Tichys Einblick
Späte Republikflucht

Ein „linker Rempler“?

Durs Grünbein, Uwe Tellkamps Mitdiskutant, meldet sich spät zu Wort und flüchtet hinter Versatzstücke. In einem Essay für die Süddeutsche Zeitung über den Abend demonstriert er seine Hilflosigkeit.

Screenprint: Youtube

Ist es nicht ein großartiges Ereignis, dass fast 1.000 Bürger eine Veranstaltung miterleben wollen, bei der nichts anderes geschieht, als dass ein Schriftsteller und ein Lyriker miteinander streiten. Widerspricht es nicht geradezu dem weitverbreiteten Klischee der Politikverdrossenheit, denn die beiden Autoren diskutieren über nichts anderes als über Politik, darüber, was in unserem Land geschieht, in gut republikanischer Weise über die öffentlichen Angelegenheiten und vertreten gegensätzliche Positionen. Muss man nicht der Sächsischen Zeitung dazu gratulieren, dass sie diese Veranstaltung initiiert hat? Den Bürgern der zu Unrecht vielgescholtenen Stadt Dresden für ihr politisches Interesse danken? Sucht man nach einem kräftigen, lebendigen Bild für den zur Phrase entleerten Begriff der gelebten Demokratie, dann bot es sich im Dresdener Kulturpalast am Abend des 8. März, als Uwe Tellkamp und Durs Grünbein über Meinungsfreiheit, „Flüchtlingskrise“ und über die Entwicklungen in unserem Land debattierten.

Autoren-Auszug?
Erste Konsequenzen für Suhrkamp nach Tellkamp-Distanzierung
Merkels Kanzlerinnenkunst bestand vor allem darin, jeglichen politischen Meinungsstreit zu anästhesieren, nur hat sie dabei nicht bedacht, dass irgendwann der Patient aus der Betäubung erwacht und sein Blick auf die Realität fällt. Die Spaltung der Gesellschaft findet ihre Beschleunigung und Radikalisierung darin, dass die politische Klasse – und es war nicht nur Merkel allein – eine fundamentale Veränderung Deutschlands eingeleitet hat, ohne die Bürger zu fragen, ob sie das überhaupt in ihrer Mehrheit wollen. Spannungen bleiben nicht aus, wenn die Regierung diese große Veränderung der Gesellschaft vorantreibt, von der Opposition dabei sekundiert, wofür sie aufgrund der Dimension der Transformation überhaupt kein Mandat besitzt, gleichzeitig jedoch jeden Diskussionsversuch stigmatisiert, wie man am Beispiel von Botho Strauß und Thilo Sarrazin sehen konnte.

Über die Haltung des Suhrkamp-Verlages ist genügend geschrieben und gesagt wurden. Er hatte mit seinem Tweet bestimmten Medien erst den Boden bereitet, von denen sie ihren Angriff auf den Autor Tellkamp starten konnten. Sie setzen dabei wieder einmal aus Mangel an Argumenten auf die Mittel der Herabsetzung, der Diffamierung. Der SPIEGEL schrieb bspw.: „Es ist nicht das erste Mal, dass Tellkamp durch rechte Positionen auffällt.“ Wie ein böses Kind auffällt, ein Rowdy, einer, der sich nicht zu benehmen weiß. Mit „rechten Positionen“ kann man allerdings allein dort auffallen, wo es nur „linke Positionen“ gibt.

In dieser Situation, wo die Berichterstattung sich gegen Uwe Tellkamp richtete, und zwar nicht inhaltlich, sondern im Ton der Empörung und sich sogar der Verlag gegen seinen Autor aussprach, hätte sich sofort, noch in der gleichen Minute, Tellkamps Kontrahent Durs Grünbein zu Wort melden müssen. Nichts von all dem geschah zunächst.

Nachdem sich Grünbein endlich äußerte, versteht man sein Zaudern. Seine Reaktion zeigt, wie inkonsistent, wie konformistisch seine Haltung ist. Statt seinen Verlag dafür zu kritisieren, dass er sich von Tellkamp distanziert hat, ärgert sich der Lyriker darüber, dass die Distanzierung Tellkamps These von der Meinungsdiktatur bestätigt und der Verlag nun als „linksliberaler Spießerverein“ dasteht. Der Blick in den Spiegel ist nicht immer erfreulich.

Ein Augenzeugenbericht
Tellkamp - Im Namen der Wahrheit
Dabei hätte Grünbein so gern in der Figur des Kosmopoliten, des homme de lettres, des großen Dichters, des Globetrotters, des Modernen geglänzt und sah sich auf einmal in die Kleinlichkeit des deutschen Hinterhofes versetzt. Deshalb unternahm er in einem Essay für die Süddeutsche Zeitung den schließlich missratenen Versuch, wenigstens ein wenig des erhofften Glanzes herbeizuzaubern, und dokumentierte doch nur, dass er nicht begriffen hatte, worum sich der Streit eigentlich dreht. Vielleicht kann er das auch nicht, wo er „abwechselnd in Rom und Berlin lebt“, wo ihm Europa genauso wichtig ist wie Deutschland, und Dresden „wie jede andere kleine oder große Metropole auf diesem Erdball“. Doch wem alles gleich gültig ist, der läuft Gefahr, dass ihm auch alles gleichgültig wird.

Was weiß Grünbein von den Nöten der Bürger in diesem Land, von dem Leid der Mädchen, vom Schmerz der Eltern, deren Töchter erstochen, vergewaltigt oder missbraucht werden, von der Diskriminierung deutscher Kinder in deutschen Schulen, in denen sie in der hoffnungslosen Minderheit sind, von den Kämpfen an der Tafel? Hat sich der Flaneur einmal in No-go-Area-Zonen begeben? In letzter Zeit auf den Hamburger Jungfernstieg? Es sieht nicht danach aus.

Stattdessen stilisiert er sich in einem Akt peinlicher Selbstheroisierung als „Gladiator“, der in einen „Kampf“ hinaus geht und dabei die „Lüste des Publikums, das seit zweitausend Jahren Abendland immer dasselbe will: Unterhaltung, Blutvergießen, Geschrei“ zu kennen meint. Ist Durs Grünbein aus Dresden-Hellerau wirklich am 8. März 2018 mit dem Schwert in der Hand in eine Arena getreten und hat einen Kampf vor einer blutgierigen Menge auf Leben und Tod geführt? Hat ihm niemand zuvor gesagt, dass wir im 21. Jahrhundert leben und er in eine Podiumsdiskussion geht, die von mündigen Bürger besucht wird, die an Standpunkten und Argumenten interessiert sind, nicht aber am Metzeln und am Blutvergießen? Der Wirklichkeitsverlust ist atemberaubend.

Durs Grünbein, der Welterfahrene, der Weltreisende kann den Gegner nur als „Heimatdichter“ sehen, als einen, der in geistiger Provinzialität haust, in seinem hofffnungslosen Hinterwäldlertum Ressentiment auf Ressentiment häuft und der für ihn, den Weltläufigen, eigentlich nur ein „Sparringspartner“ sein kann. Ein Gladiatorenkampf mit „Sparringspartner“?

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Für Grünbein findet sich der Grund der Ressentiments der Hiergebliebenen in der Demütigung, die von der deutschen Einheit ausgegangen ist. Die Kritik an der Veränderung der deutschen Gesellschaft, an dem Experiment mit 80 Millionen Beteiligten „eine monoethnische und monokulturelle Demokratie in eine multiethnische“ zu verwandeln (Yasha Mounk), entspringt, so will uns der Lyriker lehren, „enttäuschte Erwartungen, verlorene Illusionen“. Grünbein zeigt sich entnervt von den „kleinen, unbeglichenen Rechnungen“, die den Streit nähren, von dem Gezänk der Ostdeutschen und der Westdeutschen. Grünbeins Ärger entlädt sich in dem skandalösen Satz, der doch so erstaunlich klein ist in seiner überbordenden Arroganz: „Dieselben Leute, die in die Sozialsysteme des Westens eingewandert sind, beklagen sich heute über den Zuzug aus anderen Erdteilen.“ Dieselben Leute, nämlich die, auf die der Großlyriker so verächtlich herabblickt, ermöglichen ihm das Leben, das er führt, dieselben Leute zahlen in die Sozial- und Kultursysteme ein, in die Literaturpreise. Woher soll der Weltreisende wissen, dass Ostdeutschland eine Arbeitslosenquote von nur 7.8 % hat und den Schluss der Statistik übrigens das „ostdeutsche“ Bundesland Bremen bildet?

Grünbein bedient die im medialen Establishment beliebte Mär vom Ostdeutschen als Migranten, der fremd in seinem Land ist. Wenn er die Larmoyanz des Ostdeutschen anprangert, spürt man die Abneigung, die er empfindet. Der Eindruck drängt sich auf, dass der Weltreisende so gern den ostdeutschen Staub von seinen Schuhen streifen möchte.

Doch die Entfremdung des Landes von seinen Bürgern ist eine gesamtdeutsche Entwicklung, die übrigens auch gesamtdeutsch wahrgenommen wird, und die ihren Ursprung in der permanenten Übertragung von nationalen Souveränitätsrechten auf die Brüsseler Ebene, in der Ausplünderung von Sparern, aber auch von Versicherten durch die Nullzinspolitik der EZB und schließlich durch eine Masseneinwanderung in unsere Sozialsysteme hat.

Es sind eben nicht dumpfe Ressentiments, Vorurteile, Neid- und Benachteiligungsgefühle, die Bürger bewegen, es sind auch nicht die Abgehängten und Denkschwachen, die zu den Matadoren eines rot-grünen Establishments mit schwarzer Kanzlerin auf Distanz gehen, sondern es sind Gutverdiener, Menschen, die im Berufsleben stehen, die Rechnen, Denken und Wahrnehmen können und sich deshalb um ihre, vor allem aber um die Zukunft ihrer Kinder sorgen. Übrigens, in Ost und West.

Presseerklärung
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Doch die Realität erreicht nicht mehr den Blick des Lyrikers, der sich in seinem Essay stets selbst widerspricht. Nachdem er behauptet hat: „Diese dummen Rempeleien von links und rechts mache ich nicht mit“, „rempelt“ er ausgiebig von links gegen rechts. Er behauptet, „das Hetzvokabular kommt eindeutig von rechts.“ Der Kabarettist Uwe Steimle wurde von einem Grünen als „völkisch-antisemitischer Jammer-Ossi“ bezeichnet, aber für Grünbein stammt das Hetzvokabular von rechts. Hat sich Grünbein einmal die Mühe gemacht, sich die einschlägigen Antifa-Seiten anzuschauen? Den Demonstrationsslogan „Deutschland – du mieses Stück Scheiße“ gilt dem Lyriker sicher als dichterisch überhöhter Ausdruck für Vaterland. Und den Satz: „Der baldige Abgang der Deutschen ist Völkersterben von seiner schönsten Seite“ wird er wohl als zivilisatorischen Höhepunkt preisen. Nein, das Hetzvokabular kommt eindeutig von linksextremer und rechtsextremer Seite gleichermaßen. Es hat nichts mit links oder rechts zu tun, sondern mit dem Extremismus von nicht mehr diskursfähigen Vorstellungen, Ansichten und Meinungen.

Über die Buchhändlerin Susanne Dagen, die die Charta 2017 initiiert hatte, spricht er abfällig als über diejenige, die „den ganzen Bohei losgetreten hat“ – was für ein vollendet dichterischer Ausdruck. Menschlich sind die Zeilen über die Buchhändlerin niederschmetternd, verraten sie doch viel über den Lyriker, sprachlich nicht minder.
Durs Grünbein arbeitet mit Versatzstücken, mit denen er so verzweifelt wie erfolglos versucht, gegen den Andrang der Wirklichkeit anzukämpfen. Der Lyriker schreibt am Schluss seines Textes: „Man hat mich gefragt, wo an diesem denkwürdigen Abend in Dresden die Dichtung geblieben war.“ Ich hingegen fragte mich nach der Lektüre des Textes, wo die Stringenz des Denkens, die Logik der Argumentation und die Sprache des Lyrikers in dem gereizten, verschwiemelten Text geblieben war.

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