Ein junger Mann schreit einen Polizist an, bespuckt ihn, schlägt zu und bedroht ihn. So berichteten wir am 27. Januar 2019. Ein Polizist steht unter Verdacht, das Video illegal verbreitet zu haben, so die neue Lage.
Wir wissen nicht, welcher Umstand für den Beamten der konkrete Anlass gewesen sein könnte, aus einem polizeilichen Ermittlungsvorgang ein Video an die Öffentlichkeit durchzustechen.
„Erstaunlicherweise“ gilt auch für Polizeibeamte die rechtsstaatliche Unschuldsvermutung, solange die Beschuldigung nicht erwiesen ist. Öffentlich herbeiphantasierte Vorverurteilungen von Polizisten sind üblich und gängige Praxis, währenddessen man bei anderen Tatverdächtigen primär und regelmäßig an die Persönlichkeitsrechte des „armen Täters“ appelliert. Diese wären mit der Veröffentlichung der Bilder grundlegend verletzt, da eine Öffentlichkeitsfahndung unwahrscheinlich gewesen wäre.
Berliner Traditionen
Stichwort Fahndungsbilder, hier ist Berlin „traditionell“ sowieso deutlich langsamer als andere Bundesländer. Hasch mich, ich bin der Mörder, ist hier eher unwahrscheinlich, überlange Bearbeitungsvorgänge eher üblich. Öffentliche Fahndungsbilder werden nach einem halben Jahr veröffentlicht, da sind manche Täter längst in einem Meer der Anonymität untergetaucht oder schutzsuchend außer Landes geflüchtet.
Selbst Berliner Politiker üben Kritik an der späten Veröffentlichungspraxis:
FDP-Innenexperte Marcel Luthe: „Wenn sich nach einem Monat abzeichnet, dass der Täter nicht zu finden ist, müssen die Fotos sofort gezeigt werden.“ Burkard Dregger (CDU): „Lässt sich die Straftat auf den Videoaufnahmen klar erkennen, sollte die Polizei die Bilder sofort veröffentlichen. Dann zählt das Schutzbedürfnis für die gezeigten Personen nicht mehr.“
Freilich sollten erst alle anderen strafprozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, bevor es eine richterliche Bestätigung zur Veröffentlichung der Bilder gibt. Das typisch Berliner Problem ist jedoch ein anderes, eine überlastete und kaputtgesparte Justiz und Polizei kommt mit der zeitnahen Bearbeitung von Straftaten nicht mehr hinterher. Das ist politisch so gewollt, obwohl es zum einfachen Grundwissen der Kriminologie gehört, dass nur bei zeitnah verurteilten Tätern eine heilsame Wirkung erzielt werden kann.
In Berlin lagen beispielsweise allein 2017 55.290 Ermittlungsvorgänge in der Ablage, die nicht bearbeitet werden konnten, da die personellen Ressourcen fehlten. Diese gingen auch nicht in die Zahlen der offiziellen Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) ein. Auch ein Beitrag, die Kriminalität zu senken. Wieviele davon mit Fahndungsmaßnahmen verbunden gewesen wären, verbleibt im Dunkeln Berliner Kriminalgeschichte.
Ob ein Polizeibeamter die Videobilder aus der Berliner U-Bahn über den pöbelnden aggressiven Mann veröffentlicht hat, ist gegenwärtig nicht erwiesen. Sollte der Sachverhalt zutreffen, wäre die Frage nach dem Motiv zu stellen, warum er/sie jenes tat.
War es nur gedankenlose Fahrlässigkeit in guter Absicht für den betroffenen Kollegen, der das Opfer war? Vielleicht Verbitterung darüber, dass Polizeibeamte zu wenig Schutz und Anerkennung durch Vorgesetzte und Politik erhalten? Wollte er alltägliche Zustände aus dem Polizeialltag, die auch von Hass und Gewalt gekennzeichnet sind, der Öffentlichkeit aufzeigen? Hatte er kein ausreichendes Vertrauen mehr in den eigenen Ermittlungsapparat, siehe meine o.g. Zeilen?
Sebastian L. (23) wurde am 24.01.2018 auf dem Flur des Amtsgerichts Tiergarten festgenommen, wurde am Tag darauf dem Haftrichter vorgeführt – und daraufhin in die Freiheit entlassen. Alles andere hätte mich auch überrascht.
Nur eine Frage der Zeit, bis der junge Mann, der vom Jobcenter alimentiert wird, als Opfer des Polizeibeamten angepriesen wird, der die Bilder in Netz gestellt hat.
Wir haben aufgrund der neuen Erkenntnisse das Video gelöscht.