Tichys Einblick
Rausschmiss von Sabine Döring

Andere kleben an ihrem Stuhl – aber eine FDP-Staatssekretärin muss wegen einer Lappalie gehen

Die Entlassung von Sabine Döring ist ein Bauernopfer, das die Diskurshoheit von Linken und Grünen gewährleisten soll. Während der Rücktritt anderer Ampelminister wegen ihrer Fehltritte überfällig wäre, muss die Staatssekreätin im Bildungsministerium wegen einer Lappalie gehen.

Sabine Döring (FDP), bisher Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung.

picture alliance / Geisler-Fotopress | Frederic Kern/Geisler-Fotopress

Dass die Maßstäbe in Deutschland völlig verrutscht sind, ist keine neue Erkenntnis. Die in den vergangenen Tagen eskalierte „Affäre“ um Sabine Döring, Staatssekretärin im Bundesbildungsministerium, unterstreicht dies nun aber einmal mehr. Am Sonntagabend teilte Hausherrin Bettina Stark-Watzinger (FDP) mit, beim Kanzler die Entlassung Dörings verlangt zu haben.

Was war passiert? Am 7. Mai war es an der Freien Universität Berlin zu einer pro-palästinensischen und israelfeindlichen Besetzungsaktion gekommen. Anders als in anderen Fällen griff FU-Präsident Günter Ziegler in diesem Fall konsequent durch: Er holte die Polizei, die das Camp räumte, dutzende Personen festnahm und massig Strafermittlungs- und Ordnungswidrigkeitenverfahren einleitete.

Wie sich Medienberichten seinerzeit entnehmen ließ, folgte die Aktion der Studenten den bekannten Mustern. Demnach riefen sie Parolen wie „From the river to the sea, Palestine will be free“, „Join the worldwide Student Intifada“ und auch „Fuck Israel“. Die Parolen laufen auf die Vernichtung des Staates Israel hinaus und kokettieren mit einer gewaltsamen Umsetzung dieses Ziels; jüdische Studenten fühlen sich dadurch regelmäßig bedroht. Von der verbalen Hetze abgesehen, kam es auch zu Sachbeschädigungen.

Wissenschaftler stellten sich vor israelfeindliche Studenten

Nach der Räumung bekam FU-Präsident Ziegler zu spüren, warum andere lieber vor solchen Aktionen kuschen, anstatt dagegen vorzugehen: Nicht nur der Allgemeine Studierendenausschuss forderte seinen Rücktritt. Auch rund 400 „Lehrende an Berliner Universitäten“ fielen ihm mit einem Protestbrief öffentlich in den Rücken. In dem Brief stellten sich die Wissenschaftler „vor unsere Studierenden“ und verteidigten deren „Recht auf friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Uni-Gelände einschließt“. Der Uni-Leitung warfen sie vor, ihre Pflicht verletzt zu haben, „solange wie nur möglich eine dialogische und gewaltfrei Lösung anzustreben“. Auf das Hamas-Massaker vom 7. Oktober ging der Brief nicht ein.

Diese Stellungnahme sorgte wiederum für Empörung in der Berliner Politik – Bildungsministerin Stark-Watzinger zeigte sich in der Bild-Zeitung „fassungslos“: „Statt sich klar gegen Israel- und Judenhass zu stellen, werden Uni-Besetzer zu Opfern gemacht und Gewalt verharmlost.“ Dass es sich bei den Unterstützern um Lehrende handle, sei „eine neue Qualität“: „Gerade sie müssen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.“

Ministerium ließ Entzug von Fördergeldern prüfen

Auch im Ministerium hatte der Vorgang ein Nachspiel, wie das linkslastige ARD-Magazin Panorama in der vergangenen Woche öffentlich machte: Stark-Watzingers Staatssekretärin Sabine Döring, zuständig für die Hochschulabteilung, veranlasste eine Prüfung des offenen Briefs. Wie aus einer internen Mail vom 13. Mai hervorgeht, wollte sie die Aussagen der Lehrkräfte auf etwaige „strafrechtliche Relevanz“ untersuchen lassen; gleichzeitig bat sie um eine Einschätzung, „inwieweit vonseiten des BMBF ggf. förderrechtliche Konsequenzen (Widerruf der Förderung etc.) möglich sind“.

Als dies einen Monat später öffentlich bekannt wurde, löste dies einen Sturm der Entrüstung aus: Es handele sich um einen Angriff auf die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, hörte man allenthalben aus der linken akademischen Blase. Aber auch der bildungspolitische Sprecher der Unionsbundestagsfraktion, Thomas Jarzombek, stellte die Frage, „ob die Ministerin noch auf dem Boden des Grundgesetzes steht“. Vermutlich um sich selbst aus der Schusslinie zu nehmen, zog die nun die Konsequenz und schasste Döring.

Die Staatssekretärin schoss über das Ziel hinaus

Der Vorgang muss auf unterschiedlichen Ebenen eingeordnet werden. Einerseits hat sich die Staatssekretärin in der Angelegenheit vergaloppiert. Ihr Prüfauftrag schoss über das Ziel hinaus: Die Wissenschaftler hatten sich in ihrem Brief nicht inhaltlich zum Nahost-Konflikt geäußert – allerdings durchaus eine israelkritische Einstellung durchblicken lassen –, sondern in erster Linie zur Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Explizit ließen sie in ihren Brief offen, „ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps einverstanden sind“.

Entsprechend hielt ein Mitarbeiter des Bildungsministeriums im internen Schriftverkehr nach Dörings Anfrage auch fest, dass volksverhetzende Äußerungen im Brief natürlich nicht ersichtlich sind und auch das Delikt der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten „fernliegend“ sei. Ein anderer Mitarbeiter erklärte, es sei „sehr fraglich“, ob sich aus dem Brief „eine hinreichende Grundlage für die Prüfung disziplinarrechtlicher Maßnahem ergeben“. Dörings Prüfauftrag war insofern offensichtlich irrelevant.

Lauterbach bleibt, Döring geht

Andererseits aber ist auch ihre jetzige Entlassung völlig übertrieben. Sie verweist vor allem auf die herrschende Diskurshoheit von Linken und Grünen und eine absolut fehlgeleitete Prioritätensetzung: Israel-Hasser machen Universitäten unsicher und schüchtern jüdische Studenten ein; doch linke Wissenschaftler beißen sich lieber an einem ministeriumsinternen Prüfvermerk fest, der sensibel gegenüber Antisemitismus sein wollte und dabei übers Ziel hinausschoss.

Während Minister wie Habeck, Faeser, Lemke und Lauterbach trotz diverser Fehltritte fest an ihrem Stuhl kleben, muss nun also eine Staatssekretärin in einem FDP-geführten Haus ihren Hut nehmen – wegen eines hausinternen Vorgangs, der letztlich bloß zwei Prüffragen beinhaltete und am Ende keinerlei Entscheidungsrelevanz entfaltete. Auch weil sich die Ministerin – ganz FDP – dem öffentlichen Druck beugte und Döring als Bauernopfer den Hunden zum Fraß vorwarf.

Bei Antisemitismus ist auf einmal Meinungsfreiheit wichtig

Der Vorgang zeugt auch in anderer Hinsicht von einer ungeheuren Doppelmoral: Als freiheitlicher Mensch sollte man hochsensibel sein, wenn es um Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit geht. Das gilt gerade dann, wenn es Personen betrifft, die nicht der eigenen Meinung sind. Aber auch hier sind die Maßstäbe völlig verrutscht: Es ist schon auffällig, dass in bestimmten Kreisen immer dann mit Nachdruck auf die Meinungsfreiheit gepocht wird, wenn zugunsten Israels oder von jüdischem Leben in diese eingegriffen wird.

Jene, die sonst sogar selbst an vorderster Front gegen die Meinungsfreiheit kämpfen, sind dann nicht selten besonders lauter. Schon diese Schieflage ist ein Indiz für Antisemitismus oder zumindest eine seltsame Form der Juden- und/oder Israelobsession. Übrigens: Dass Förderentscheidungen von politischem beziehungsweise wissenschaftlichem Wohlverhalten abhängen, ist nun wirklich nichts neues. Oder glauben Sie, rechte Wissenschaftler könnten in unserem universitären System genauso Karriere machen wie linke? In diesem Fall gibt es aber natürlich keinen Aufschrei.

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