Als im zweiten Jahrhundert nach Mohammed um 750 nach Christus das Kalifat der vergleichsweise toleranten Umayyaden in die Hände der fundamentalistischen Abbasiden fiel, gelang einem der Umayyaden die Flucht nach Spanien, wo er sich als Herrscher im zuvor ab 711 von den Mauren unter dem islamisierten Berber Tariq bin Ziyad eroberten Teil Spaniens festsetzte und in den ehemals christlich-westgotischen Gebieten das Kalifat von Andalusien ausrief. Dieser friedlich anmutenden Machtübernahme gingen langwierige Eroberungsfeldzüge der Araber voraus. Allein die Tatsache, dass die Eroberung Spaniens mit 12.000 Kriegern, die immer wieder aus Nordafrika Nachschub bekamen, zwölf Jahre andauerte, zeigt, wie opferreich der Widerstand der iberischen Goten gewesen ist.
Nachdem die Araber den größten Teil Spaniens besetzt hatten, verwickelten sie sich in Streitigkeiten. Da kam der Umayyade Abd a‘Rahman aus der Bagdader Dynastie als Integrationsfigur gelegen und errichtete 756 das Emirat Cordoba. Die Muslime beherrschten darauf fast sieben Jahrhunderte lang große Teile Spaniens und Portugals, bis sie vor allem an ihren inneren Streitigkeiten zugrunde gingen und 1492 in der Reconquista (der Wiedereroberung) vertrieben werden konnten.
Dabei ist es entscheidend, festzuhalten, dass die arabischen Muslime in Spanien nur eine dünne Herrschaftsschicht gebildet hatten – vergleichbar den späteren Mogul-Herrschern, die als muslimische Mongolen über Afghanistan das hinduistische Indien unterworfen hatten.
Daraus wird jetzt hergeleitet, dass die Rückkunft des Islam nach Europa zu einer zweiten Blütezeit führen wird: Nach einer ersten geschichtlichen und zivilisatorischen Hochblüte des Islam in Andalusien, in Spanien, ereignet sich heute erneut die Rückkunft des Islam nach Europa. So lautet eine gängige Behauptung.
Die Eroberer bildeten nur eine dünne Herrschaftsschicht und Besatzungsmacht
Dabei wird unterschlagen, dass Spanien vor seiner Eroberung ein christliches Land mit einer jüdischen Minderheit war. Die arabischen Eroberer konnten nur eine kleine Minderheit bilden, die eine dünne Herrschaftsschicht und Besatzungsmacht stellte. Abgesehen davon, dass sie weniger an Kunst und mehr an Krieg interessiert waren und sein mussten. Ein- oder zweimal jährlich stellten sie ein großes Heer auf, um den Grenzkampf gegen die Christen zu führen und vor allem reiche Beute zu machen.
Mit anderen Worten: Die Muslime konnten überhaupt nicht an jener kulturellen Entwicklung teilhaben. Allerdings mussten sie aufgrund ihrer absoluten Minderheit die christlichen und jüdischen Mehrheiten tolerieren und sich mit einer Kopfsteuer begnügen. Hinzu kam, dass ein Teil der christlichen Bevölkerung vor den Arabern in den christlichen Norden fliehen musste. Im Ergebnis jedoch bestand das islamisch besetzte Spanien hauptsächlich aus einem christlichen und einem großen jüdischen Bevölkerungsanteil. Durch die Einwanderung der angesichts des Rückfalls in den islamischen Fundamentalismus aus anderen islamischen Ländern geflüchteten Juden gab es eine bis auf Weiteres historisch einmalig hohe Konzentration jüdischer Menschen. Insbesondere unter der städtischen Bevölkerung war ihr Anteil hoch und erreichte beispielsweise in Granada rund fünfzig Prozent.
Kein Wunder also, dass Granada das Zentrum des kulturellen Aufschwungs Andalusiens war und der Alhambra-Palast vom jüdischen Wesir Jusuf ibn Naghralla erbaut wurde, der selbst jedoch dann im jüdischen Viertel der Stadt einem Pogrom zum Opfer fiel. Bei näherer Betrachtung der Gelehrten, Künstler und Denker des islamischen Spaniens entpuppen sie sich trotz arabisch klingender Namen wie Ibn Gabirol, Ibn Esra, Ibn Maimon (Maimonides), Ben Schaprut und andere als Juden.
„Ex nihilo nihil fit“
Gewiss gab es in Andalusien auch einige muslimische Gelehrte, darunter Averroës (1126–1198) und Ibn Chaldun (1332–1406), die Weltruhm erlangten. Dabei haben sie nach eigenem Bekunden bei Juden gelernt, während ihre Werke von den Muslimen strikt abgelehnt und im Falle Averroës sogar offiziell verbrannt wurden. Somit ist zu fragen, ob es überhaupt erlaubt sei, diese Denker als islamisch zu bezeichnen? Tatsache ist, dass sie, wie auch ihre persischen Kollegen, zu Familien gehörten, deren Vorfahren einst zwangsislamisiert worden waren.
Bezeichnenderweise war Averroës Anhänger von Avicenna. Das bedeutet, beide traten für die aristotelische Weltanschauung ein, wonach die Welt – im Widerspruch zum Islam – nicht erschaffen, sondern ewig ist: „Ex nihilo nihil fit“ – aus nichts entsteht nichts.
Die Anschauung von Ibn Khaldun war noch weniger islamisch. Genialer Weise erarbeitete er als erster in der Geschichte den Gegensatz von Lebensweise und Kultur der Nomaden und Städter und bezeichnete diesen als Ursache für den Niedergang von Imperien. Es ist offenkundig, dass er damit eine unmittelbare Kritik an dem islamischen Eroberungskonzept beschrieb.
Fest steht auch, dass die Werke der namhaften, vorgeblich islamischen Gelehrten in der islamischen Welt so gut wie keine Beachtung fanden und daher keinerlei Auswirkungen hatten. Das bedeutet wiederum, dass sich deren Autoren nur deshalb islamisch gaben, weil ein Austritt aus dem Islam mit der Todesstrafe geahndet wurde. Daher kamen ihre Werke vor allem den Juden selbst zugute, weshalb nun Jacob Anatoli (1194–1256) die Werke von Averroës kurz nach dessen Tod aus dem Arabischen ins Hebräische übersetzte.
Wenn man bedenkt, dass der Anteil der Juden in Deutschland niemals ein Prozent überschritten hatte, aber ihr Anteil an der deutschen Kultur unübersehbar ist, kann man angesichts des enormen Bevölkerungsanteils der Juden in Andalusien davon ausgehen, dass die spanische Blütezeit vor allem jüdischen Ursprungs war. Es muss die Frage erlaubt sein, wieso der Islam in Spanien mit einer großen nichtmuslimischen Minderheit, welche die Dominanz in der Wissenschaft übernahm, angeblich eine kulturelle Blüte des Islam bewirkte, es davon aber in den Ländern mit islamischer Mehrheit nirgends eine Spur gibt?
Persien und Spanien
Ferner wird behauptet, dass die Araber die Seidenraupenzucht und Seidenspinnerei eingeführt haben sollen; sie hätten sogar den Spaniern und Sizilianern den Anbau von Zuckerrohr und Baumwolle beigebracht. Und weiter noch Spinat, Auberginen, Artischocken, Wassermelonen, Aprikosen, Zitronen, Reis und Safran … nach Spanien eingeführt.
Tatsache ist, dass die Araber das alles selbst nicht kannten, geschweige denn sich intensiv um die Verbreitung in anderen Ländern bemühten. Um diese Entwicklung zu begreifen, braucht man nur zu wissen, dass trotz der islamisch-arabischen Herrschaft ein zaghafter Kulturaustausch an der Peripherie des islamischen Reichs stattfand. Durch diesen Austausch wurden die Errungenschaften aus der vorislamischen Zeit, aber auch zaghafte Versuche, an das Vergangene anzuknüpfen, von Indien über Persien nach Südeuropa transferiert. Es braucht eine Menge Naivität, um diesen Transfer als arabisch-islamisch zu bezeichnen, nur weil er sich durch Männer vollzog, die zur Kommunikation in arabischer Sprache gezwungen worden waren.
Um nur einen dieser Männer zu nennen, sei ein persischer Musiker namens Ziryab (789–857), in Spanien bekannt als Pájaro Negro, erwähnt. Aus Isfahan stammend und aus Bagdad geflohen, wirkte er dreißig Jahre im arabischen Spanien. Ziryab gründete in Cordoba eine Musik- und Gesangsschule und beeinflusste die Entwicklung von Flamenco und Gitarre, entwickelt aus der persischen Tar. Ferner versuchte er, die Zeremonien des altpersischen Hofs, von der Esskultur bis zu prächtigen Tanzabenden, in Andalusien einzuführen. Er führte das persische Bewässerungssystem, die Qanat genannten, unterirdischen Wasserstollen und die Noria als Schöpf- beziehungsweise Wasserrad zur Bewässerung von Feldern und Gartenanlagen, ein und nutzte die klimatische Ähnlichkeit zwischen Persien und Spanien, um eine große Anzahl heimatlicher Blumen, Früchte und Pflanzen erfolgreich zu verbreiten.
Zwischen Spanien und Persien verlief über Sizilien jahrhundertelang ein reger Handel, wobei bis zu fünfzig Handelsgüter ausgetauscht wurden. Zugleich wurde auch, was in Europa als islamische Mystik und islamische Baukunst bekannt wurde, auf diesem Handelsweg transferiert.
Ferner ist für die damalige Zeit die zeitnahe Übersetzung der Werke der Gelehrten aus fernen Ländern ins Lateinische – so beispielsweise die Übersetzung des Kanon der Medizin von Avicenna (980-1037) durch Gerhard von Cremona (1114–1187) Beweis genug, dass islamische Gelehrsamkeit und Künste nicht aus der islamischen Hochburg stammten, sondern in der Peripherie entstanden waren und entscheidend mehr jüdisch und persisch waren als islamisch-arabisch.
Fazel Gheybi wurde 1954 in Teheran in eine Bahai-Familie geboren, beschäftigte sich früh mit dem Studium von Religion und Philosophie. In Aachen studierte er Elektroingenieur und schloss 1983 in Frankfurt/Main mit dem Schwerpunkt Computeringenieur ab. Er arbeitet an der Technischen Universität Darmstadt am Institut für experimentelle Nuklearphysik und verfasste mehrere Bücher zur kulturphilosophischen Rolle von Religion.