Die Wahl von Max Otte zum Vorsitzenden der Werteunion hat nicht nur einen medienöffentlichen Empörungsaufschrei, sondern auch einen personellen Aderlass des Vereins ausgelöst. Das wohl prominenteste Mitglied der Werteunion, Hans-Georg Maaßen, und der frühere Vorsitzende Alexander Mitsch haben angekündigt, ihre Mitgliedschaft in dem Verein ruhen zu lassen, bis die Richtung geklärt sei.
Wie ein WU-Mitglied, das bei der Versammlung in Fulda dabei war, berichtet, haben unmittelbar nach dem knappen Wahlsieg Ottes gegen seine Konkurrentin Juliane Ried und zwei weitere, aussichtslose Kandidaten zahlreiche Mitglieder den Raum verlassen. Die Landesverbände Bayern, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Hessen, Sachsen und Sachsen Anhalt haben außerdem ihre Kandidaten für weitere Vorstandsämter zurückgezogen.
Viele Mitglieder und auch wohlwollende Beobachter der WU kommen zum Fazit: Die Werteunion ist politisch tot. Vermutlich haben sie recht. Aber vermutlich war die WU auch vor der Wahl Ottes schon einigermaßen halbtot.
Auf beides bietet Max Otte keine Aussicht.
Er ist ganz sicher kein Rechtsradikaler, zu dem ihn nun die übliche große Koalition aus allen Nicht-AfD-Parteien (erst recht der Führungsriege der eigenen) und der Presse erklärt. Das ist ein Zerrbild, das wenig über Otte und viel über die völlig verrutschte politische und Medienkultur im Deutschland der späten Merkel-Ära aussagt.
Wirtschaftspolitisch ist der Ökonomieprofessor und Fondsverwalter übrigens keineswegs ein ultraliberaler Freund deregulierter Märkte. Er plädiert für einen starken Staat, der die Finanzmärkte streng reguliert. Ein politischer Beobachter nennt ihn einen „verspäteten Merkantilisten“. In diesem Video spricht Max Otte über seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen; sie sind alles andere als „neoliberal“, das gefürchtete Schreckgespenst …
Otte ist innen- und gesellschaftspolitisch ein Konservativer vom alten Schlage, wie sie noch in der Kohl-Ära einen großen Teil der Union an der Basis aber auch in den Parlamenten ausmachten. Einer, dem das Wort „Deutschland“ leichter und fröhlicher über die Lippen kommt als Angela Merkel oder Robert Habeck, und der mit Schwarz-Rot-Gold-Fahne in der Hand ein neues „Hambacher Fest“ veranstaltete, auf dem er zur Gitarre Fahrtenlieder sang. Auch hier sieht man Max Otte als nachdenklichen Menschen; die Cancel Culture lebt. Längst geht es nicht mehr um Argumente, sondern um Ausgrenzung.
Otte und die WU-Mitglieder, die ihn wählten, haben am Wochenende womöglich weniger ihrer Vereinigung und der liberalkonservativen Sache in der Union einen Dienst erwiesen, als jenen, die die Werteunion endgültig als innerparteilichen Störfaktor beseitigen wollen. Und an deren Spitze steht niemand anders als die frühere CDU-Vorsitzende und Noch-wer-weiß-wie-lange-Kanzlerin Angela Merkel.
Wenn die liberalkonservative Sache in den beiden Unionsparteien doch wieder eine Chance hat (und damit die Unionsparteien überhaupt noch eine Existenzberechtigung im nivellierten Parteienspektrum), dann liegt sie in nächster Zukunft wohl weniger in der Werteunion. Sie liegt in informellen Netzen und Koalitionen vor allem auf kommunaler und auch Landes- und Bundesebene: Wenn CDU-Mitglieder in Köln einen Ortsverband dominieren, wenn in Frankfurt ein Erzmerkelianer wie Matthias Zimmer nicht mehr als Direktkandidat nominiert wird, oder wenn eben in Südthüringen gegen geballten Widerstand aus Medien und Kanzleramt Hans-Georg Maaßen nominiert wird.
Maaßen ist im Gegensatz zu Otte Politiker geworden. Dazu gehört auch seine Entscheidung, die eigene Werteunion-Mitgliedschaft nun ruhen zu lassen. Er will im Rahmen der CDU Veränderungen erzeugen. Bislang hat die WerteUnion geradezu um die Anerkennung der CDU gebettelt und wurde immer wieder brüsk zurückgestoßen. Die CDU will diese Gliederung nicht. Das hat viele Mitglieder dazu bewegt, Otte zu wählen: Unbeantwortete Liebe leidet oder geht neue Wege. Als Bittsteller zu Hofe ist Otte nicht bekannt geworden. Die WerteUnion ist nun eher ein neuer Konkurrent in der Parteienlandschaft, darin liegt ihre Chance – wenn sie diese Mammutaufgabe stemmt und nicht zwischen AfD und CDU sofort zerrieben wird wie andere Neugründungen der letzten Jahre auch.