Tichys Einblick
Vom Tunnelblick und mündlicher Überlieferung

Dumme weiße Männer – schuld an allem?

Manche Autoren wollen alles mit "dummen weißen Männern" erklären, mit King Kong und der weißen Frau. Steckt in der berechtigten Empörung über die sexuellen Nötigungen und Vergewaltigungen in Köln, in diesem Hochkochen der Stimmungen möglicherweise auch eine spezifisch deutsche Erfahrung, die 1945 verankert ist?

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Alan Posener ist weißer Europäer und Autor der WELT. Aktuell teilt er die Überzeugung, dass die deutsche Empörung über die Kölner Übergriffe auf Frauen durch Nordafrikaner auch deshalb besonders heftig ausfällt, weil hier Dunkelhäutige die weißen Frauen des weißen Mannes schänden: King Kong und die weiße Frau.

So unterstellt Posener der Focus-Redaktion, sie hätte schon deshalb eine hellhäutige Nackte mit schwarzen Handabdrücken am ganzen Körper abgebildet, weil man auf „die Lust der Leser“ spekulieren würde, „das zu tun, wofür sie die Migranten hassen.“  Was weiße Männer bei der Betrachtung dieses Covers empfänden, wäre eine „Mischung aus Angst und Lust“. Ein „Mechanismus der Doppelmoral“, der für den Welt-Autor allerdings auch in seiner sexistischen Spiegelung für den arabischen Menschen gilt, denn nirgendwo würden „so viel Internetpornografie konsumiert (…) wie in den arabischen Ländern.“ Der Mensch als Schwein per Geschlecht. Der Mann nicht mehr das unbekannte Wesen, sondern identifiziert als potentieller Frauenschänder.

Dumme weiße Männer

Posener zur Seite steht beispielsweise Lalon Sander, Chef vom Dienst bei der Tageszeitung, und Autor der TAZ-Kolumne: „Dumme weiße Männer.“ Der meint, sexuelle Gewalt würde „offenbar erst dann als solche anerkannt, wenn sie von nichtweißen Männern ausgeübt wird.“ Und TAZ Kollegin Hengameh Yaghoobifarah ergänzt: „Sobald die Täter eben nicht mehr ihre potenziellen Väter, Ehemänner, Brüder oder Söhne sind, sondern die bösen Männer of Color, ist die Sorge um das Wohl deutscher Frauen sehr groß.“ Für die Autorin steht fest: „Ginge es nicht um die Reproduktion des rassistischen Bilds der unschuldigen, weißen Frau, die vor dem aggressiven, muslimischen Mann geschützt werden muss, würden diese Vorfälle kaum viral gehen.“

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Aber ist das wirklich so? Sind deutsche Männer nur deshalb so besonders empört über die Vorfälle in Köln, weil sie ihre Frauen lieber selber vergewaltigen als zuzusehen, wie diese quasi vor ihren Augen von Dunkelhäutigen geschändet werden? Jetzt könnte man solche aufmerksamkeitsheischenden Thesen – irgendwo in der Asservatenkammer der Kolonialgeschichte ausgegraben –  getrost ignorieren oder als phsychologisierenden Unfug einer überbordenden schmutzigen Fantasie abtun. Man könnte aber auch konstatieren, dass diese Erregung auf der Empörungsskala tatsächlich auf einem erstaunlich hohen Level nahe der Hysterie angekommen ist. Dass rechtsnationale Kreise nun jubilieren, weil sie Köln ja schon immer vorausgesagt hätten, mag in sich noch nachvollziehbar sein. Aber die Aufregung ist viel umfassender, sie kommt aus der Mitte der Gesellschaft.

Gibt es möglicherweise doch eine weitere Erklärung für diese dann doch überraschende Intensität der Empörung? Ein Mosaikstein mehr? Hat sie doch etwas typisch Deutsches und ist nicht Produkt einer universellen männlichen Dualität aus Angst und Lust, wie sie besagte Autoren als nicht mehr nachvollziehbares Erklärungsmodell anbieten?

Eine DNA der mündlichen Überlieferung?

Wie wäre es damit? Möglicherweise gibt es ja so etwas, wie ein Volksgedächtnis. Nein, keine Sorge, hier geht es nicht um Erinnerungen gestempelt in die DNA, da würde jeder Biologe mit Recht Sturm laufen, gemeint ist diese Duplizität individueller Erzählungen und Überlieferung, die Verwandtschaft der emotionalen Befindlichkeiten einer Generation weitergereicht an die nächste und die nächste …

In den nächsten Jahren sterben die letzten jener Frauen, die zu Hunderttausenden 1945 von Soldaten der Roten Armee (und in kleiner Zahl von westlichen Armeen) geschändet wurden. Kaum eine deutsche Familie, die damals mit den Soldaten Stalins Bekanntschaft machte, ist frei von diesen grausigen Erlebnissen. Die noch 50 Jahre später jede Nacht viehisch schreiend aufwachende Großmutter ist sicher das Extrembeispiel. Aber es gab sie. Die erst ein halbes Jahrhundert später im Angesicht des nahenden natürlichen Todes noch einmal final hoch-kochenden Düsterbilder sind da schon typischer: Altenpflegerinnen können ein Lied davon singen. Erklärbar ist das schwer, aber vielfach belegt, dass bei alten Menschen solche lebenslang verdrängten Erinnerungen quasi in letzter Minute und noch mal mit aller Intensität herausbrechen.

Das Magazin TTT berichtete noch im Jahre 2015, dass bis heute über diese Massenvergewaltigungen geschwiegen wird. Allerdings bezog man sich dabei auf  Verbrechen US-Amerikanischer Soldaten. Natürlich gibt es heute Sachbücher und Literatur. Sogar emotional aufwühlende Filme und Dokumentationen. Aber die Opfer sind in der persönlichen Reflexion der Frauen meistens die anderen, die Mütter und Großmütter der Nachbarn. Man selber hatte ja Glück. Über die anderen lässt sich leichter erzählen, als über das unmittelbar eigene Schicksal. Selbstmitleid frisst einen auf, ist schwer auszuhalten. Aber es blieb keinen Alternative, wo man, wenn man gelernt hatte, zu schweigen. „Meine Frau wurde vom Russen vergewaltigt“, waren niemals Sätze, die der Ehemann anklagend an wenn auch immer richtete. Die Verhältnisse waren damals zwar nicht vergleichbar mit den heutigen in Scharia-Ländern wie Saudi Arabien, wo vergewaltigte Frauen automatisch nicht nur eine Mitschuld, sondern die Alleinschuld tragen, aber tabuisiert waren Vergewaltigungen auch in Deutschland quer durch die Nachkriegsgesellschaft.

„Schande“ Vergewaltigung

Es fühlte sich für die Frauen nicht an wie eine gerechte Strafe, aber so wurde es von ihnen selbst und anderen behandelt. Man hatte den Krieg verloren und damit auch das Recht, die Täter aus den Kreisen der Sieger anzuklagen. Irgendein Anspruch öffentlich zu trauern war ebenso verwirkt, wie die Möglichkeit in der Familie selbst Trost und Rückhalt zu finden. Wo man niemanden verurteilen kann, weil die Soldaten der Roten Armee straffrei blieben, war auch keine Schuld fest zu machen. Dass die eigenen Männer als Soldaten in fremden Ländern im Namen von Gott und Vaterland und Ideologie ihre eigenen Verbrechen begingen, wollte die Generation unserer Großeltern und Eltern lange nicht wahrhaben wie vieles andere nicht.

Und so wuchsen die Nachgeborenen gleichermaßen mit den Kriegstraumata der Frauen, der Mütter und Großmütter auf. Emma berichtete darüber 1989 und die Morgenpost ging 2013 der Frage nach, inwieweit diese Traumata die nächsten Generationen beeinflusst haben: „Über Jahrzehnte trugen die Frauen ihre ‚Schande‘ allein mit sich herum. Erst mit dem Abzug der sowjetischen Truppen nach der Wende oder dem Tod des Partners wagten die Frauen, sich ihren Kindern oder Enkeln zu offenbaren. Manchmal wurden dadurch zunächst weitere familiäre Krisen ausgelöst, in manchen Fällen gelang es, diese zu bewältigen.“

Und wer selbst Kinder hat, weiß um diese sensiblen emotionalen Antennen, denen man kaum eine Regung verbergen kann. Urvertrauen öffnet die Seele weit wie ein Scheunentor. Aber der Filter fehlt. Millionen Deutsche ringen heute um ihre innere Verfassung. Die Selbstbespieglung ist keine Schande mehr. Kurse, Psychologen, Therapien, Selbsterfahrungsgruppen gibt es en masse. Die seelischen Verwerfungen sind ein undurchdringliches Knäuel. Steckt in den hochemotionalen Reaktionen auch noch ein Stück hilfloser Wut über erlittenes Unrecht?

Warum also soll nicht auch einer diesen Fäden zurückführen ins Jahr 1945? Es wäre tatsächlich erstaunlich, wenn dem nicht so wäre. Das sagt nun allerdings einiges aus über das Deutschland von heute. Vielleicht ist da doch mehr, was uns verbindet im Guten wie im Schlechten, das über die Staatsbürgerschaft hinaus geht. Das Entsetzen und die Empörung über Köln ist eine urmenschliche Reaktion. Getragen von viel Mitgefühl und noch mehr Hilflosigkeit und sicher nicht von Lust, wie bei den eingangs erwähnten Autoren. Möglicherweise kommt aber noch ein spezifisch deutsches Entsetzen dazu. Angelegt in unseren Großmüttern 1945, im Jahr der Befreiung.

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