Tichys Einblick
Eine Frage des Gönnens?

Grüner Netzagentur-Chef – Staatliche Kommunikations-Herrschaft ist das Ziel

Noch ist das deutsche DSA-Gesetz nicht da, schon schlüpft die Bundesnetzagentur in ihre neue Aufgabe. Der grüne Agenturchef nimmt informell an Brüsseler Runden teil. Im Inland sammelt er Hinweise auf Verstöße auf X und TikTok. Ein Spitzelnetzwerk wird aufgebaut. Staatliche Herrschaft über die Kommunikation ist das Ziel.

IMAGO - Collage: TE

Sie treffen sich schon manchmal in Brüssel, 27 Digital-Koordinatoren und führen in gespenstischer Runde Gespräche darüber, wie dieser Digital Services Act (DSA), dieses Digitale-Dienste-Gesetz der EU, zu verstehen ist. Denn über den Sinn dieses Textes hat sich offenbar in nachteiliger Weise die babylonische Sprachen- und Kulturenverwirrung dieser EU gesenkt. So liest sich der Statusbericht des Chefs der Bundesnetzagentur, Klaus Müller. Müller war vormals für fünf Jahre Umwelt- und Landwirtschaftsminister in Kiel und damit Vorgänger von Robert Habeck, der ihn 2022 auf den Chefsessel in der Bonner Netzagentur berief.

Nun also Reisen nach Brüssel, konspirative Gespräche mit anderen Koordinatoren. Richtig ist: Laut dem Gesetzentwurf der Ampel soll die Bundesnetzagentur für die Anwendung der national umzusetzenden Teile des Digitale-Dienste-Gesetzes der EU (Digital Services Act, DSA) zuständig werden. Dazu müsste aber das vom Verkehrs- und Digitalministerium vorgelegte Bundesgesetz erst einmal verabschiedet sein. Das soll im Laufe der ersten Jahreshälfte 2024 geschehen. Die Netzagentur ist also noch keineswegs mit irgendeiner Tätigkeit in dieser Hinsicht betraut. Sie wird das nie sein, soweit es um X oder einen der anderen großen Anbieter (mit mindestens 45 Millionen Nutzern in der EU) geht. Denn die verbleiben im Aufgabenbereich der Kommission, die sich selbst diesen Platz im Mechanismus zugewiesen hat.

Klaus Müller macht sich als Präsident der Bundesnetzagentur also freiwillig zum Büttel und zum verlängerten Arm der Kommission, für die er schon jetzt Daten zu angeblichen Rechtsverstößen auf X, aber auch auf TikTok und dem chinesischen Online-Marktplatz Temu sammeln will. Temu könnte als kleinerer Anbieter irgendwann in Müllers Zuständigkeit fallen, dort geht es um fehlerhafte technische Geräte; das ist eher der klassische Beritt der Bonner Netzwerkagentur. Müller geht es aber – aus durchsichtigen politischen Gründen – vor allem um X, und hier nimmt man einen gewissen Schaum um den Mund des grünen Agenturpräsidenten wahr.

Was „nachteilig“ ist, entscheiden 27 Digital-Koordinatoren

Der Schaum fiel anscheinend sogar dem Spiegel auf, der Müller befragte, ebenso dass es ja ein deutsches Umsetzungsgesetz zum DSA noch gar nicht gibt. Müller gibt sich unverdrossen, ja geradezu in habeckscher Manier hartgesotten („Du kriegst den Impfausweis und eine Spritze im Arm und fertig“). Müllers Variante lautet: „Jammern bringt aber nichts, und es geht auch voran jetzt.“ Vorwärts und nicht vergessen, auch ohne rechtliche Grundlage. Den angerichteten Schaden hält er eher für „symbolisch“. So heißt das jetzt also bei den Grünen, wenn die Gesetze mal wieder nicht zum eigenen Handeln passen. Symbolischer Schaden. Das Bild zum Interview ist angemessen düster.

Eigentlich ist Müller ja regierungsbestallter Aufseher über so profane Dinge wie Elektrizität, Gas, Post und Eisenbahn. Aber das Wörtchen „Telekommunikation“ bietet ihm ein Schlupfloch in die digitale Datenwelt. Bisher stand es eher für die Aufsicht über die in Deutschland schlecht funktionierenden Mobilfunknetze, bald auch über die Netzwerke, in denen eher schriftliche und Bildinformationen ausgetauscht werden. Bald, nicht jetzt, aber das ist ja, wie gesagt, egal.

Das Problem der Grünen an der Macht ist ihre Prinzipien- und Kriterienlosigkeit. Für Müller ist es etwa „ganz offensichtlich“, dass Elon Musk sich bei X „nicht mehr ausreichend um Hassrede kümmert“, wo andere die Befreiung des alten Twitter aus den administrativen Schlingen des Weißen Hauses ein unbestreitbarer Fortschritt ist. Und wieder andere werden auf stichhaltigen Beweisen bestehen und dabei vielleicht auch etwas weniger sensibel sein, als die Grünen an der Macht es gewöhnlich zu sein pflegen.

Doch der DSA kommt Müller in seinem Werte-Relativismus zu Pass, denn auch in der EU-Verordnung finden sich keine verlässlichen Kriterien für die gemäß ihr zu verfolgenden Inhalte: Diese können rechtswidrig sein, sie können versehentlich falsch informieren oder absichtlich desinformieren. Sie können aber auch nichts von alledem tun und trotzdem als schädlich gelten – „nachteilig für die gesellschaftliche Debatte“ oder „öffentliche Sicherheit“ oder „öffentliche Gesundheit“ heißt es dazu im Gesetzestext, und man kann durchaus an Merkels „nicht hilfreich“ denken. Klar ist: Das kann alles und nichts sein. Für den einen sind Thilo Sarrazins Bücher nicht hilfreich, für den anderen eine neue Platte von Madonna oder Klagen von grünen Bundesministern gegen Bürgerplakate. Oder jüngst die geleakten Gespräche von Bundeswehr-Oberen.

„Staatliche Kommunikationsherrschaft“: Was die Grünen wollen

Im Englischen spricht man von „malinformation“. Was aber eine in dieser Hinsicht schädliche, „nachteilige“ Information ist, das muss offenbar jemand entscheiden. Und hier kommen die 27 Koordinatoren ins Spiel. Müller hat dazu das passende, vollkommen sinnfreie Argument zur Hand: Die Vagheit der gesetzlichen Bestimmungen liege „in der Natur jeder europäischen Gesetzgebung, es bleiben eben 27 Länder mit 27 Kulturen“. Hoppla, so viel Werterelativismus auf einmal. 27 europäische Ländern können sich also nicht mehr auf Gesetze einigen. Warum sollten die 27 Koordinatoren, die Müller ins Spiel bringt, das besser können? In dem „neuen Gremium aus allen nationalen Koordinatoren“ soll das angeblich „konkretisiert werden“. Am Ende sollen Gerichte entscheiden, „was jeweils Inhalt der Vorgaben ist“. Wer bis jetzt noch nichts gegen diese EU hatte, der hat jetzt ein neues Argument: Der Inhalt von EU-Gesetzen wird von „Koordinatoren“ und Gerichten entschieden. Das kann eigentlich im Sinne keines Wählers sein.

„Staatliche Kommunikationsherrschaft – auch eine Frage des Gönnens“, kommentiert Hendrik Wieduwilt, und Klaus Müller adelte es durch einen Retweet. Aber wo sind wir eigentlich, dass ein subalterner Agenturchef nun darüber entscheidet, welche Meinungsfreiheit den X-Nutzern noch zu gönnen (oder auch zuzumuten) ist und welche nicht? Vielleicht hatte Klaus Müller einfach die Kritik überlesen oder es schien ihm natürlich, dass der Staat, für den er als Grüner steht, natürlich die „staatliche Kommunikationsherrschaft“, die Herrschaft über die Kommunikation der Bürger anstrebt, mithin deren Entmündigung als freie Bürger. Monströser geht es kaum noch.

Müller liefert also jetzt schon Informationen über die angeblichen Nachlässigkeiten bei X an die Kommission. Ihm selbst wird derweil von deutschen Landesmedienanstalten zugeliefert. Im Kampf gegen die Meinungsfreiheit auf X wird offenbar alles mobilisiert, ein gewaltiger Denunziationsapparat scheint zu entstehen, der noch so manchen Amtsschimmel wiehern lassen wird – vor moralischer Verzückung oder weil so wieder frisches Heu zum Schmausen in die Stube gefahren wird. Den nationalen Behörden werden übrigens auch die Strafzahlungen zugeschoben, die bei Nichtbefolgen der behördlichen Löschanweisungen entstehen können – bis zu sechs Prozent des Jahresumsatzes sind hier vorgesehen. Da könnte sich das Tätigwerden dann auch noch lohnen.

Am Ende bleibt eine Frage offen, die bisher eher verhalten diskutiert wurde. Inwieweit werden andere Mitspieler auf dem Gebiet der digitalen Plattformen und Suchmaschinen (auch Google und Bing könnten irgendwann von Sanktionen betroffen sein) der EU hier das Feld überlassen? Hier darf man insbesondere an die USA denken, die ja auch einige der Firmen-Zentralen beherbergen. Ob das Stoff für globale Popcorn-Schlachten geben wird, ist noch nicht zu sagen, aber auch nicht auszuschließen. Unter der Biden-Administration zogen das Weiße Haus und die nachgeordneten Dienste an einem ähnlichen Strang wie jetzt die EU – „staatliche Kommunikationsherrschaft“ war ihr Ziel. Unter einem wiedergewählten Donald Trump könnte das aber schon ganz anders aussehen.

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