Tichys Einblick
Teufel, Not und Fliegen

Die Union verfügt über keinen Kanzlerkandidaten

Die Schlagzeile: Die Mehrheit der Unions-Wähler wollen Markus Söder als Kanzlerkandidaten. Mehrheit heißt konkret dann doch nur 38 Prozent, Hendrik Wüst wollen 29 Prozent und Friedrich Merz nur 20 Prozent. Zur Erinnerung: In der Frage, wen Unionswähler zum Kanzler wählen würden, erreichte Armin Laschet im Sommer 2021 noch 47 % der Unionswähler.

IMAGO / Chris Emil Janßen

Söders Zahlen wachsen also nicht in den Himmel – und sie geben die blanke Not der Union wieder. Wüst lehnen viel Unionswähler ab. Nicht einmal ein Drittel derer, die Union wählen würden, entschieden sich für Hendrik Wüst, für Friedrich Merz ein Fünftel. Fragt man alle Wähler, wer die besten Chancen für den Einzug in das Bundeskanzleramt besitzt, so bleibt die Reihenfolge erhalten, allerdings mit wesentlich weniger Stimmen, 27 % halten Söder für den aussichtsreichsten Herausforderer von Olaf Scholz, 26 % Hendrik Wüst, 14 % Friedrich Merz.

Abschied der ehemaligen Kanzlerpartei
Bye, bye CDU
Blickt man jenseits von Schlagzeilen auf die Zahlen, dann sagen sie zumindest eins, dass kein Kanzlerkandidat der Union sich in der Pole Position gegen den Amtsinhaber Olaf Scholz befindet – und das bei der miesen Arbeit der Regierung. Eigentlich wäre es eine Lust für die Union, Opposition zu sein, den politischen Gegner auszumanövrieren, ihn zu marginalisieren, ihn vor sich herzutreiben und einen sicheren Wahlsieg mit einem Ergebnis um die 38 % einzufahren, wenn die Union denn Opposition wollen und machen könnte. Doch die CDU ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Robert Habeck ist noch im Amt, weil die Union versagt hat. Günther, Wüst, Wegner, Rhein, Strobl, sie alle sind ideologisch Wasserträger der Grünen. Sie wollen und können keine Opposition gegen die schlechteste Regierung, die die Bundesrepublik in ihrer Geschichte je hatte, machen. Sie träumen von einer schwarz-grünen Bundesregierung und werden in ihren Träumen nur hin und wieder vom blauen Wunder aufgeschreckt, bevor sie weiter dösen. Deshalb erinnern die Zahlen, wer der aussichtsreichste Kanzlerkandidat der Union ist, die INSA nun präsentiert, an den Teufel, die Not und die Fliegen.

Die Union ist weder kampagnefähig, noch verfügt sie über einen überzeugenden Personalvorschlag. Der „Favorit“ der kleinen Zahlen dient als Notanker, er ist nicht gut, er scheint nur weniger schlecht, als die anderen beiden zu sein. Doch seine Fähigkeit zu mobilisieren, muss Markus Söder im Herbst in der Bayernwahl noch unter Beweis stellen. Mag der Wähler auch geneigt sein, Söders Pandemie Politik zu verzeihen, so ist Söders größtes Handicap, dass niemand weiß, wofür Söder steht, wenn es zum Schwur kommt – und das verheerende daran ist, nicht einmal Markus Söder weiß das. Von Söder ist, jede denkbare und jede undenkbare Wendung zu erwarten. Für grün, gegen grün, mit grün – wer weiß. Und wenn es in Bayern eine starke Linke gäbe, dann klänge er wohl wie Daniel Günther, nur eben auf fränkisch.

Die Union gegen sich selbst
Wer Merz schlägt, schützt Scholz und schadet dem Land
Wüst ist im Osten nicht vermittelbar, er ist der Kandidat der Merkelianer, des Parteiapparats – und er ist ein Ministerpräsident mit sinkenden Zustimmungswerten und einer erstarkenden AfD, was in NRW bisher undenkbar war. Wüst wird mit Arroganz, mit dem engen Verhältnis zu den Grünen und mit Meldestellen, also mit Denunziationsregistern, verbunden. Söders Vorteil gegenüber Wüst besteht darin, dass er im Osten (noch) vermittelbar ist und die Partei nicht zur Spaltung treiben würde wie Wüst.

Bleibt noch Friedrich Merz, der Parteivorsitzende von der unglücklichen Gestalt. Einst war Friedrich Merz der Kandidat der Basis, die sich gegen den Apparat durchgesetzt hatte. Viele atmeten auf, hofften. Merzens grundsätzlicher Fehler, aus dem alle anderen folgten, bestand darin, dass er nicht geschickt das Bündnis mit der Basis geschmiedet, stattdessen einen Pakt mit dem Apparat, einen Burgfrieden mit den Merkelianern gesucht und die Basis verraten hatte. Er hatte sich sogar den Generalsekretär von den Merkelianern diktieren lassen, der dann auch von Anfang an erwartungsgemäß gegen den Pateivorsitzenden Merz arbeitete. Dümmer geht nimmer.

Es war doch klar, dass der Apparat Merz loswerden wollte. Merzens Agenda hätte deshalb lauten müssen: Neuaufstellung der CDU, Schaffung einer Programmatik in dem Sinne, dass der Programmprozess keine intellektuelle Spielwiese wird, sondern die Abrechnung mit dem Merkelismus zur Änderung der Machtverhältnisse in der Partei führt.

Wahlen ändern die Gewählten nicht
Welche Partei kanzlert, ist egal: jede Regierung agiert "grün"-woke
Allerdings hatte ich, wie meine Texte belegen, die Erfüllung dieser Aufgabe Merz nicht zugetraut und blieb skeptisch, denn viele hatten Merz auch gewählt, in der Hoffnung, die Zeit zurückdrehen und in jene Jahre, in denen Friedrich Merz Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU Fraktion war, zurückkehren zu können.

Friedrich Merz enttäuschte seine Unterstützer, er paktierte mit denen, die ihn genüsslich demontierten. Carsten Linnemann hat, als Generalsekretär erst kurz im Amt, sich in den letzten Tagen als geschickter Ausputzer für seinen Parteichef erwiesen. Recht hat er mit der Feststellung: „Ich habe immer mehr den Eindruck, dass einige ihn bewusst missverstehen wollen.“ Ja, sicher, schließlich wollen diejenigen ihn auch stürzen. Möglicherweise machen sie Laschet zum Parteivorsitzenden und wollen Wüst zum Kanzlerkandidaten erheben. Vielleicht wird man Wüsts Ostproblem dadurch zu beheben versuchen, dass man einen CDU-Politiker aus dem Osten auf den Parteivorsitz schiebt. Das Problem besteht nur darin, dass die Herren, die aus der Sicht des Apparats dafür in Frage kämen, über zu wenig Hausmacht und über eine zu geringe Integrationskraft verfügen. Zur Stunde würde der Kampf um die Kanzlerkandidatur zwischen Wüst und Söder ausgetragen werden. Aber da noch genügend Zeit bis zur Wahl verbleibt, kann sich noch und wird sich noch genügend ereignen.

Nach den Gruppenvergewaltigungen in Berlin
Die CDU bringt uns um unsere Sicherheit
Die Situation, in der sich Deutschland befindet, ist bizarr: Die Regierung ist vollauf mit sich und ihrer Unfähigkeit beschäftigt, die größte Oppositionsfraktion auch. Ampel und Union haben die Fensterläden geschlossen. Derweil treibt die Ampel Deutschland auf den Abgrund zu – und die Union streitet sich darüber, ob sie das mehr oder weniger gut finden soll. Als verheerend für die Union wird sich noch herausstellen, dass sie ausgerechnet in der Situation ihre Kompetenz als Wirtschaftspartei verliert, wo es genau auf diese Kompetenz ankommt.

Die CDU zerbröselt, sie hat kaum noch Politiker, die mitten im Leben stehen, sondern Leute, die parteiinterne Intrigen für den Gipfelpunkt von Politik halten.

Hat Merz noch eine Chance? Wohl kaum. Er benötigte vier Dinge, die von ihm nicht zu erwarten sind. Erstens müsste er kämpfen und einzahlen wollen. Zweitens müsste er sich ein Team schaffen, dass intellektuell breiter aufgestellt und nicht nur aus Parteipolitikern und Konservativen von gestern besteht. Drittens bräuchte er eine Programmatik als Aktionsplan, die auf einen „Bierdeckel“ passt, und viertens eine Medienstrategie. Was man bisher von Merz erlebt hat, scheitert der Parteivorsitzende schon am ersten Punkt.

Die Aufarbeitung der Merkelzeit und der Bruch mit dem Merkelismus sind für die Partei von existentieller Bedeutung, wenn sie diese Auseinandersetzung nicht führt, wird die Auseinandersetzung mit ihr geführt.

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