Friedrich Merz bekam irgendwann vor rund zwei Jahrzehnten das Image des konservativen Hardliners umgehängt. Aber wurde und wird er diesem Image wirklich gerecht? Kaum, denn immer wenn es darauf ankam, duckte er sich weg oder nahm vorher viel Kreide zu sich. Er duckte sich weg, als Merkel ihm im Herbst 2002 den Fraktionsvorsitz und damit die Rolle des Oppositionsvorsitzenden wegnahm. Er machte mit schwachen Reden auf „Offen-nach-allen-Seiten“-Camouflage, bevor der dann bei der Bewerbung um den CDU-Vorsitz im Dezember 2018 mit 48,25 zu 51,75 Prozent gegen Annegret Kramp-Karrenbauer und im Januar 2021 mit 46,6 zu 52,1 Prozent gegen Armin Laschet verlor.
Das ist ein wenig der „alte“ Merz. Aber drei seiner zahlreichen jüngeren Äußerungen lassen doch aufhorchen.
1. „Recht auf Kind für alle“?
Soeben hat Merz seine Meinung über die Adoption von Kindern durch lesbische oder schwule Paare radikal geändert. Früher habe er so etwas „kritisch gesehen“, doch nun habe er Studien aus der Kinderpsychologie gelesen, „die besagen, dass die Zuwendung, die Kinder brauchen, nicht davon abhängt, ob die Eltern homosexuell oder heterosexuell sind … Manche homosexuellen Paare sind vermutlich bessere Eltern als manche heterosexuellen“, sagte er in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (F.A.S.) vom 26. Dezember 2021.
Ganz schön dialektisch: Ein ideales schwules „Elternpaar“ mit einem chaotischen, verantwortungslosen klassischen Elternpaar zu vergleichen. Merz erklärt seinen Meinungswandel mit den Worten: „Konservativ sein heißt eben auch, immer offen zu sein für gute Argumente.“ Indes kommt Merz damit einem Plan der „Ampel“ sehr nahe: „Die Ehe soll nicht ausschlaggebendes Kriterium bei der Adoption minderjähriger Kinder sein.“ So steht es in deren Koalitionsvertrag. Ein schönes Weihnachtsgeschenk des designierten CDU-Chefs an die „Ampel“ also!
2. „Merkel einbinden“
Nach Jahrzehnten der Zerrüttung sucht der künftige CDU-Chef Merz nun ein neues Verhältnis zu Angela Merkel. Er will die Ex-Kanzlerin und CDU-Ex-Vorsitzende einbinden: „Ich würde mich freuen, wenn Angela Merkel und die CDU auch in Zukunft beieinander bleiben, an mir wird es jedenfalls nicht scheitern“, sagte Merz. Und weiter: „Ich möchte zu allen meinen lebenden vier Vorgängern ein gutes Verhältnis haben.“ (Gemeint sind Laschet, Kramp-Karrenbauer, Merkel und Schäuble.) Das sagte Merz am 23. Dezember 2021 in einem Interview mit dem „Spiegel“.
3. „Brandmauer” gegen die AfD
Merz kündigte an, eine Kooperation mit der AfD unter allen Umständen zu verhindern. Explizit mit Blick auf die ostdeutschen CDU-Landesverbände sagt er: „Wenn irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an.“ Eine Exkommunikation also für jeden Mandatsträger, der ein- oder mehrmals mit der AfD stimmt? Wie Merz das gerichtsfest managen will, bleibt sein Geheimnis, sind Abgeordnete doch nur ihrem Gewissen verpflichtet.
Und was bedeutet die Androhung von Parteiausschlussverfahren für Merz selbst – als CDU-Vorsitzender oder auch als möglicher zukünftiger Oppositionsführer? Wird er selbst bei jedem durchaus sinnvollen Antrag der AfD-Fraktion im Bundestag oder in einem der vielen Ausschüsse mit der „Ampel“ stimmen? Siehe etwa den zurückliegenden Antrag der AfD, die deutsche Sprache im Grundgesetz in Artikel 20 zu verankern.
Wird die CDU laufen lernen?
Alles in allem: Man darf gespannt sein, wie der „Neue“ die vier im Jahr 2022 anstehenden Landtagswahlen übersteht: am 27. März im Saarland, am 8. Mai in Schleswig-Holstein, am 15. Mai in NRW und am 9. Oktober in Niedersachsen. Merz steht zwar dort nicht zur Wahl, aber Wahlschlappen dort werden auch ihm angerechnet.
Und gespannt darf man sein, ob sich Merz weitere programmatische (oder auch personelle) Volten erlaubt. Der ideale Kandidat, der die CDU nach zwanzig Jahren Merkel’schen Herunterwirtschaftens der CDU wieder auf die Beine bringt und sie das Laufen lehrt, dürfte Merz nicht sein, allein schon, weil er bei der nächsten Bundestagswahl 2025 – so die „Ampel“ so lange hält und Merz sie nicht vorher zu Fall bringt – ziemlich exakt 70 Jahre alt sein wird.
Allerdings ist auch klar: Die CDU pfiff – wie zuvor mit Kramp-Karrenbauer und Laschet – mit den Kandidaten Merz, Röttgen und Braun aus dem letzten Loch. Auch dieses Personaltableau ist ein Merkel-Erbe. Merz hat jedenfalls eine Sisyphusarbeit vor sich, soll die CDU nicht das Schicksal ihrer vormaligen italienischen Schwesterpartei Democrazia Cristiana (DC) teilen, die nach Jahrzehnten des politischen Tonangebens im Jahr 1993/1994 ein für alle Mal von der Bildfläche verschwand.
Die CDU muss jedenfalls „laufen lernen“. Wer dieses „Lauf“-Bild wohl geprägt hat? Es war die damalige CDU-Generalsekretärin Angela Merkel, die die CDU in einem FAZ-Beitrag vom 22. Dezember 1999 von Übervater Helmut Kohl lossagte. Jetzt ist ein Lossagen von „Mutti“ angesagt. Mit einem Merz als Laschet 2.0 oder einer Merkel 4.0 wird es nicht gelingen.