schmutzige 30. Revier in Harlem, aufgeflogen war, betrat Bratton unter Blitzlichtern die Wache und riss den überführten Polizisten die Wappen von der Brust, um sie der Presse zu präsentieren wie die erbeuteten Totems eines feindlichen Stammes.
Regelmäßige “Grillstunden” genannte Lagebesprechungen im Hauptquartier dienten der strengsten Erfolgskontrolle, wie in einem Wirtschaftsunternehmen. Rund hundert mit Lametta behängte Revierchiefs und Abteilungsleiter meldeten Zahlen und wurden zusammengestaucht, wenn sie mies aussahen. In den ersten Monaten Giuliani fiel die Mordrate um 37 Prozent, die der schweren Verbrechen um 25 Prozent. Aufstände, Nachbarschaftskriege, Plünderungen – unter dem freundlichen liberalen Dinkins nicht selten, besonders in den heißen Sommermonaten, der schwarze Regisseur Spike Lee drehte seinen Film “Do the right thing” darüber – fanden nicht mehr statt. Ich fuhr in der Giuliani-Ära mit Polizisten des Reviers Midtown-South Patrouille, die einzige Lässigkeit, die sie sich in meiner Gegenwart leisteten, war die Essenspause: Da schalteten sie die rote Lichtorgel und die Sirenen ein, Alarm und Blitzeinsatz, um schneller crosstown zu ihrem Lieblingsdeli mit ihren Lieblingssandwiches zu kommen.
VIII.
Am Tag, an dem der schwarze Richard Pennington aus Washington seinen Job als Police-Chief der korruptesten Police-Force des Landes, der NOPD in New Orleans antrat, wurde eine Frau und mögliche Zeugin eines Polizeiverbrechens beseitigt, von einem Polizisten. Doch das hatte ich erst herausgefunden, als ich die Abschriften der Bänder las, die bei Telefonaten mitgeschnitten wurden.
Auch Pennington wusste noch nichts. Er wusste nur: New Orleans hat die höchste Mordrate. Die Beschwerden über Polizei-Brutalität übertrafen die von New York um das 50-fache!
Bei meinem Interview mit einem sichtlich nervösen Pennington saß Fradelka, ein Cop der alten Garde als PR-Officer dabei, er trug seine Waffe in einem Holster unter der Fanellhose am Fuß.
Pennington hatte in seinen ersten zehn Tagen mit 21 Morden fertig zu werden. Trotz Officer Fradella müht er sich nicht, seine Frustration zu verbergen. Er spricht von Widerstandsnestern und Sabotage in den eigenen Reihen. Zu Amtsantritt hat er sich als Leibwache zwei FBI-Agenten ausbedungen, auf seinen Schreibtisch steht ein Korb mit Voodoo-Kram, der vor dem bösen Blick schützen soll.
Es gab Rekruten, die hinter Gitter gehört hätten, sagt er, Polizeianfänger, die wegen Vergewaltigung oder Drogenbesitzes angeklagt und nur aus technischen Gründen freigesprochen wurden. Viele bewarben sich nur um Uniform und Dienstrevolver, um bei krummen Touren absahnen zu können. Während Fradella aufmerksam mitschreibt, spricht Pennington von gezielten Sting-Operationen, mit denen er die eigenen Reihen testet. Da sind getürkte Kokaindeals, um jene Cops herauszufischen, die in die eigene Tasche wirtschaften.
Wenn Pennington das Symbol für den Neuanfang ist, verkörpert Captain Antoine Saacks den Mann der alten Garde. Als er noch Streife ging, nannte man ihn und seinen Partner Assault & Battery: tätlicher Angriff & Mißhandlung. Letztes Jahr wurde er, nach einer kometenhaften Karriere und einem gescheiterten Versuch, selbst oberster Polizeichef zu werden, vom Dienst suspendiert. Der Grund: illegale Nebengeschäfte. Ein Treffen mit Vertretern eines Glückspielsyndikats aus Las Vegas war heimlich aufgezeichnet worden.
Auf den Einsatzwagen der Polizei steht “To serve and protect”. Ist das nicht ein Hohn, frage ich Officer Conaghan auf Streife. “Wir sind nicht schlechter als die in New York oder Chicago”, murmelt er. Was darf man als Cop überhaupt noch, fragt er in die Regennacht hinaus, mehr zu sich selbst. Du hast es als Cop mit dem Abschaum zu tun, mit Irren und Killern. Das Land versinkt in Schmutz. Keiner sorgt mehr für Disziplin. Aber die Politiker oben machen immer ihren Reibach. Plötzlich schnarrt das Funkgerät. Schreie, eine hektische Standortbestimmung. Conaghan gibt Gas. Zwei Minuten später, nach einer Jagd durchs nächtliche Vieux Carré, haben fünf Polizeiautos mit blinkenden Lichtern einen Verdächtigen eingekreist. Sein schwarzes Gesicht ist grau wie Griesbrei. Während ihm die Handschellen angelegt werden, breiten die Polizisten seine Habe auf einem Kotflügel aus: Eine Baseballmütze, drei Dollarscheine. Ein armes Schwein, das seine Bewährungsauflagen nicht erfüllt hat.
IX.
Die USA haben eine gespenstische Tradition von Aufständen, religiöser, rassischer, politischer Natur. Unter dem Stichwort “riot” liefert Wikipedia für nahezu jedes Jahr in der US-Amerikanischen Geschichte ein Stichwort, nun sind, mit Minneapolis (und Los Angeles, New York etc.) neue dazugekommen.
Stets steht das Schutz-Versprechen des Staates zur Disposition. Stets ist die Balance zwischen individueller Glückssuche und Rücksichtslosigkeit prekär.
In Thomas Hobbes “Leviathan”, dieser staatsphilosophischen Dystopie unter dem Eindruck der englischen Bürgerkriege (1642-1649), in denen Anarchie und das Recht des Stärkeren herrschte, ist dies geradezu die vornehmste Aufgabe des Staates: die Schwachen und ihr Eigentum zu schützen. Der Leviathan ist ein mit Panzerplatten geschütztes Fabeltier aus der jüdischen Mythologie mit absoluter rücksichtsloser Macht.
Aber es hält den alles verschlingenden Behemoth in Schach, die grenzenlose wilde Anarchie und Auflösung, die rücksichtslose individuelle Bedürfnisbefriedigung.
Einem hellsichtigen Essay Gumbrechts in der Weltwoche zufolge scheint unsere urbane Intelligenz diesseits und jenseits des Atlantik dem Leviathan als Ordnungsmacht nur noch dann Sympathie entgegenzubringen, wenn er chinesische Gesichtszüge trägt. Dieser fernöstliche totale Überwachungsstaat hat sich in unserer Wahrnehmung, absurderweise auch der der Antifa, zu einer Art sozialdemokratischer Fürsorgeeinrichtung metamorphisiert und scheint den sozialistischen Umverteilungssehnsüchten unserer politischen Eliten entgegenzukommen.
Doch selbst die Schwarzen – und was das angeht: die Roten, die Gelben, die Weißen – würden wohl lieber in Minneapolis bei Rot über die Straße gegen als in Peking.
Ja, die heimliche (und perverse) Sympathie unserer Intelligenz für den Sturz des marktliberalen Systems, das sie ernährt, hat Tradition. Die Älteren unter uns erinnern sich an die 70er Jahre, in denen den RAF-Terroristen Unterstützung zufloss von Intellektuellen und Publizisten (ja auch Augstein, Bucerius und Co), die sich antifaschistisch nannten. Pastor Gollwitzer murmelte auf seinem Sterbebett über Ulrike Meinhofs Selbstmord in Stammheim “ Womöglich hat sie für uns mitgelitten.”
Heute ist die Antifa bei uns ein staatlich gefördertes Projekt geworden. Insofern hatte Bettina Röhl in ihrem glänzenden Aufsatz für die NZZ Recht, als sie ausführte, dass die “Antifa die verbeamtete RAF” ist.
Dass Donald Trump ein Verbot der Antifa als terroristischer Vereinigung erwägt, ist nur folgerichtig.
X.
Ein wichtiger Nachsatz: Tatsächlich haben die USA, deren Militärmacht auch Europa seine Freiheit verdankt, ein verdammtes Problem mit ihrer Polizeimacht.
Ich habe nicht die geringste Sympathie für Polizeibeamte in den USA, weil ich ihre perverse Lust zu quälen, am eigenen Leibe kennengelernt habe – nach einer simplen Geschwindigkeitsübertretung am Navaho-Reservat in Arizona.
Die Typen sahen aus wie ihr Klischee aus der Serie „Breaking Bad“. Spiegelglasbrille, kahler Schädel, der direkt auf den muskulösen Rumpf geschraubt war, Knarre, Schlagstock, Teaser, jede Menge „F….“-Rufe, Tritt in die Beine, Kopf und Oberkörper auf die heiße Kühlerhaube geknallt, Arme nach hinten gerissen, Plastikbandhandschellen bis zum Blutstau, als hätte ich vorgehabt, den Präsidenten zu töten.
Später in der nur mit Gittern von der Wache abgetrennten Aufnahme-Zelle wurde ich Zeuge, wie sich zwei Übergewichtige, die ich für mich Fass und Tonne nannte, für einen Test zur Weiterqualifizierung abfragten. Es war eine Art Idiotentest, und ich fragte mich, welche Art von Primaten wohl bei der Polizei anheuern. Und als ich die widerlichen Bilder von der langsamen Tötung des George Floyd in Minneapolis sah, eine Tötung, die als simple Polizeimaßnahme getarnt war, erkannte ich die gleiche Wut wieder und die gleiche primitive tödliche Lust.
Und ich bin weißer Hautfarbe. Die Cops waren es ebenfalls.