Tichys Einblick
Nach Abendessen mit Angela Merkel

Dünne Begründung: Bundesverfassungsgericht erklärt sich selbst für nicht befangen

Der Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau hält die Begründung des Bundesverfassungsgerichts für "denkbar dünn", mit der es die Befangenheit der von Merkel zum Abendessen geladenen Richter verneinte. In der Klage der AfD wegen ihrer Aussagen zur Kemmerich-Wahl dürften Merkels Chancen schlecht stehen.

picture alliance/dpa | Uli Deck

Die Ablehnung eines Befangenheitsantrages der AfD durch das Bundesverfassungsgericht ist wohl ebenso einmalig wie der Antrag selbst und die dahinterstehende Organklage der AfD gegen die Bundeskanzlerin. Letztere hatte mit einer Delegation desselben Gerichts, das über diese Klage entscheiden wird, im Bundeskanzleramt zu Abend gegessen. Die AfD wirft in dem Organstreitverfahren der Kanzlerin vor, sie habe mit ihr Äußerung, die Wahl des thüringischen Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich müsse „rückgängig“ gemacht werden, ihr Amt missbraucht.

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Das Gericht verneinte die Befangenheit seiner eigenen Richter und wies das Gesuch der AfD als „unzulässig“ zurück. Die Begründung ist recht skurril: Einerseits heißt es, das Treffen „zum Gedanken- und Erfahrungsaustausch“ sei üblich im Sinne eines „Dialogs der Staatsorgane“ – tatsächlich fanden solche Abendessen bereits mehrfach in den vergangenen Jahren statt, nach Angaben des Regierungssprechers 2012, 2015, 2018 und 2019, weshalb er von einer „Tradition“ sprach. Eine nicht besonders alte also – und offenbar erst in Merkels Regierungszeit begründete Sitte. Auf der anderen Seite argumentiert das Gericht, dass Verfassungsrichter quasi schon allein deshalb nicht befangen sein können, weil sie Verfassungsrichter sind. In der Begründung heißt es: „Zudem käme darin ein Misstrauen gegenüber den Mitgliedern des Bundesverfassungsgerichts zum Ausdruck, das dem grundgesetzlich und einfachrechtlich vorausgesetzten Bild des Verfassungsrichters widerspricht.“

Zu diesem Satz erklärte der Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau, der in anderen Verfahren schon oftmals vors Bundesverfassungsgericht zog, gegenüber TE:

„D.h., der angebliche Unterschied der Kriterien einer möglichen Befangenheit (mit der Folge, dass es beim Bundesverfassungsgericht „offensichtlich“ praktisch keine Befangenheit gibt!) wird hier argumentativ auf nichts anderes als das semantische Kriterium des „Verfassungsorgans“ gestützt. Dies ist eine denkbar dünne und eigentlich gar keine Begründung, da hier das semantischen Kriterium „Verfassungsorgan“ zwar rhetorisch mit einigem Brimborium eingeführt wird, ohne dass aber irgendeine argumentative Entfaltung der Frage stattfindet, warum und inwiefern für die Richter eines Spruchkörpers, der semantisch zugleich auch als Teil eines Verfassungsorgans ausgewiesen werden könnte, völlig andere Befangenheitskriterien gelten sollten. Denn das eine hat ja eigentlich mit dem anderen schon auf den ersten Blick gar nichts zu tun.“

Die Sache hier sei besonders brisant, da – so Vosgerau weiter – der zweite Senat den Befangenheitsantrag nicht als ‚unbegründet‘, sondern als ‚offensichtlich unzulässig‘ abgelehnt hat, ‚da er sich auf eine gänzlich ungeeignete Begründung‘ stütze. Das bedeutet, dass hier eben keine anderen Richter des Bundesverfassungsgerichts ihren an dem Abendessen beteiligten Kollegen Nichtbefangenheit attestiert haben (es waren wohl nicht alle dabei), sondern hier haben die Richter des Zweiten Senats wirklich in eigener Sache sich selbst Nichtbefangenheit attestiert. Die Unverfrorenheit, wie selbstverständlich als Richter in eigenen Angelegenheiten aufzutreten, entspricht dabei kaum der deutschen Verfassungstradition.“

Bemerkenswert ist auch, dass die Bundesregierung über die näheren Umstände des Abendessens so gut wie nichts sagt. Auf eine Anfrage von TE an die Bundesregierung, ob dieses Treffen privaten oder offiziellen Charakter habe, ging das Bundespresseamt überhaupt nicht ein. Auch die Frage nach den Kosten der Bewirtung wurde ignoriert. Die Antwort bestand ausschließlich aus dem Verweis auf die spärliche Aussage von Regierungssprecher Steffen Seibert in der Regierungspressekonferenz vom 12. Juli. Dort sagte er, er könne nicht sagen, von wem diese Institution der gemeinsamen Abendessen eingeführt wurde. Aber er wusste, dass solche 2012, 2015, 2018 und 2019 schon stattfanden. Womöglich wollte er vermeiden zu sagen, dass diese Tradition eine von Merkel eingeführte ist. Und dann folgte noch ein echter Pressesprecher-Satz: „Ich kann noch hinzufügen, dass diese Gespräche dem allgemeinen Austausch von Gedanken und Erfahrungen dienen und dass niemals anhängige Gerichtsverfahren Gegenstand dieses Gedankenaustauschs sind. Beide Verfassungsorgane, die Bundesregierung wie auch das Bundesverfassungsgericht, sind sich ihrer hohen Verantwortung bewusst.“

Es hätte dem Vertrauen in diese hohe Verantwortung der Verfassungsorgane und die Nichtbefangenheit der Richter aber sicher gut getan, wenn die Öffentlichkeit erfahren hätte, welche „Gedanken und Erfahrungen“ da ausgetauscht wurden.

Vosgerau macht deutlich: „Die Ablehnung eines Richters – auch beim Bundesverfassungsgericht! – setzt nicht etwa voraus, dass dieser „wirklich“ befangen ist, man dies auch „beweisen“ kann oder dergleichen. Sondern es genügt die Besorgnis der Befangenheit, d.h. es müssen irgendwelche Umstände vorliegen, die Aussicht auch einer vernünftigen und einigermaßen objektiv denkenden Prozeßpartei Zweifel daran begründen, dass ein Richter sein Amt auch wirklich unparteiisch ausüben werde. Würde im Rahmen eines Verfahrens beim Landgericht herauskommen, dass die gesamte Kammer sich drei Wochen vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung von einer Prozesspartei zu einem opulenten Abendessen hat einladen lassen, in dessen Folge man sich dann noch bis spät in die Nacht angeregt, aber harmonisch über die neusten politischen Entwicklungen ausgetauscht hat, so würde dies selbstverständlich nicht nur einen Befangenheitsantrag gegen sämtliche beteiligte Richter begründet werden lassen, sondern über dies den Verdacht der Vorteilsnahme, also der Korruption gegen die Kammer begründen. Die mündliche Verhandlung würde auf jeden Fall nicht wie geplant stattfinden.“

Verfassungsrechtler Murswiek im Interview
"Das Bundesverfassungsgericht zaubert eine Verfassungsnorm"
In der Organklage selbst geht es um den Vorwurf des Amtsmissbrauchs gegen die Kanzlerin in der sogenannten Thüringen-Krise im Februar 2020. Der FDP-Landtagsabgeordnete Thomas Kemmerich wurde mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD zum Ministerpräsidenten gewählt. Am Tag danach hatte Merkel während eines Staatsbesuchs in Südafrika zu Beginn einer Pressekonferenz gesagt: „Die Wahl dieses Ministerpräsidenten war ein einzigartiger Vorgang, der mit einer Grundüberzeugung für die CDU und auch für mich gebrochen hat, dass nämlich keine Mehrheiten mit Hilfe der AfD gewonnen werden sollen. Da dies in der Konstellation, in der im dritten Wahlgang gewählt wurde, absehbar war, muss man sagen, dass dieser Vorgang unverzeihlich ist und deshalb das Ergebnis rückgängig gemacht werden muss. Zumindest gilt für die CDU, dass sich die CDU nicht an einer Regierung unter dem gewählten Ministerpräsidenten beteiligen darf. Es war ein schlechter Tag für die Demokratie.“

Merkel habe, so die Argumentation der Organklage der AfD, ihre Amtsautorität für parteipolitische Äußerungen missbraucht und dabei die Chancengleichheit der AfD verletzt. Sie habe auch rechtswidrig staatliche Ressourcen eingesetzt, weil die Aussagen auf den Webseiten der Kanzlerin und der Bundesregierung veröffentlicht wurden.

Letzteres könnte ein aussichtsreicher Vorwurf sein. Denn die AfD hat bereits eine ähnliche Organklage gegen Bundesinnenminister Horst Seehofer gewonnen, der ein Interview mit AfD-kritischen Äußerungen auf der Ministeriumswebsite veröffentlicht hatte – unrechtmäßig, wie das Bundesverfassungsgericht entschied.

Prof. Fritz Vahrenholt im Interview
Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts: War eine Verfassungsrichterin befangen?
Die Chancen stehen vermutlich auch deswegen schlecht für Merkel, weil Kanzleramtsminister Helge Braun vor Ort eine sehr fragwürdige Begründung ablieferte. Statt – wie es zu erwarten gewesen wäre – zu betonen, dass Merkel sich als Politikerin und nicht als Kanzlerin geäußert habe, gestand er gar indirekt ein, dass sie sich in der Funktion der Regierungschefin geäußert habe.

Wenn das Bundesverfassungsgericht Merkel im weiteren freisprechen will, muss es eine grundsätzliche Entscheidung über die Rechte und Pflichten eines Bundeskanzlers treffen, muss die bisher geltenden Maßstäbe also verrücken.

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