Es gibt wohl keine volkswirtschaftliche Entwicklung, aus der das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) nicht stets ein Horrorszenario der Verarmung und Verelendung malen könnte. Gerne auch mehr oder weniger offensichtlich verbunden mit harscher Kritik am Kapitalismus im Allgemeinen und der nach DIW-Verständnis viel zu ungezügelten Marktwirtschaft im Speziellen. Kaum ein Monat vergeht, dass nicht im DIW jemand die Verschlimmerung von Ungleichheit und immer neue Armutsgefährdungen beklagt. Würde man diese steten Schwarzmalereien einmal alle zusammennehmen, müssten bei uns längst alle Lichter ausgegangen sein.
Aktuell verdreht das DIW zwölf Prozent realen Zuwachs an verfügbarem Einkommen der privaten Haushalte im Zeitraum von 1991 bis 2014 zur schreienden Ungerechtigkeit. Reale Einkommenszuwächse auf höchstem Niveau über drei große Weltwirtschaftskrisen hinweg – die Dotcom-Blase, die Subprime-Krise und die noch schwelende Euro-Staatsverschuldungskrise – und das soll man als Unglück verkaufen können?
Leicht gemacht, man muss nur ein wenig Relativieren und mit dem angeborenen Neid rechnen – wenn einer mehr hat, aber erfährt, dass andere noch mehr mehr haben, kann dem Menschen die Wohlfahrt schnell vergällt werden. Und wenn selbst das die Zahlen nicht wirklich hergeben, kann man immer noch Äpfel mit Birnen vergleichen und darf getrost darauf vertrauen, dass sich kaum jemand die Mühe macht, selbst ein Stück weiterzudenken.
So geht es: Satz 1, emotionslos: Zwölf Prozent realer Einkommenszuwachs. Satz 2: „Das war jedoch deutlich weniger als der Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts in diesem Zeitraum, das real um 22 Prozent zulegte.“. Will sagen, die Ausbeuterkapitalisten haben euch mal wieder vorzüglich abgespeist, und der darbenden Lohnabhängigenklasse nur ein paar Brotkrumen mehr gegönnt, während die Unternehmerbonzen sich den Kuchen teilen.
Nur wenige genauere Blicke auf das BIP offenbaren aber diesen unwissenschaftlichen Populismus. In der Verteilungsrechnung des BIP machen Arbeitnehmerentgelte gut 50 Prozent des Gesamtaufkommens aus, etwa 24 Prozent sind Unternehmens- und Vermögenseinkommen und 18 Prozent sind Abschreibungen (2016). Geht man wirklichkeitsgetreu davon aus, dass reales Wachstum der verfügbaren Haushaltseinkommen in erster Linie durch wachsende Arbeitnehmerentgelte hervorgerufen wurde, dann würde bei identischen Wachstumsraten der verfügbaren Haushaltseinkommen und des BIP, die Unternehmens- und Vermögenseinkommen sowie die Abschreibungen überhaupt nicht wachsen.
Abschreibungen sind erwirtschaftete Umsätze, die für die Abnutzung von Investitionen gebraucht werden und Unternehmenseinkommen sind thesaurierte Gewinne, die für neue Investitionen zur Verfügung stehen. Wächst beides nicht, kann das Volumen des investierten Kapitals nicht ausgebaut werden. Dann können auch schwer neue Arbeitsplätze entstehen, die in der nächsten Periode die verfügbaren Haushaltseinkommen wachsen ließen.
Dass das BIP-Wachstum das Wachstum der verfügbaren Haushaltseinkommen übersteigt, bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass unsere Wirtschaft nicht stagniert. Ein Garant für noch weiter wachsenden Wohlstand für alle. Beim DIW resultiert daraus dann im Interview mit sich selbst aber wieder einmal nur die Überschrift „Die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auseinander“.
Dass diese vielfach bemühte Schere in Deutschland dazwischen auch immer wieder mal zusammenklappt – sei’s drum. Dass unsere Schere im internationalen Vergleich bescheiden ist und dass in den wenigen Ländern, in denen sie weniger klafft, absolut auch deutlich weniger verdient wird – egal. Dass man selbst eingestehen muss, dass Indikatoren wie der GINI-Koeffizient diese Aussage gar nicht bestätigen – „alternativfaktisch“ widerlegbar. Dass man das Einkommensniveau in diesen Betrachtungen vollständig außen vor lässt – wen schert so was!