Ende März veröffentlichte die „Letzte Generation“ eine eigene Wiki-Seite. Laut Eigenaussage der Extremisten soll damit Transparenz demonstriert werden. Dass es damit aber nicht unbedingt weit her ist, erweist sich allerdings im Zuge eines äußerst verwirrenden Streifzugs durch die Seite.
Schnell wird eines deutlich: Eine simple Übersicht über die Strukturen ist nicht so einfach zu bekommen, stattdessen zeichnet die Wiki-Seite vor allem ein Sittenbild eines Menschentypus – womöglich auch einer Generation –, der seine innere Unstrukturiertheit hinter einer komplexen Wand von Jargon, Abkürzungen und verschachtelten Organisationseinheiten verstecken möchte.
Es wird viel geschwafelt auf der Wiki-Seite. Die Sektion „Unsere Werte“ beschwört Gewaltfreiheit und Anti-Diskriminierung. Man bekennt die Sünde der eigenen Privilegien und erkennt alle gängigen -ismen (Rassismus, Klassismus, Ableismus, Kolonialismus, Sexismus, Antisemitismus) an.
Bienenstockmentalität statt Individualismus
Wer so viel Zeit beim Sprechen langer Wörter einspart, hat natürlich mehr Zeit zum Kleben. Solche Effizienzbestrebungen gab es auch im Dritten Reich, was der Sprachwissenschaftler Victor Klemperer bereits 1947 in seinem Buch „LTI – Lingua Tertii Imperii“ trefflich auf den Punkt brachte. Das Bürokratensprech der Letzten Generation unterscheidet sich an anderer Stelle aber ganz deutlich von dem der Nazis, denn wo Letztere noch die deutsche Sprache arisieren wollten, strebt die Letzte Generation oftmals vollkommen grundlos nach einem kauderwelschartigen Mix aus Deutsch und Englisch, der – garniert mit Gendersternchen – der allgemeinen Lesbarkeit der Texte keineswegs zuträglich ist.
Statt Unterstützung bieten die Extremisten der Letzten Generation „Support“ und statt Aufmerksamkeit zu generieren, schaffen sie „Awareness“. Aber auch ungewöhnlichere Begriffe wurden geschaffen, wie zum Beispiel „Rebel Ringing“, das Anrufen von interessierten Menschen, um sie in die Kampagne zu integrieren. Dafür gibt es dann die Abkürzung RR. Dieses RR dürfte wohl auch eine spezielle Form des „Mobi“ sein, also des „Menschen in den Widerstand holen“. Diese durchschreiten dann eine „Mobi-Pipeline“, also den „Weg, den ein Mensch geht, vom ersten Kontakt zur LG (Letzten Generation) bis zum aktiv dabei sein“. Wer sich dabei jetzt an Anwerbungsprozesse diverser Sekten erinnert fühlt, hat wohl einfach noch nicht genug Awareness intus.
Das aber entspricht nicht dem Wesen des Menschen, zumindest nicht dem Menschen des Westens. Niemand formulierte dies trefflicher als Dostojewski, der einst schrieb:
„Die Ameise kennt die Formel ihres Ameisenhaufens, die Biene kennt die Formel ihres Bienenstocks. Sie kennen sie zwar nicht auf Menschenart, sondern auf ihre Art. Aber mehr brauchen sie nicht. Nur der Mensch kennt seine Formel nicht.“
Knapp 100 Jahre später deutete der Mathematiker und Sozialismusforscher Igor Schafarewitsch die Worte Dostojewskis in seinem Werk „Der Todestrieb in der Geschichte“.
„All das wird von einer Idee getrieben: Der Beseitigung der Individualität oder wenigstens ihrer so weit gehenden Unterdrückung, dass sie aufhört, eine soziale Kraft zu sein. Die Vergleiche, die Dostojewski benutzte, Bienenstock, Ameisenhaufen, erweisen sich im Lichte der ethologischen Gesellschaftsklassifizierungen als besonders zutreffend: Hier haben wir tatsächlich das Modell einer anonymen Gesellschaft vor uns.“
Diagramme mit tausend Pfeilen: ein Traum für Bürokraten
Nach diesem Exkurs in die russische Gedankenwelt kehren wir in die nüchterne Bürokratie der klebenden Klimarevoluzzer zurück. Wer etwas über die Struktur der Letzten Generation erfahren möchte, klickt nichtsahnend auf den Link zum Organigramm der Extremisten und wird weitergeleitet zu einem Tentakelmonster aus Pfeilen in einem Miro-Diagramm. Miro, so muss man wissen, ist ein sehr populäres Spielzeug der heutigen Akademikergeneration zur Visualisierung (oder Verklausulierung, je nachdem) organisatorischer Prozesse und Strukturen.
Diese Diagramme, die den Charme eines elektrischen Schaltplans versprühen, wurden offensichtlich nach dem Prinzip „mehr ist weniger“ erstellt, sind aber dennoch bezeichnend für eine bestimmte Geisteshaltung. Denn sie sind nicht nur ein weiterer Beleg für die zutiefst bürokratische Grundhaltung der Extremisten, sie versinnbildlichen auch die fast schon als infantil zu bezeichnende Weltsicht, nach der die Reife und Komplexität einer Struktur sich vor allem dadurch auszeichnet, dass möglichst viele Pfeile und gestrichelte Linien von überall an alle anderen Orte fließen. Wer solch ein Diagramm gesehen hat, wundert sich nicht, dass die Generation „Master in Gender-Studies“ spätestens seit der Corona-Pandemie nachweislich von einem Karriereweg als Beamter träumt. Den ganzen Tag Diagramme machen, was könnte schöner sein?
Melli, Henning, Lea und Carla sind genervt vom wave zu wave Denken
Die Diagramme machen aber auch eines deutlich. An der Spitze von allem steht das Kernteam bzw. die Kerngruppe. An einer Stelle erfährt man, das Kernteam wäre Teil der Kerngruppe. Doch wer das Kernteam oder die Kerngruppe ist, erfährt man nicht. Man kann es höchstens raten, wenn man sich zum Beispiel die kurze Geschichte durchliest, eine halbseitige Stichpunktliste, die aussieht, als hätte man sie auf einem alten Laptop gefunden, aus Nostalgiegründen aufgehoben und nun versehentlich auf die Webseite gestellt.
Dort erfährt man zur Entstehungsgeschichte der Letzten Generation, dass im August 2021 „Melli [Guttmann?], Henning [Jeschke?] und Lea [Bonasera?] beim HS (zusammen mit Hannah [Lübbert?])“ waren. Dort besprachen die vier Ökofreunde dann die „langfristige Strategie“, wobei sie zugeben, „genervt“ gewesen zu sein, „dass wir nur von wave zu wave denken“. Auch verspürten sie „unwohlsein bei XR“. Was XR oder HS sind, erfährt der Leser nicht einmal im Glossar, aber das ist wohl nicht so wichtig. Das Gefühl des „unwohlseins“ genügt.
Was man damit allerdings noch immer nicht begreift, ist, wieso das Kernteam (oder die Kerngruppe) bestimmte strategische Entscheidungen trifft. In Werbevideos ist das höchste der Gefühle, wenn behauptet wird, „die Wissenschaft sagt“, man habe noch „zwei bis drei Jahre Zeit“, um etwas zu verändern. Wer das Kernteam und die Kerngruppe anstößt, wird nirgendwo offenbart. Welche Geldmittel – und damit einhergehend welche Erwartungen – fließen, um die Organisation zu betreiben, wird nur mit einem Satz auf der Hauptseite der Letzten Generation erwähnt, findet aber auf der, angeblich um Transparenz bemühten, Wiki-Seite keinen Eingang. Wer sich dort über die Finanzen und die „Ermöglichungs-AG“ informiert, findet nur eine allgemeine Beschreibung der Aufgaben jener Extremisten, die sich um die weitere Akquise von Finanzmitteln bemühen.
Dankbare Mitarbeit am Aufbau der politischen Revolution
Insgesamt zeichnet sich die Wiki-Seite der Letzten Generation bei genauerem Hinsehen vor allem durch die Dinge aus, die man auf ihr nicht erfährt. Neben den exakten Personen und Entscheidungsträgern an der Spitze gehören dazu vor allem die Finanzströme. Besonders auffallend ist aber die Abwesenheit einer Seite, die bei der Erstveröffentlichung Ende März noch öffentlich einsehbar war, die nun aber – nach Auskunft von Marcel von der IT-Abteilung – in den internen Bereich verlagert wurde. Es handelt sich dabei um die Seite „Prinzipien unserer Zusammenarbeit“, von der mir leider kein Screenshot mehr vorliegt, ja, die sogar fürsorglich aus dem Internetarchiv und dem Google Cache entfernt wurde, die aber in ihrer ursprünglichen Fassung einige interessante Details beinhaltete.
So wurde dort erklärt, dass Mitglieder zwar an manchen Stellen durchaus ihre Meinung sagen könnten, letztlich aber keine demokratischen Strukturen vorlägen und die Entscheidungen der Spitze durchgeführt werden müssten. Unliebsame Mitglieder würde man dazu bringen, die Gruppe wieder zu verlassen. Die aber wohl bemerkenswerteste Formulierung, die unter normalen Umständen auch den Chef des Verfassungsschutzes ob seiner bisherigen Einschätzung stutzig machen sollte, ist jenes Zitat, dass ich mir bereits im März notierte: „Wir sind dankbar für diese Gelegenheit und wissen, was für eine Ehre es ist, miteinander und mit allen Freiwilligen zusammenzuarbeiten, um die politische Revolution aufzubauen.“
Entlarvend ist in der Hinsicht auch, dass die Letzte Generation laut obigem Zitat „dankbar für die Gelegenheit“ und für die „Ehre“ ist, um an der politischen Revolution zu arbeiten. Wie Eis in der Sonne schmilzt somit die Tarnung des gezwungenen Handelns durch die vermeintliche Klimakrise und offenbart sich im Gegenteil, der Stolz zu den auserwählten Berufsrevolutionären zu gehören. Diese neuen Bürokraten, geblendet von ihrem eigenen Missionierungsdrang, fühlen sich berufen und befähigt, mit ihren Diagrammen und emotionaler Hysterie nichts Geringeres zu vollbringen, als wieder einmal die Schaffung einer neuen Welt. Unfähig, auch nur eine übersichtliche Wiki-Seite zu bauen und eine Geschichte ihrer Organisation in ganzen Sätzen zu schreiben, glauben die Extremisten tatsächlich, gesellschaftspolitische Einsichten errungen zu haben, die all das Wissen der Jahrtausende vor ihnen übersteigt. Man kann sich schwer des Eindrucks erwehren, dass diese Hybris die finanziellen und politischen Kräfte hinter dem Kernteam (oder der Kerngruppe) nur freuen kann, zumindest solange sie ihnen in die Karten spielen.