Unter den Bedingungen des von Margot Käßmann, der früheren Kurzzeitratsvorsitzenden der EKD, heiliggesprochenen Lockdowns dürfte Weihnachten gar nicht stattfinden, nicht im Jahr 2020 – und nicht im Jahr 0. Denn in Bethlehem kam es zu einem gehörigen Menschen- und Engelauflauf. Außer den Engeln erschienen die Hirten. Traditionell geht man mindestens von drei Männern aus, die in mindestens drei verschiedenen Haushalten lebten, außerdem die drei Weisen oder drei Könige aus dem Morgenland.
Waren es Könige, dann käme noch ein ansehnliches Gefolge hinzu, wie man es auf den Bildern der zugegeben historisch nicht sehr vertrauenswürdigen Maler der Renaissance bewundern kann. Außer den Engeln, bei denen die Frage des Haushalts entfällt, feierten Jesu Geburt – im heutigen Sprachgebrauch Weihnachten – mit den Eltern Maria und Josef mindestens sechs Männer aus sechs verschiedenen Haushalten, was einen eindeutigen Bruch der Corona-Regeln darstellt.
Wahrheitswidrig erweckt Käßmann im Interview mit dem Deutschlandfunk den Eindruck, als wären nur die Eltern anwesend, wenn sie sagt: „Josef und Maria waren auch nicht in einem großen Familienkreis zusammen in der Ursprungsgeschichte.“ In einem großen Familienkreis nicht, aber doch immerhin in einem größeren Kreis von Menschen, und ob die Engel nicht doch irgendwie zur Familie gehören,
ist eine etwas verzwickte theologische Frage, der wir hier nicht weiter nachzugehen gedenken. Aber Käßmann spricht in dem Interview auch nicht von Weihnachten, sondern vom Sankt Lockdown. Denn schließlich existiert, so die frühere Kurzzeitratsvorsitzende der EKD wörtlich, kein „Recht auf Weihnachten“. Und sie meint, dass es stattdessen die Pflicht zu den Bußübungen an Sankt Lockdown gibt.
Im großen Glaubensbekenntnis heißt es, dass Christen glauben „an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit, Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch ihn ist alles geschaffen. Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria“.
Genau das ist es, was Christen zu Weihnachten feiern, die Gottesgeburt im Menschen, dass Gottes Sohn Mensch wurde, die Sünden der Menschen auf sich genommen und den Weg zur Erlösung für jeden Menschen eröffnet hat. Nur deshalb kann Paulus jubeln: „Tod, wo ist dein Stachel?“ Jesus Christus sagt es deutlich: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Und: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“
Niemand ist gezwungen, daran zu glauben, doch wenn man Christ ist, muss man genau das glauben, dass Jesus Christus, „wahrer Gott vom wahren Gott“, zu unserem Heil vom Himmel auf Erden gekommen ist und Fleisch angenommen hat. Das und nichts anderes hat sich zu Weihnachten ereignet.
Rot-grün mit Heiligenschein
Ganz im Sinne der Unterwerfung unter den Islam und der schleichenden Distanzierung vom Glaubensbekenntnis behauptete neulich der Kulturbeauftragte der EKD, dass man den Koran als drittes Testament, also nach Altem und Neuen als Neuestes Testament ansehen müsse. Theologisch hätte das zur Folge, dass die koranische Vorstellung von Jesus als Dutzendpropheten auch für Christen gültig wäre und Christen faktisch Muslime werden würden.
In den Leitsätzen, mit denen die Kirchenfunktionäre die Kirche endgültig in eine rot-grüne NGO mit eingebautem Heiligenschein umwandeln, sagt sich die Kirche vom Grund ihres Bestehens los, nämlich der Verkündigung der frohen Botschaft von Erlösung und Auferstehung nach dem Tode, vom Reich nicht von dieser Welt allen Menschen, denn künftig wird nur noch missionarisches Handeln gefördert, das „partnerschaftlich, dialogisch und situativ vorgeht“.
Der Chef des Kirchenamts, Thies Gundlach, will ohnehin nur noch jene Menschen erreichen, „die kirchliche Arbeit von der Verkündigung über die Diakonie bis zum Rettungsschiff richtig finden und unterstützen wollen“. Damit setzt er an die Stelle des Glaubensbekenntnisses das Bekenntnis zu einer wie auch immer konstruierten „ethischen Verantwortung“.
Heinrich Bedford-Strohm, noch bis Herbst 2021 Ratsvorsitzender der EKD, stellt im Interview mit der Zeitschrift „Zeitzeichen“ klar, dass man nicht mehr von den „bisherigen Gemeinden, von unserem bisherigen Kirchenleben“ ausgehen darf, denn man müsse schließlich „viel radikaler als bisher hinhören und fragen, was in der Gesellschaft gebraucht wird“.
Auf dem Prüfstand der Ideologie
Die Gemeinde und das bisherige Kirchenleben werden also nicht mehr „gebraucht“? Nicht mehr nach Gott ist also zu fragen, sondern danach, was in der Gesellschaft gebraucht wird, was dann wiederum Angela Merkel, Robert Habeck und Kevin Kühnert beantworten.
Der Skandal besteht darin, dass der Ratsvorsitzende der EKD alles in der evangelischen Kirche „auf den Prüfstand“ seiner Ideologie stellen möchte. Wenn Bedford-Strohm kraftmeiert: „Jeder und jede muss sich rechtfertigen, ob das, was er oder sie an der Stelle tut, diese Funktion erfüllt oder ob das aus einer Zeit kommt, die ganz andere Herausforderungen hatte“, glaubt man in „1984“ von George Orwell zu lesen.
Christen müssen sich nicht vor dem Wohlfühlprotestanten Bedford-Strohm rechtfertigen, sondern einzig und allein vor Gott. Auch wenn das womöglich für Bedford-Strohm nicht einfach zu verstehen ist: Aber Gott ist er nicht.
Als die Pest im 16. Jahrhundert in Wittenberg tobte und die Menschen aus der Stadt aufs Land flohen, in die, wie sie hofften, rettende Quarantäne, blieb Martin Luther in Wittenberg, weil er es als Pflicht und als Auftrag empfand, in den Zeiten der Pandemie bei seiner Gemeinde zu sein, Gottes Wort zu predigen, den Gemeindegliedern in Not und Angst, im Leben wie im Sterben und am Krankenbett beizustehen.
Dass sich der Ratsvorsitzende der EKD von Gott verabschiedet hat, bestätigt er, wenn er sagt: „Wir müssen Abschied nehmen von einem Bild von Gott als einem, der alles unter Kontrolle hat.“ Heißt im Klartext, Bedford-Strohms Wohlfühlprotestanten müssen sich von der Vorstellung eines allmächtigen Gottes verabschieden. Aber ein Gott, der nicht allmächtig ist, ist kein Gott, sondern nur noch der theologisch verbrämte Zeigefinger der EKD.
Die EKD hat verlernt, von den letzten Dingen zu reden, von Krankheit, vom Sterben, vom Tod, aber auch von der Auferstehung, von dem tragischen Wissen darum, dass wir als Menschen – nicht Gott – nicht alles in der Hand haben. Sie hat verlernt, darüber zu sprechen, was über die Zeit hinausgeht. Sie hat die Dimension der Ewigkeit verloren und so die Gegenwart verspielt.
Weil die EKD den Glauben an das leere Grab, an Leben, Tod und Auferstehung Christi verloren hat, leert sich die Kirche, verliert sie Mitglieder in hoher Zahl. Aber das Bild ist falsch. Nicht die Christen verlassen die Kirche, sondern die Funktionäre der Kirche verlassen die Kirche, die eigentliche Kirche, die Kirche Jesu Christi, die Kirche des Glaubens.